Die Busch-Trommel Grenzenlose Freude
23.11.2010, 06:40 UhrGute Quartalsergebnisse versetzen die Anleger in Hochstimmung. Vor allem die erfolgreiche deutsche Exportwirtschaft treibt den Dax nach oben. Bald könnte China dabei die USA als großer Absatzmarkt für deutsche Produkte überholen, meint Börsenkommentator Friedhelm Busch.
Wir Anleger sind offenbar berauscht vom Glück. Die Sorgen um die Zukunft des europäischen Währungssystems, die dunklen Ahnungen, dass die deutschen Steuerzahler mit mehr als 200 Milliarden Euro zur Kasse gebeten werden könnten, um Europa vor dem Zusammenbruch zu bewahren, das alles wird seit Wochen überdeckt von den guten bis sehr guten Quartalsergebnissen deutscher Unternehmen. Genauer gesagt sind es die Erfolge der deutschen Exportwirtschaft, die den Dax in den letzten Tagen in die Nähe alter Rekordmarken getrieben haben.
Denn trotz keimender Hoffnungen auf dem Binnenmarkt lebt die deutsche Wirtschaft überwiegend von den Verkäufen deutscher Industrieprodukte ins Ausland. Dabei sind, wie gewohnt, unsere französischen Nachbarn, gefolgt von den US-Amerikanern, die wichtigsten Käufer deutscher Produkte. Aber seit Beginn der Wirtschaftskrise haben die Verkäufe nach China sprunghaft zugenommen. Die Chinesen könnten bald die USA in unserer Exportstatistik überholen.
Mit dem ehrgeizigen Ziel, im eigenen unterentwickelten Hinterland eine moderne Infrastruktur aufzubauen und gleichzeitig den Wohlstand der ausgebeuteten Wanderarbeiter zu mehren, hat die kommunistische Führung Chinas ein Konjunkturprogramm in Gang gesetzt, von dem nun die gesamte Weltwirtschaft profitiert. Geld ist in den Staatskassen des Exportweltmeisters im Überfluss vorhanden, die lähmende Staatsverschuldung amerikanischer und europäischer Industrienationen für die Chinesen kein Thema. Eine komfortable Situation, von der die rohstoffreichen Schwellenländer als Lieferanten gleichermaßen profitieren wie die westlichen und asiatischen Produzenten industrieller Güter. Allen voran die deutschen Automobilbauer, die angesichts explodierender Verkaufszahlen in China zu den Überfliegern im Dax zählen. Trotz der hohen Transportkosten kennt die Freude der deutschen Industrie über den China-Boom keine Grenzen.
Und die gute Stimmung an der Börse auch nicht. Volle Auftragsbücher der deutschen Exporteure, dazu niedrige Zinsen und Lohnkosten und jetzt auch noch ein schwächelnder Euro, genau das sind die Zutaten, die für künftige Gewinnsteigerungen gebraucht werden. Das sind die Bausteine, auf denen ein dauerhafter Börsenaufschwung ruht. Wer mag da noch zur Vorsicht mahnen, wenn der große Dax-Index in alte Rekordhöhen geredet wird? Wenn alles so weitergeht, sind diese Hoffnungen auch berechtigt.
Zu große Abhängigkeit von China?
Aber wird alles so weitergehen? Ich möchte trotz verständlicher Freude ein wenig Wasser in den Wein schütten. Nebenbei bemerkt: Auch eine Weinschorle kann gut schmecken und schützt zudem vor schneller Trunkenheit. Wir sollten uns in Deutschland schon Gedanken machen über diese herausragende Bedeutung der Exporte nach China. Die grenzenlose Freude über steigende Aufträge aus China darf nicht die Gefahren verdecken, die mit dieser Umarmung verbunden sind. Zu viel Liebe kann tödlich sein. Ich meine jetzt nicht die problematischen Vertragsverletzungen, mit denen die deutschen Exporteure in China tagtäglich konfrontiert werden, die berüchtigten Plagiate. Auch nicht die gravierenden Verstöße chinesischer Regierungsstellen gegen unsere demokratischen Grundsätze oder ihren leichtfertigen Umgang mit der Natur. Derartige Gedanken mögen zwar die Freude über den wirtschaftlichen Erfolg trüben, verlieren aber in Zeiten materieller Existenznöte an Bedeutung. Leider? Oder verständlich? Ein weites Feld, hätte Fontane gesagt.
Nein, darum geht es mir an dieser Stelle nicht. Vielmehr sollten wir uns fragen, wohin uns diese Abhängigkeit von China führen kann. Was geschieht mit dem deutschen Export, wenn die chinesische Führung auf die Bremse tritt, weil sie wegen der aktuellen drastischen Preiserhöhungen bei Lebensmitteln den Aufstand der armen Bevölkerung fürchtet?
Zugegeben, ein Richtungswechsel wird vermutlich nicht über Nacht vollzogen, denn die chinesische Führung selber hat wohl kaum ein Interesse an plötzlichen Veränderungen im eigenen Lande. Doch ihre jüngsten Aktionen zur Drosselung der heimischen Konjunktur sind Warnung genug: Zinsanhebungen, höhere Mindestreserven, Kredit- und Handelsbeschränkungen, steigende Abgaben im Immobiliengeschäft! Alarmsignale, die gerade die deutsche Wirtschaft nicht überhören darf. Ein Ersatz für das Chinageschäft ist aber weit und breit nicht in Sicht. Das von Staatsschulden geplagte Europa muss sparen. Griechenland, Irland und bald auch Portugal lassen grüßen.
Und von den Amerikanern ist auch nur wenig Hilfe zu erwarten. Wenn China im Kampf gegen die Inflation den Stecker ´rauszieht, könnte unsere grenzenlose Freude schnell in grenzenlose Trauer umschlagen. Das sollten auch die Börsenoptimisten nicht übersehen.
Quelle: ntv.de