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Inside Wall Street Der "amerikanische Herbst"

US-amerikanische Aktivisten wollen an der Wall Street gegen Gier und Korruption protestieren. Was die Aktion bewirkt, ist ungewiss. Zu hoffen ist allerdings, dass sie ein gewisses Umdenken auslösen wird.

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(Foto: REUTERS)

Das vergangene "Labor Day Weekend" markiert für die Amerikaner traditionell das Ende des Sommers. Doch in diesem Jahr hat der Wandel der Jahreszeiten etwas Beunruhigendes – vor allem für die Wall Street. Nach dem "arabischen Frühling" droht ein "amerikanischer Herbst". Ab dem 17. September sind Massenproteste in New York geplant, die die US-Börsen stilllegen sollen.

Was als Aktion des Szene-Magazins "Adbusters" begann, hat in kürzester Zeit andere alarmiert. Aktivisten und Organisationen wie "CultureJammers", "USDayOfRage.org" und zuletzt auch die berüchtigte Online-Gruppe "Anonymous" haben sich einer Aktion angeschlossen, die Geschichte machen soll. Sie alle rufen Unterstützer auf, Mitte September die Wall Street zu besetzen, an der Südspitze Manhattans die Zelte aufzuschlagen, kurz: den Finanzdistrikt zu belagern. Nicht für einen Tag. Nicht für eine Woche.

Die Aktivisten wollen so lange durchhalten, bis die Korruption in den USA ein Ende hat, bis die Wall Street nicht mehr Washington steuert. Viele unterschiedliche Gruppen wollen sich an den Protesten beteiligen, sagt ein Veranstalter, "doch uns alle verbindet eines: Wir sind die 99 Prozent, die die Gier und Korruption von 1 Prozent der Bevölkerung nicht mehr mitmachen."

Krankenversicherung als Luxus

Zu den Grundforderungen der Aktivisten gehört eine radikale Änderung in der Parteien- und Wahlkampffinanzierung. Man skandiert: "One citizen. One dollar. One vote." Das richtet sich gegen politische Spenden von Unternehmen, gegen Millionenspenden der oberen Zehntausend, die sich ihre Großzügigkeit von den Politikern nach dem Wahlkampf mit politischen Gefallen vergelten lassen, die das Land in den letzten Jahren Milliarden gekostet haben – und noch mehr. Immerhin geht es nicht nur um unfaire Steuerbegünstigunen für Großspender aus der Industrie, sondern auch um Ausnahmen von Emmissionsgesetzen, Maßnahmen gegen Gewerkschaften und unzählige Aktionen, mit denen Washington einen Bruchteil der Amerikaner aus Kosten aller anderen begünstigt.

Die soziale Situation in den USA macht radikale Proteste schon lange denkbar. Man hat es hier zwar nicht mit einem totalitären Regime zu tun, wie es in Äqypten und Libyen der Fall war. Doch haben Politik und Wirtschaft, vor allem die Wall Street, die Bürger in den letzten Jahren immer mehr entmachtet. Das Land ist pleite, die Infrastruktur bröckelt, die US-Post steht vor dem Aus, Schulen werden dicht gemacht, Krankenversicherung ist ein Luxus, Mindestlöhne stehen zur Debatte… während die Reichen immer mehr verdienen und immer weniger Steuern zahlen.

Die Schere zwischen Arm und Reich klafft in den USA weiter auseinander als in jeder anderen Industrienation. Und Anekdoten über die Ungerechtigkeit im Land dringen immer wieder an die Öffentlichkeit und bringen Aktiviten in Rage. In der jüngsten Debatte zum Schuldenabbau hat Washington etwa einer dramatischen Kürzung von Sozialleistungen zugestimmt, hält aber an Sonderabschreibungen auf Privat-Jets und Yachten fest – darauf bestanden die Republikaner. Auch Steuervergünstigungen für die Öl-Industrie bleiben erhalten, während der amerikanische Durchschnittsbürger John Doe das Benzin für sein Auto kaum noch bezahlen kann.

Parken verboten

Nicht zuletzt Warren Buffett hat die Ungerechtigkeit im amerikanischen Steuersystem auf den Punkt gebracht. In einem Beitrag für die New York Times legte er jüngst erneut detailliert dar, wie er auf einen deutlich niedrigeren Steuersatz kommt als jede andere Person in seinem Büro. Einer der reichsten Männer der Welt führt im Amerika der Gegenwart 17 Prozent seines Einkommens ab, während seine Putzfrau mit 34 Prozent Steuern einen doppelt so hohen Satz stemmen muss. Buffett ist außer sich und sagt: "Hört endlich auf, die Reichen zu verhätscheln."

Eine besonders bizarre Geschichte hat gerade in New York für Aufruhr gesorgt. Vor den Luxus-Türmen des Trump Place, wo der Multimillionär Donald Trump eine ganze Siedlung bauen ließ, wurden jetzt entlang der Straße Parkverbotsschilder angebracht. Halten dürfen hier nur noch Limousinen, die auf ihre gut betuchten Passagiere warten – die Kleinwagen von Anwohnern aus der Nachbarschaft werden unterdessen abgeschleppt, wenn sie führerlos am Straßenrand stehen. Dass die Stadt ihren Bürgern mit solcher Dreistigkeit immer mehr Rechte entzieht und dafür den Reichen immer mehr Privilegien einräumt, will zumindest ein Teil der Bevölkerung nicht mehr hinnehmen.

Dass sich die geplanten Proteste an der Wall Street zu einer handfesten Revolution auswachsen, ist zwar unwahrescheinlich. Zu hoffen ist allerdings, dass sie ein gewisses Umdenken auslösen bevor der Konflikt größer wird.

Quelle: ntv.de

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