Unterhaltung

Etwas mehr Empathie, Leute! Baumeister, Kahrmann, Bienert und Naidoo

Wenn einer am Boden liegt, tritt man nicht nach ...

Wenn einer am Boden liegt, tritt man nicht nach ...

(Foto: dpa)

Es ist kalt geworden in Deutschland. Nicht nur lässt der Sommer auf sich warten, auch die Gefühle könnten wärmer sein. Oder wie erklärt man seinen Kindern, dass auf Leute, die eh schon am Boden liegen, am besten nochmal nachgetreten wird?

Muriel Baumeister, Christian Kahrmann, Katja Bienert, Xavier Naidoo - sie alle werden wie die neue Sau durchs Dorf getrieben, als würden wir im Mittelalter leben. Tun wir zum Glück nicht, denn sonst würde das für die Männer Folter und Hängen bedeuten, für die Frauen den Scheiterhaufen. Oder so. Ganz ehrlich aber muss das Gefühl, für private Verfehlungen (außer in Naidoos Fall) so dermaßen durch die Mangel genommen zu werden, sicher ähnlich sein. Und spätestens, wenn Christian Wulff anfängt, sich einzumischen, dann muss man - "die Presse" - doch aufhorchen!!

Jeder wünscht sich mal, die Uhr zurückdrehen zu können.

Jeder wünscht sich mal, die Uhr zurückdrehen zu können.

(Foto: imago/Future Image)

Aber fangen wir von vorne an, nur ganz kurz zur Erläuterung, mit Muriel Baumeister: Bislang eher dadurch aufgefallen, dass sie zu den bekannteren Fernsehgesichtern unserer TV-Landschaft gehört, gab es in den letzten Tagen beunruhigende Schlagzeilen, die durch die Medien geisterten. Von ihrer "Suff-Fahrt" war zu lesen oder auch von möglichen Schulden. Gläubigern. Depressionen. Gewichtszunahme. Das könnte ja immer so weiter gehen, denn das alles gehört ja schließlich zusammen, wenn man den lautesten Kommentatoren auf Facebook und Co. so zuhört. Die Logik ist dann folgendermaßen: Mittelalte Schauspielerin bekommt keine Jobs mehr (weil sie mittelalt ist?) und trinkt sich das ein bisschen schön. Sie bekommt keinen Job mehr (weil sie trinkt?), dann wird sie auch noch dicker (weil sie trinkt!!). Weil sie dicker ist, bekommt sie keinen Job mehr, egal wie alt sie ist. Früher lief es ja ganz gut ("Ein Haus in der Toskana"), aber mit ihrem Lebensstil hat die 45-Jährige wohl die Kohle verpulvert. Und dann auch noch drei Kinder. Von drei Männern. Zahlen die nicht? Hat sie die nicht im Griff? Wird schon einen Grund geben, warum die nicht mehr da sind. Ja, so reden "die Leute" gern. 

Und dann der Mega-Fauxpas: Sie sitzt betrunken am Steuer. Ihre Tochter ist auf der Rückbank. Nicht falsch verstehen: Das ist dumm, doof, gefährlich, für sie selbst und vor allem für andere. Und ganz sicher weiß sie das! Und trotzdem ist es passiert. Es ist nichts Schlimmeres weiter passiert, zum Glück. Sie muss zahlen. Sie kann nicht zahlen. Und anstatt dass nun einer spätestens an dieser Stelle mal fragt: "Wie konnte es eigentlich so weit gekommen?", wird die Ärmste auch noch von allen Seiten angemacht. Bildlich: Da liegt ein Mensch am Boden, und auf diese Person wird eingetreten. In jedem Boxring würde ein Ringrichter dazwischengehen. Im wahren Leben darf weiter auf die ohnehin K.o.-Daliegende eingedroschen werden. Dank Facebook & Co. dürfen Menschen schreiben, unter ihrem Namen: "If you can't stand the heat get out of the kitchen." Wenn man die Hitze nicht erträgt, dann darf man sich also nicht in die - heiße - Küche beziehungsweise Öffentlichkeit begeben, frei übersetzt? So ein Bullshit!

Wenn man in der Öffentlichkeit steht, dann ist das so, weil man einen Job hat, der das bis zu einem gewissen Maß erfordert. Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass sich jeder Klugscheißer in das Leben dieser Person einmischen darf. Aber mal ganz abgesehen davon, frage ich mich: Wo kommt diese Härte her, dieser Mangel an Mitgefühl? Neulich in der S-Bahn: Eine gepflegte ältere Dame rät mir, meine Handtasche zuzumachen, man wisse ja nie, da hinten stehen Ausländer. Flüchtlinge? Ich bedanke mich, sage aber, dass ein Ausländer/Flüchtling ja nicht per se kriminell ist. Sie guckt mich an, als ob ich schwachsinnig wäre, und sagt: "Die kriegen doch sowieso schon alles in den Rachen gestopft, wer gibt mir denn was?" Sie lacht bitter, ich sehe ihre Zahnlücke, ein ziemlich sicheres Zeichen dafür, dass ihr niemand "was" gibt, denn sonst hätte sie die Lücke, eitel wie sie ansonsten wirkte, längst behandeln lassen. Ich stelle für meine innere Liste einen großen, ersten Empathie-Mangel fest.

Christian Kahrmann
Kahrmann ist auch Gastronom.

Kahrmann ist auch Gastronom.

(Foto: imago/Future Image)

Vor einigen Wochen wurde über Christian Kahrmann, nicht zuletzt bekannt durch seine jahrelange Verkörperung der beliebten Figur des "Benny Beimer" in der ARD-Serie "Lindenstraße", berichtet. Er hat sich letztlich einsichtig gezeigt. Nach seiner Promille-Fahrt durch Berlin 2016 akzeptierte er eine Strafe von 2400 Euro. Bei dem Unfall saßen den Ermittlern zufolge seine beiden Töchter auf der Rückbank. Die Kinder hätten schmerzhafte Prellungen erlitten, hieß es. Außerdem legte Kahrmann sich noch mit den Einsatzkräften an. Aber er war dann auch einsichtig: "Ich will gar nichts schönreden. Ich weiß, dass ich Mist gebaut habe." Nach dem Unfall begab er sich nach eigenen Angaben in einen stationären Alkoholentzug. "Alkoholmissbrauch ist eine Krankheit, das ist mir jetzt klar", sagte er dazu. Er ist gestraft, seinen Kindern hätte mehr passieren können, er wird seinem Schutzengel danken. Ende. Sollte man meinen. Nein, natürlich nicht, wochenlang war er Thema; auf der einen Seite Unterstützung, auf der anderen wurde er abgestempelt wie ein Schwerverbrecher. Und nein, auch hier wollen wir nichts beschönigen an der Tatsache, dass er betrunken Auto gefahren ist, das ist dämlich! Aber menschlich. Und passiert vielen anderen auch.

Xavier Naidoo
Komplizierter Fall ...

Komplizierter Fall ...

(Foto: picture alliance / dpa)

Nächster Fall, ganz schwierig:  Xavier Naidoo. Er setzte sich schon immer ein für Unterdrückte, Minderheiten, Ausländer. Ist selbst farbig. Hat "es geschafft", zu etwas gebracht. Seine Konzerte sind ausverkauft, seine Platten oft ganz oben, im Fernsehen sorgte er mit einer Musik-Show für die Comebacks so einiger Kollegen. Und dann in letzter Zeit der Hang zu missverständlichen Texten. Blöd, ganz ganz blöd. Aber ist er ein Nazi? Er sagt nein (er stehe für eine "offene freiheitliche, liberale und demokratische Gesellschaft, in der viele Kulturen gemeinsam zusammenleben und in der es allen Menschen möglichst gut geht", ein), die Söhne Manheims sagen nein ("sind gegen jede Art von Gewalt, gegen jede Art von Fremdenhass, gegen jede Art von Diskriminierung und gegen jede Form von Radikalismus und Nationalismus"), Michael Mittermeier sagt nein ("diese Sucht, einfach Urteile zu fällen, ohne wirkliche Beweise"), der Bürgermeister von Mannheim sagt nach einem Gespräch mit ihm nein, nur Herr Wulff, kurzzeitig mal Bundespräsident Deutschlands (dem von der Presse allerdings auch immer wieder übel mitgespielt wurde) kommt jetzt an und findet, der Herr Naidoo ist kein Guter, er begebe sich "in die Nähe von Totengräbern der Demokratie, in die Nähe des Hasses", so Wulff im "Mannheimer Morgen". Ja, richtig, Xavier Naidoo sollte besser auf seine Texte achten, sich überlegen, wann er welches Thema wie erhöht und beschreibt. Aber ist er echt ein Nazi? Wie der NDR jetzt mitteilte, verzichtet NDR 2 kurzfristig darauf, das Hannoveraner Plaza-Festival zu präsentieren. Grund ist Naidoos Auftritt bei der Veranstaltung. Die Entscheidung kommt knapp zwei Wochen vor dem Festival.

Katja Bienert
Praxis Bülowbogen, mit Günter Pfitzmann und Johanna König.

Praxis Bülowbogen, mit Günter Pfitzmann und Johanna König.

(Foto: imago/United Archives)

Über Katja Bienert gibt es nicht so viel zu sagen, tragischerweise: Sie war ein Film-Sternchen ("Die Schulmädchen vom Treffpunkt Zoo"), oft Nackedei, aber auch in der "Praxis Bülowbogen" zu sehen. Sie wurde vor kurzem vermisst, dann hieß es, sie sei in den USA im Knast. Wer Fotos von ihr sieht, sieht, dass es ihr nicht gut geht, wer sie kennt oder Kollege ist, weiß das. Und dennoch schaffen einige Boulevard-Medien es, diese arme Person noch mehr durch den Dreck zu ziehen, indem sie alles an den Tag bringen, was nur geht. Und das ist nichts Erfreuliches - aber irgendwie doch Frau Bienerts Sache, nicht unsere.

Muriel Baumeister
Muriel Baumeister, ganz weit weg vom Kindchenschema-Gesicht!

Muriel Baumeister, ganz weit weg vom Kindchenschema-Gesicht!

(Foto: imago/APress)

Zurück zu Muriel Baumeister: In der Zeitschrift "Bunte" gibt sie nun ein Interview und sagt selbst: "Ich habe Scheiße gebaut." Das ist gut, Einsicht und so weiter, aber warum wird sie in dem Blatt als erstes aufs Äußerliche reduziert: Zehn Kilo abgenommen, große blaue Augen, Kindchenschema-Gesicht - sie ist 45, hallo!! - und sie darf immerhin erklären, dass sie eine Krise hatte und wie es zu der Krise kommen konnte. Na klar, es ist der Job, die Kinder, das Geld, die Beziehung, Dinge, die uns allen ab und zu über den Kopf wachsen, wenn sie nicht so funktionieren, wie sie sollten. Aber warum sind wir, die hungrige Meute, nicht etwas dezenter, sagen uns: "Ach herrje, die Ärmste" und bieten Hilfe an. Oder lassen sie in Ruhe. Schauspieler sind ja auch nur Menschen. Und sie ist sicher nicht die erste, die strauchelt.

Ebenfalls in der "Bunte" gibt der beliebte Schauspieler Hans-Werner Meyer in seiner Funktion als Vorstandmitglied Schauspiel Bühne, Film, Fernsehen, Sprache (BFFS) darüber Auskunft, wie es auf deutschen Schauspielerkonten so aussieht: "Knapp über vier Prozent verdienen über 100.000 Euro im Jahr, rund 70 Prozent gerade mal um die 30.000 Euro, 60 davon sogar weniger als 20.000." Puh ... 

Ein paar Freunde gibt es jedoch immer wieder, die sich einsetzen, und so werden wir Muriel Baumeister in dem Film "Der Sohn" sehen, in den sie über Produzentin Tanja Ziegler gelangte, die einfach an sie und ihr Talent glaubt. Und da sie weiter an sich arbeitet, wird es auch wieder bergauf gehen. Und vielleicht entwickeln wir, die Journalisten, die Leser, die Gesellschaft, mal wieder generell etwas mehr Mitgefühl. Das stünde uns sehr gut zu Gesicht.

Quelle: ntv.de

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