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Rassismus und Islamfeindlichkeit Oscar-Favorit "Emilia Pérez" wegen Skandal-Tweets am Abgrund

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Gascón wollte als Transfrau Filmgeschichte schreiben.

Gascón wollte als Transfrau Filmgeschichte schreiben.

(Foto: Jordan Strauss/Invision/dpa)

Alles scheint bereit für ein richtiges Hollywood-Märchen: Der Musical-Thriller "Emilia Pérez" gilt lange als großer Oscar-Favorit, Hauptdarstellerin Karla Sofía Gascón könnte als erste Transfrau den Oscar gewinnen. Doch dann die dramatische Wendung. Alte Tweets kommen ans Tageslicht - und die haben es in sich.

Innerhalb kürzester Zeit ist der Musical-Thriller "Emilia Pérez" vom größten Favoriten zum Buhmann der diesjährigen Oscar-Verleihung geworden. Schuld sind zum Teil alte Tweets der Hauptdarstellerin Karla Sofía Gascón, die von einer Journalistin in Kanada jetzt - nur rund vier Wochen vor der Verleihung am 2. März in Los Angeles - entdeckt und ans Tageslicht gebracht wurden - und die vor Rassismus, Islamfeindlichkeit und auch vor bösartiger Kritik an Kolleginnen der Branche strotzen.

Die Beiträge der Spanierin, die als erste Transfrau für den Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert wurde, lösten eine Welle der Empörung und des Entsetzens aus. Dabei hatte sich die 52-Jährige erst wenige Tage vor Ausbruch der Affäre über Attacken, Bedrohungen und Beleidigungen im Netz beschwert. Gascón bestritt im Prinzip die Echtheit der meisten ihr zugeschriebenen Skandal-Tweets nicht. Sie schloss schnell ihren X-Account, entschuldigte sich auch. Den Totalschaden kann sie damit aber wohl nicht mehr verhindern.

Branchenblätter und Experten sind sich einig: Gascón habe mit ihren von Journalistin und Podcasterin Sarah Hagi aufgedeckten Posts nicht nur ihre persönlichen Hoffnungen zunichtegemacht, als Transfrau Filmgeschichte zu schreiben. Sie habe außerdem die Chancen der französischen Produktion, die mit 13 Nominierungen bei der 97. Oscarvergabe ganz vorn liegt, ernsthaft gefährdet. Organisationen wie der Rat für muslimische Öffentlichkeitsarbeit in Hollywood (MPAC) zeigten sich schockiert und forderten Konsequenzen.

"Chancen des Films zu Grabe getragen"

Selbst in der spanischen Heimat der Frau geht man mit Gascón hart ins Gericht. Sie habe "fast alle ihre Chancen und auch die des Films zu Grabe getragen", kommentierte am Sonntag die renommierte Zeitung "El País". "Ich bin sicher, dass der Film leer ausgeht", meinte der angesehene Filmexperte Pau Brunet. Bei den Wettbüros stürzten die Quoten des Streifens derweil in den Keller.

Das ist nicht verwunderlich: Politische Korrektheit und Sensibilität gegenüber Minderheiten spielen in Hollywood eine besonders wichtige Rolle. Offene, klare Kritik namhafter Kolleginnen und Kollegen blieb zwar vorerst aus. Die rund 10.000 Academy-Mitglieder, die zwischen dem 11. und dem 18. Februar über die Gewinner in den 23 Sparten abstimmen, werden die jüngsten Vorfälle aber mit Sicherheit zur Kenntnis genommen haben - und in ihre Wahl einfließen lassen.

Des einen Leid ist des anderen Freud

Vom Fauxpas Gascóns dürften in erster Linie das Drama "Der Brutalist" und das Musical "Wicked" (hinter "Emilia Pérez" mit je zehn Nominierungen an Platz zwei) profitieren. Aber auch der brasilianische Film "I'm Still Here", der wie "Emilia Pérez" sowohl in der Sparte "Bester Film" als auch "Bester internationaler Film" sowie "Beste Hauptdarstellerin" (Fernanda Torres) ins Rennen geht, hat nun plötzlich deutlich bessere Chancen.

Dabei hatte kein außerhalb der USA produzierter Streifen zuvor so viele Oscar-Nominierungen wie "Emilia Pérez" erhalten. Gascón spielt darin einen mexikanischen Drogenboss, der sein Geschlecht zur Frau angleichen lässt. Der unkonventionelle und gewagte Film von Regie-Altstar Jacques Audiard wurde unter anderem in Luzern zum besten europäischen Film des Jahres gekürt und holte auch den Golden Globe in der Sparte "Komödie/Musical".

Die Affäre überschattet jetzt diese ganzen Erfolge. Waren die Tweets von Gascón - die kurzzeitig zur viel gefeierten Symbolfigur im Kampf gegen Diskriminierung und Gleichberechtigung avanciert war - wirklich so schlimm? Ja. Sie liegen teils zwar viele Jahre zurück, kamen aber einem Rundumschlag gleich. Wie ein Elefant im Porzellanladen, wie ein spanischer Kommentator meinte, attackierte die Spanierin im Netz nahezu alles und jeden.

Gascón beleidigte nach Berichten von Medien wie "El País" unter anderem Araber und Katalanen, den Islam und die katholische Kirche, Prominente wie Miley Cyrus, Adele und sogar ihre "Emilia Pérez"-Co-Darstellerin Selena Gómez. Auch vor einem Todesopfer der Polizeigewalt in den USA wie George Floyd, den sie als "Junkie" bezeichnet habe, machte die Frau demnach nicht Halt.

Halbherzige Entschuldigung?

"Ich bin ein Mensch, der auch Fehler gemacht hat, macht und machen wird, aus denen ich aber lernen werde", meinte sie in einer ihrer Stellungnahmen. Ihre Entschuldigung blieb aber ohne die gewünschte Wirkung, unter anderem weil ihre Rechtfertigung, die Tweets seien ironisch und teilweise aus dem Kontext gerissen worden, auf viele halbherzig gewirkt hat. Zudem sprach sie von einer "Kampagne des Hasses", die auf sie als Transfrau und auf ihre Arbeit abziele.

In ihrem ersten Interview nach Ausbruch des Skandals sagte sie zu "CNN en Espanol": "Das Erste, was ich ohne Zweifel tun möchte, ist, mich bei allen Menschen zu entschuldigen, die sich durch meine Art der Ausdrucksweise möglicherweise beleidigt gefühlt haben (...) Man hat mir vorgeworfen, rassistisch zu sein, und das bin ich nicht." Sie benutze "viel Ironie, Sarkasmus, manchmal auch Übertreibung", sagte sie auch zu einer Verharmlosung von Adolf Hitler. Einige Tweets seien zudem von "einigen Medien erfunden" worden. Auf ihre Oscar-Nominierung wolle sie nicht verzichten, betonte sie.

Ins Visier der Kritik geriet unterdessen nicht nur Gascón: Auch der Streamingdienst Netflix als Film-Hauptvertreiber und die United Talent Agency (UTA) als Vertreterin der Darstellerin werden zur Rechenschaft gezogen. "So viel Tolpatschigkeit ist schon erstaunlich. Die große Frage lautet: Wieso hat niemand die alten Tweets des neuen Weltstars überprüft?", schreibt "El País".

Quelle: ntv.de, Von Emilio Rappold, dpa

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