"Wir wollen Sport parodieren" Der unterhaltsamste Verein Deutschlands kommt aus Spandau
25.02.2024, 16:05 Uhr Artikel anhören
Präsident Knabe zeigt Coach Hans Sarpei und Spieler Turgay Akbulut den genwünschten Platz in der Tabelle.
"Hier is real", verspricht Eintracht Spandau. Und lügt. Oder? Das Sport-Projekt setzt seit der Gründung 2021 auf einzigartige Öffentlichkeitsarbeit, die bisweilen sogar Medienprofis wie Mats Hummels überfordert.
Spandau liegt zwischen Stromberg, Wrestling und Ted Lasso. Zumindest die Spandauer Eintracht. Sportlich ist zu dem Team relativ schnell alles gesagt: 2021 gegründet, seitdem in der deutschen E-Sport-Szene mit eigenem League-of-Legends-Team vertreten. 2024 kam die Teilnahme am Hallenfußball-Projekt "Baller League" dazu, dem Mats Hummels und Lukas Podolski vorstehen. Doch es sind nicht die sportlichen Leistungen, die Eintracht Spandau zu so einem speziellen Projekt machen, sondern alles andere. In den vergangenen Jahren sind Sport-Dokus zu einem Trendthema geworden. Mal mehr, mal weniger gut versuchen Sportvereine aller Disziplinen, ihrer Saison ein Narrativ überzustülpen. Die sportliche Vorlage ist dafür entscheidend. Während sich Meisterschafts- oder Abstiegskampf noch spannend erzählen lassen, ist eine solide Saison, die auf Rang zehn endet, nicht gerade der Stoff von dem Regisseure träumen.
E-Sport bezeichnet den kompetitiven Vergleich in Videospielen. League of Legends ist wohl der größte E-Sport-Titel weltweit, besonders in Asien erfreut sich das Spiel massiver Beliebtheit. Die LoL-WM 2023 war das meistgesehene E-Sport-Turnier aller Zeiten, das südkoreanische Team T1 krönte sich zum Sieger.
Eintracht Spandau dreht den Spieß um. In den Geschichten, die die Eintracht von sich erzählt, stehen Ergebnisse nur selten im Fokus. Stattdessen spinnt ein Kreativteam seit Gründung des Klubs an einer Art fiktiven Begleit-Soap. Hauptdarsteller in den Videos ist häufig "Präsident Knabe". Der wunderliche alte Mann wird vom Streamer "HandOfBlood" verkörpert, der mit bürgerlichem Namen Maximilian Knabe heißt und Mitgründer der Eintracht ist. Weitere Mitarbeiter der Eintracht unterstützen ihn. Etwa der sportliche Leiter Kevin Westphal, der eine tollpatschigere Version seiner selbst spielt, die nur ans Essen denkt. Oder Nastassja Strobel, die, eigentlich im Videoschnitt tätig, vor der Kamera zur Pressesprecherin "Frau Strobel" wird und dem Präsidenten die Stirn bietet. "Es ist wie Stromberg, nur ist unser Büro halt ein E-Sport-Team", erklärt Westphal das Konzept.
"Der größtmögliche Spagat"
Statt schnöder Spielberichte sieht man etwa dem Präsidenten Knabe dabei zu, wie er vom Fanliebling zur Persona non grata wird, die letzten Endes sogar aus dem Verein fliegt. Auf dem Weg dahin veranstaltet die Eintracht ein tatsächlich existierendes Sommerfest oder baut einen alten Bus zur mobilen Trainingsstation um. Das Gefährt könnte überflüssiger nicht sein, ein E-Sport-Team kann schließlich von überall spielen. Doch egal, alles für den Content. "Wir sehen uns nicht so sehr als E-Sport-Organisation, sondern als Entertainmentprodukt. Wir wollen Sport parodieren. Wir sind mit unserer Arbeitsweise auf sportlichen Erfolg nicht angewiesen", fasst Knabe die Ausrichtung des Projekts zusammen. Über all dem steht passenderweise das Vereinsmotto "Hier is real", in dem Westphal "den größtmöglichen Spagat" sieht.
Wer jedoch denkt, die Spandauer Eintracht sei ein Projekt bar jeder sportlichen Ambition, irrt. Passenderweise unter einem Fitnessstudio liegt das Hauptquartier der Organisation. Je nachdem, in welchem Raum man ist, hört man das Training durch die Decke wummern. Auch hier unten wird hart gearbeitet. Nur eben statt auf dem Laufband in "League of Legends". Die Spandauer Eintracht tritt in dem Spiel in der höchsten Liga im deutschsprachigen Raum, der Prime League, an. Auch Schalke 04 oder Eintracht Frankfurt sind hier vertreten.
Seit Gründung steht am Saisonende immer mindestens Rang 3, auch für den Europapokal hat sich das Team schon qualifiziert. Ein Tag in der Woche ist frei, an den anderen wird gespielt oder trainiert. Zu Hause übt manch einer noch weiter. Max "Vertigo" Rassi ist seit dieser Saison neu im Team und schwärmt von der Infrastruktur. "Die Orga ist schon sehr speziell. Wir haben Einzel-Appartements, einen Koch, gutes Training, ich kann mir nicht viel mehr wünschen." Die fünf Spieler des Teams spielen ein paar Runden Solo, bevor alle zusammenkommen. Konzentriert sitzen sie nebeneinander. Beständiges Mausgeklicke ist das Einzige, was aus der Hektik des Spiels nach außen dringt. Der Klamauk auf Youtube wirkt hier weit weg, und das ist kein Zufall.
Fankneipe entsteht in Eigenregie
Westphal führt aus, dass ein Team Identifikationsmöglichkeiten schaffen muss, um langfristig bestehen zu können. Das ist im E-Sport keine Selbstverständlichkeit, etliche Teams verschwinden nach wenigen Saisons wieder oder tragen in jedem Jahr einen anderen Namen. Viele Teams versuchen, über Videos mit ihren Spielern Fans an sich zu binden. Doch nicht jeder Elite-Gamer fühlt sich auch vor der Kamera wohl. In der Struktur der Eintracht sieht auch Rassi ein Privileg: "Die Content-Schiene und das Team sind zwei verschiedene Welten. Das ist für uns Spieler ein sehr stabiles Modell, weil wir uns nicht zum Clown machen müssen. Wenn wir mal dabei sein können, cool. Aber es muss niemand."
Rassi ist nicht nur Spieler, sondern auch selbst Fan. "Als mein Wechsel zur Eintracht feststand, hab ich mir den Youtube-Kanal mal angeschaut und in wenigen Tagen alles angesehen. Ich kenne jedes Video, jede Storyline. Es ist verrückt, wie unterhaltsam das ist." Das sehen nicht nur die Spieler selbst so. Über 100.000 Menschen folgen der Eintracht auf Instagram, bis zu 40.000 Zuschauer verfolgen auf dem Twitch-Kanal von "HandOfBlood" live die Spiele des Teams. Und die Zuneigung bleibt nicht im digitalen Raum.
"Die könnten das ja auch zu Hause schauen"
Im Video zur Gründung ist eine Kneipe zu sehen, der "Spandauer Bock". Ohne offizielle Kommunikation zum Lokal finden sich seit der ersten Saison Fans vor Ort ein, um die Spiele gemeinsam zu schauen. "In den 'Bock' kommen Leute aus Köln, Leipzig oder Magdeburg. Das ist surreal. Zum allerersten Spiel waren fünf Leute da, zwei von denen aus Hamburg. Für E-Sport. Die könnten das ja auch zu Hause schauen", schildert Westphal begeistert. Aus den fünf Leuten und einem mitgebrachten Laptop wurde eine organisierte Fan-Initiative, die demnächst offiziell einen Verein gründen will. Im Bock ist ein eigener Raum für die Eintracht mit Flagge, Fotos und neuem Fernseher entstanden. Längst ist die Kneipe zu einem Fan-Treff geworden, in dem sich die Eintracht-Anhänger auch versammeln, um Karten zu spielen oder den Super Bowl zu verfolgen.
Die Fangruppen der Eintracht wachsen seit Beginn der Baller League noch weiter. Die Hallenfußball-Liga versammelt jeden Montag 12 Teams, denen ein Prominenter vorsteht. Die Streamer Montana Black und Knossi sind dabei, aber auch Fußballer Christoph Kramer oder Wolfsburg-Stürmerin Jule Brand. Und eins der Teams stellt auch Eintracht Spandau. Präsident Knabe tritt als Vereinsoberhaupt in Erscheinung, Trainer ist Ex-Schalke-Profi Hans Sarpei. Mit dem Baller-League-Engagement schließt sich ein Kreis, wie Westphal erklärt.
"Er spielt seine Rolle kaputt"
"Die ganzen Fußballreferenzen hatten wir ja schon drin, bevor wir uns im Fußball ausprobiert haben." Vor dem Hallenfußball-Projekt gab es in Spandau bereits erste Pläne für ein Frauenfußball-Team. Und so wirken die Eintracht und ihre Anhänger gut vorbereitet auf die Liga. Ultras marschieren mit Fanschal, Trommeln und Flaggen in die Motorworld Köln ein, um ihr Team zu unterstützen, sogar der Mannschaftsbus des E-Sport-Teams findet noch einmal Verwendung. Gleichzeitig wird die Figur des verschrobenen Präsidenten immer dann am unterhaltsamsten, wenn sie ungebremst auf Menschen außerhalb der Spandauer Bubble trifft. Oder wie Nastassja Strobel es ausdrückt: "Max geht ins echte Leben und spielt seine Rolle kaputt, bis sich alle unwohl fühlen."
Egal, ob im Interview mit TV-Moderatoren oder beim Fachsimpeln mit dem tatsächlichen Bezirksbürgermeister Spandaus, der das Team in Köln besucht hat - sobald die Kamera läuft, zieht Knabe die Rolle des Präsidenten durch. "Wenn ich mit Leuten zu tun habe, die unseren Kosmos definitiv nicht kennen, bin ich auch mal etwas aufgeregt. Aber man wächst mit seinen Aufgaben. Und ich habe kein Schamgefühl, das hilft", so Knabe über die Begegnungen.
Hummels ist überfordert, Lobrecht fordert Haarprobe
In einem Gespräch mit Mats Hummels schlägt Knabe vor, ab Sommer in seinem Baller-League-Team mitzuspielen. Worauf der Dortmunder, dessen Vertrag ausläuft, sich für das "erste offizielle Angebot" bedankt. Zum Ende des Gesprächs resümiert Hummels amüsiert: "Ich bin leicht überfordert, das Interview deckt sich jetzt nicht mit denen der letzten 17 Jahre. Aber es ist cool."
Auch andere Promis gehen auf die Kunstfigur ein. Comedian Felix Lobrecht, der dem Team Beton Berlin vorsteht, fordert vor dem Berliner Derby gegen Eintracht Spandau etwa eine Haarprobe des Präsidenten Knabe, weil ihm "die Kiste gar nicht sauber vorkommt". Der per Instagram-Story übermittelte Wunsch ist eine Anspielung auf die legendäre Koks-Affäre zwischen Leverkusen-Coach Christoph Daum und Bayern-Boss Uli Hoeneß.
"Es gibt keine Blaupause für das, was wir hier machen", erklärt Knabe. "Aber wir versuchen überall, wo wir stattfinden, Impulse zu setzen und zu ermutigen." Das gelingt gleich auf mehreren Ebenen. Zum einen riskieren die alteingesessenen E-Sport-Zuschauer mal einen Blick aufs Fußball-Feld, während die neuen Anhänger auf die Ursprünge des Teams aufmerksam werden. "Es gibt Leute, die wegen uns anfangen, League of Legends zu spielen oder Bundesliga-Fußball zu schauen. Und das ist doch eigentlich absurd", beschreibt Westphal die Wechselwirkung.
"Reden seit zwei, drei Jahren mit der Politik"
Und auch die Konkurrenz scheint das Projekt zu inspirieren. In der Baller League finden sich, zur Freude von Knabe und Co., zuletzt immer häufiger Fanblöcke anderer Teams, nachdem zunächst nur die Spandauer ihr Team lautstark unterstützten. Das E-Sport-Team von Schalke 04 fuhr im letzten Jahr zu einem Spiel im eigenen Bus vor.
Doch im Idealfall hören die Impulse dort nicht auf. "Wir reden seit zwei, drei Jahren mit der Politik", sagt Westphal. Bei den Gesprächen mit Amtsträgern geht es häufig um E-Sport an sich. Die Sparte hat bisher keine Anerkennung für die Gemeinnützigkeit - weswegen traditionelle Sportvereine es nicht anbieten können. Die Eintracht sorgt auch hier für eine gesteigerte Wahrnehmung, wie der kürzliche Besuch des Bezirksbürgermeisters in Köln beweist.
Realer als man denkt
Vor dem Anpfiff plauderten CDU-Mann Frank Bewig und Knabe auf Twitch über eine mögliche Meisterfeier auf dem Rathausbalkon, falls Eintracht Spandau in der Baller League oder in League of Legends einen Titel gewinnen sollte. Bewig zeigte sich optimistisch. "Wir leben hier alle E-Sport und wollen für eine positive Entwicklung sorgen, auch abseits von Eintracht Spandau. Wenn wir das verknüpfen können, umso besser", führt Knabe aus.
Angesprochen auf Visionen für die Zukunft geht es dann noch einmal weniger um Sketche und unterhaltsame Interviews. Den E-Sport-Nachwuchs Spandaus zu fördern, ist Westphal und Knabe ein großes Anliegen. Und eine noch stärkere Verwurzelung in der Stadt, gegen jede Globalisierungstendenz, die derzeit im Profisport der Normalfall ist. "Im Idealfall sagen die Leute in Spandau irgendwann mal: 'Das ist unser Verein'", so Westphal.
Und so entsteht zwischen all dem Klamauk der Eindruck, dass das Vereinsmotto doch keine glatte Lüge ist. Der Wunsch, einen Impact auf die Gemeinde zu hinterlassen, die Bemühungen um die Sommerfeste, der Austausch mit der Politik, die gute Infrastruktur, um erfolgreich E-Sport betreiben zu können und die Fan-Initiative im Bock zeigen: Hier is realer, als man denkt.
Quelle: ntv.de