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Vip Vip, Hurra! Ist Tessa im Dschungelcamp fehl am Platz?

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Wird wegen ihrer bipolaren Störung und ihres Verhaltens stark kritisiert: Tessa Bergmeier

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Tessa Bergmeier hat mit ihrem Verhalten im Dschungelcamp eine Debatte entfacht. Hobbypsychologen urteilen, die Teilnehmerin gehöre nicht nach Australien, sondern "in die Klapse". Über Vorurteile gegenüber psychischen erkrankten Menschen.

Alle Jahre wieder ruft das Dschungelcamp. Und alle Jahre wieder gehen mit der neuen Staffel die ewig gleichen Vorurteile und Fragen einher: Wie kann man sowas gucken? Hast du die Kontrolle über dein Leben verloren? Brot und Spiele - wo ist deine Würde geblieben? Und natürlich ist es vielen Leuten, die kein Trash-TV schauen, sehr wichtig zu betonen, dass irgendwo ein Sack Reis umfällt.

Dschungelcamp im TV

"Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" ist täglich um 22.15 Uhr bei RTL zu sehen, freitags bereits um 21.30 Uhr. Und natürlich ist die Sendung auch auf RTL+ abrufbar.

Zu den üblichen Fragen, unter anderem, wer diese Leute sind, denen die TV-Nation zwei Wochen lang beim Zanken zuschaut, gibt es in diesem Jahr besonders viel Kritik an einer Person. Ihr Name: Tessa Bergmeier. Die 33-Jährige, die durch Heidi Klums Castingshow "Germany's next Topmodel" einige Bekanntheit erlangt hat, leidet an einer bipolaren Störung. Diese kommuniziert sie offen, was sie wohl auch in der Therapie gelernt hat. Am Dschungelcamp nimmt sie laut eigener Aussage teil, weil ihre Störung rezessiv ist und sie medikamentös gut eingestellt sei.

Nun aber kommen wir zur Frage, bei der viele überlegen, ob man sie überhaupt stellen darf. Darf man sagen, dass man Tessas Gefühlsausbrüche und ihr Verhalten nervig findet? Oder ist man dann ableistisch? Schließlich ist ihre Sprunghaftigkeit mit Sicherheit auch auf ihre Störung und den Stress zurückzuführen. Hat sie deshalb einen Freifahrtschein und darf die anderen Camp-Bewohner so sehr auf die Palme bringen, dass nahezu jede Diskussion eskaliert? Natürlich nicht! Darf der Zuschauer Tessas Verhalten im Dschungelcamp als unausstehlich empfinden? Selbstverständlich.

Die "Synapsenprobleme" der Tessa Bergmeier

Im Umgang mit ihrer Person und ihrer psychischen Erkrankung zeigt sich hier aber ein riesengroßes Problem unserer Gesellschaft gegenüber Menschen, die für viele Leute komplett "irre" sind.

Hobbypsychologen mit dümmster Küchenpsychologie lassen es sich nicht nehmen, das Model für ihr "unmögliches Verhalten" im Camp öffentlich verbal zu zerlegen. So sagte beispielsweise Gina-Lisa Lohfink, Bergmeier gehöre nicht ins Dschungelcamp, sondern "in die Klapse". Auch Thorsten Legat lederte ordentlich über die "irre" und polarisierende Teilnehmerin ab. Die Diagnose von Dr. Legat: Tessa habe "Synapsenprobleme".

"Raus mit ihr aus dem Dschungelcamp!", "Die Frau ist eine Schande für Menschen mit psychischen Erkrankungen!", "Ich bin hochsensibel. Ein Affront für alle, die wirklich hochsensibel sind", lauten nur einige der Kommentare im Netz. In sogenannten Reaction-Videos auf Youtube lässt man sich in einer schier unglaublichen Arroganz über Bergmeier aus, zweifelt sogar an ihren Aussagen, "zu 60 Prozent schwerbehindert", geschweige denn im Besitz eines Behindertenausweises zu sein. Gleichzeitig gibt es Leute, die einen dummen Satz nach dem nächsten palavern, von wegen: "Nichts gegen psychische Erkrankungen, aber ...".

Tessa wird als Lügnerin hingestellt, als eine, die höchstwahrscheinlich einfach nur einen schlechten, unausstehlichen Charakter habe und versuche, ihre Unzulänglichkeit mit ihrer bipolaren Störung zu begründen. In der ganzen Debatte zeigt sich vor allem eines: die tiefsitzenden Vorurteile gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen, frei nach dem Motto: Ist schon okay, wenn du depressiv, manisch oder bipolar bist. Aber doch bitte nicht so! Benimm dich mal anständig! So ein Verhalten ist doch nicht "normal".

In den vergangenen Jahren, so schien es zumindest, wurde viel gegen die Stigmatisierung psychisch kranker Menschen getan. Auch viele Prominente haben sich gezielt eingesetzt, um Depressionen & Co. zu enttabuisieren. In den sozialen Medien trenden Hashtags wie: #Mentalegesundheit.

Pinke Leggings gegen Depressionen

Und eh man sich versah, diagnostizierten sich so manche Influencer einfach selbst und missbrauchen dieses so wichtige Thema für Rabattcodes. Psychische Erkrankungen sind aktuell der Renner auf Social Media. Ein lukratives Geschäftsmodell, um Glückspillen und Stimmungstees zu verhökern. Gerne auch Yoga-Kurse. Und natürlich hilft gegen "depressive Stimmungen" am allerbesten, wenn man pinke Leggins trägt, die man mit dem Rabattcode #mentalfitness 20 Prozent günstiger kaufen kann. Das ist, man kann es nicht anders sagen: wirklich krank.

So erfahren Menschen mit psychischen Erkrankungen erneut Stigmatisierungen. Doch so funktioniert das nicht. Niemand hat zu referieren, wie sich bei fremden Menschen eine psychische Störung auszudrücken habe. Denn Depressionen sind hässlich und nicht pink. Was Erkrankte ganz und gar nicht brauchen, sind fremde Leute, die von außen urteilen, wie sie sich im Inneren zu fühlen oder zu benehmen haben, um in deren Augen nicht "in die Klapse" zu müssen.

Am widerlichsten aber ist, was Bergmeier, die man selbstverständlich anstrengend und unsympathisch finden kann, nun zusätzlich zu ihrer Erkrankung erfahren muss: Hass im Netz. Aktuell werden ihre Social-Media-Accounts mit purem Menschenhass geflutet. Eine Freundin der Dschungelcamp-Teilnehmerin, die derzeit ihren Instagram-Account betreut, hat einige der Nachrichten veröffentlicht, deren Inhalt hier nicht reproduziert werden soll.

Was bleibt, ist die Frage, ob es richtig war, dass Tessa überhaupt nach Australien geflogen ist, um an einem so anstrengenden Projekt teilzunehmen. Niemand außer sie selbst hat das Recht zu entscheiden, was für sie richtig ist. Und wer meint, ins Netz zu rotzen, Menschen wie Tessa gehörten weggesperrt, dem sollte man mindestens für einen Monat den Internetzugang wegnehmen und ihn nur wieder reinlassen, wenn er sich respektvoll in die Causa psychische Erkrankungen einliest und die Küchenpsychologie beiseitelässt. Bis nächste Woche.

Quelle: ntv.de

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