Hure, Detektiv, Kanzlerin Katharina Thalbach hat noch immer viel Fantasie
19.01.2024, 07:11 Uhr Artikel anhören
Mit Kopfbedeckung und Krawatte - Katharina Thalbach liebt Männerklamotten.
(Foto: dpa)
Sie tummelt sich vorwiegend auf den Theaterbühnen Berlins, spielt gelegentlich Altkanzlerin Merkel im Fernsehen oder spricht Hörbücher ein: Katharina Thalbach wird 70 Jahre alt, und zwar voller Humor. Sie wäre gern ein Wurzelwesen mit deutschem Akzent, das man bis zum Mittelpunkt der Erde jagen sollte. Also, sollte Hollywood anrufen.
Katharina Thalbach trägt einen Schnurrbart, er steht ihr erstaunlich gut. Mit ihren durchdringenden, großen Augen verleiht die Schauspielerin ihrer Rolle des Detektivs Hercule Poirot an Bord des Orient-Expresses in der Berliner Komödie am Kurfürstendamm fast eine unheimliche Aura, mit der sie sich Pressestimmen zufolge "ein Denkmal setzt". Die gebürtige Ost-Berlinerin ("Die Blechtrommel") wird am 19. Januar 70 und blickt auf eine lange Karriere als Schauspielerin auf der Bühne und vor der Kamera zurück.
"Was ich am meisten an Katharina Thalbach schätze, ist, dass sie für das Theater brennt und mit ihrem Enthusiasmus alle Beteiligten ansteckt. Wenn sie am Haus arbeitet, versuchen alle, das Unmögliche möglich zu machen. Das beste Beispiel dafür ist ihre Inszenierung 'Mord im Orientexpress'. Als klar war, dass wir keine Sponsoren dafür finden würden, hat sie mich davon überzeugt, das Spektakel trotzdem auf die Bühne zu bringen. Als die Premiere der Inszenierung wegen des ersten Corona-Lockdowns abgesagt werden musste, hat sie mit Vehemenz dafür gekämpft, dass sie die Inszenierung herausbringen kann. Der Kampf hat sich gelohnt. Mittlerweile haben mehr als 92.000 Gäste das Stück gesehen", schwärmt Theaterchef Martin Woelffer.
Ihren Durchbruch hat die Volksschauspielerin bereits mit 15 - als Hure in Bertolt Brechts "Dreigroschenoper", inszeniert von Erich Engels - und im Fernsehen verkörperte sie zuletzt Altkanzlerin Angela Merkel in "Miss Merkel - ein Uckermark-Krimi". Die ulkige Thalbach, die buchstäblich einer Künstlerfamilie entstammt und gerne in Krawatte und klobigen Mützen auf dem roten Teppich oder zu Interviews auftaucht, ist ein fester Bestandteil der deutschen Theater- und Filmszene. Nicht zuletzt, weil sie im ersten Oscar-prämierten deutschen Film "Die Blechtrommel" von 1979 Brausepulver im Bauchnabel hatte.
Älter werden - ein Privileg
Anlässlich ihres runden Geburtstages feiert das Berliner Ensemble mit alten Weggefährten am 20. Januar die Schauspielerin und ihr bisheriges Lebenswerk. Schon lange kennt Thalbach diese Bühne, hat sie doch noch als kleine Katharina ihre ebenfalls schauspielernde Mutter Sabine Thalbach dorthin begleitet, bevor diese mit nur 34 Jahren gestorben ist. Jetzt führt die Jubilarin des Jahrgangs 1954 Familiengepflogenheiten fort und teilt sich am Ku'damm in "Mord im Orientexpress" eine andere Bühne mit Tochter Anna und Enkelin Nellie Thalbach - die ihr wie aus dem Gesicht geschnitten zu sein scheinen.
Seit 2006 hat Katharina Thalbach immer wieder an der Komödie am Kurfürstendamm gearbeitet. "Ohne sie wäre das Haus ein anderes, ist sich Martin Woelffer sicher, "hierfür bin ich ihr unendlich dankbar. Ihre Arbeiten haben uns weit über Berlin hinaus Aufmerksamkeit geschenkt. Sie hat ihre Familie - Tochter Anna, Enkelin Nellie, die Halbbrüder Philippe und Pierre Besson - ans Haus geholt und auch ihre Theaterfamilie, bestehend aus Kreativen und SchauspielerInnen, die sie schon seit Jahrzehnten kennt - beispielsweise den Designer Guido Maria Kretschmer", erklärt der Theaterchef.
Bei all dem Rückblick, den das Älterwerden so mit sich bringt, könnte man sicher auch traurig werden. Im Interview bei "3 nach 9" von Radio Bremen sagte Thalbach noch mit 66, dass sie sich auf jedes neue Lebensjahr freue. Die Ansicht, dass Altwerden auch ein Privileg ist, habe auch mit dem frühen Tod ihrer Mutter zu tun. Und auch wenn die meisten mit 70 bereits in Rente sein dürften, macht Thalbach weiter: Der "Mord im Orientexpress", bei dem sie Regie führt, geht Mitte Mai in die nächste Runde.
Die Berliner Bühnen-Berühmtheit wirkte zuletzt auch an einem Solidaritätsabend gegen Antisemitismus beim Berliner Ensemble mit. An der Seite der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer, Pianist Igor Levit und Publizist Michel Friedman las sie aus Karl Valentins "Die Fremden" gegen das oft als zu laut wahrgenommene Schweigen der Kulturbranche in Bezug auf Antisemitismus an. Nach dem Ausbruch des Kriegs Russlands gegen die Ukraine gehörte Katharina Thalbach zu den prominenten Unterzeichnerinnen von Sahra Wagenknechts und Alice Schwarzers umstrittener Petition "Manifest für Frieden".
"Die Welt ist voller Überraschungen"
Die Trägerin von zahlreichen Preisen (Deutscher Fernsehpreis, Carl-Zuckmayer-Medaille, Konrad-Wolf-Preis, Ernst-Lubitsch-Preis sowie Sonderpreis des Deutschen Hörbuchpreises für ihr Lebenswerk) wirkt nicht ausgelaugt in ihrer beruflichen Vorstellungskraft. In der Vergangenheit äußerte sie immer wieder Ideen - was sie hätte werden können und was sie vielleicht noch machen würde. "Die Welt ist voller Überraschungen. Ich würde gerne noch mal studieren, am liebsten Kunstgeschichte", sagte sie am Rande einer Vorstellung in Dresden vor fast zwei Jahren. Auch Ägyptologie sei wohl mal vor langer Zeit im Rennen gewesen.
Noch einmal "Komödie"-Chef Woelffer: "Ich bin dankbar, dass sie mit uns ins Schiller Theater umgezogen ist und sich auf das Abenteuer eingelassen hat, dort noch einmal 'Hase Hase' zu spielen." 1992 hatte sie dort unter der Regie ihres Vaters die Rolle des Außerirdischen "Hase" gespielt, 2018 übernahm sie unter der Regie von Coline Serreau, der Autorin des Stückes und Witwe ihres Vaters, noch einmal dieselbe Partie. "Wenn ich mir was wünschen dürfte: Ich träume von einer Thalbach-Inszenierung zur Wiedereröffnung der neuen Komödie am Kurfürstendamm," so Woelffer.
Wenn Hollywood sie rufen würde, würde La Thalbach nur eine Rolle spielen: ein Wurzelwesen mit deutschem Akzent, das man bis zum Mittelpunkt der Erde jagen und töten muss. An Ideen mangelt es dem Geburtstagskind scheinbar nicht.
Quelle: ntv.de, soe, mit Weronika Peneshko, dpa