"Demokratiepolitischer Skandal" Promis machen gegen deutsche Aufrüstung mobil
22.03.2022, 14:59 Uhr
Drei der Promis, die den Appell unterstützen: Bela B, Katja Riemann und Sebastian Krumbiegel (v.l.)
(Foto: Imago / Collage: ntv.de)
100 Milliarden Euro will Bundeskanzler Olaf Scholz für die Bundeswehr locker machen. Abgesichert werden soll dies als Sondervermögen im Grundgesetz. Doch nicht alle sind mit der massiven Aufrüstung einverstanden. Einen Appell dagegen unterzeichnen auch viele Prominente.
Den Überfall Russlands auf die souveräne Ukraine hat die Bundesregierung als "Zeitenwende" in Europa charakterisiert. Zu den Konsequenzen, die daraus gezogen werden sollen, gehört auch die massive Aufrüstung der Bundeswehr, wie es Kanzler Olaf Scholz bei seiner Rede am 27. Februar im Bundestag angekündigt hat.
100 Milliarden Euro will die Ampel demnach in das Militär investieren und den Betrag als Sondervermögen im Grundgesetz festschreiben. Doch nicht nur das: Fortan soll Deutschland auch kontinuierlich zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Rüstung ausgeben.
Unter dem Schock des Kriegsausbruchs erhielt Scholz dafür zunächst viel Zustimmung. Schließlich will sich auch die oppositionelle Union den Investitionen in den Militärhaushalt nicht grundsätzlich versperren. Doch mittlerweile regt sich zusehends auch Widerstand gegen die Rüstungspläne.
Von Ströbele bis Bela B
So veröffentlichten nun rund 600 Prominente aus Politik, Wissenschaft, Kirche und Kultur einen Appell, der sich gegen die Regierungspläne richtet. Zu den Erstunterzeichnerinnen und -unterzeichnern gehören etwa die ehemalige hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti, Julia Schramm vom Parteivorstand der Linken und der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele.
Weitere Unterstützerinnen und Unterstützer des Appells stammen aus dem gesellschaftlichen Bereich. Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, zählt ebenso dazu wie der IG-Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban oder der Soziologe Klaus Dörre. Schließlich haben sich auch Musiker wie Die-Ärzte-Schlagzeuger Bela B und Die-Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel sowie Schauspielerinnen wie Katja Riemann und Corinna Harfouch dem Protest gegen die Rüstungspläne angeschlossen.
"Durch nichts zu rechtfertigen"
Mit Blick auf die Geschehnisse in der Ukraine stellen die Initiatorinnen und Initiatoren zunächst eindeutig klar: "Dieser Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen. Putin trägt die volle Verantwortung für die Toten und die Menschen auf der Flucht. Putins Begründungen für den Krieg sind Lügen und Propaganda. Wir machen uns große Sorgen über die Zukunft von Frieden und Sicherheit in Europa und der Welt."
Allerdings rechtfertige dies nicht "ein Maßnahmenpaket, das die größte Aufrüstung Deutschlands seit Ende des Zweiten Weltkriegs vorsieht", heißt es weiter. "Eine massive Hochrüstung der Bundeswehr hilft den Menschen in der Ukraine nicht."
Schon jetzt überstiegen "die 'Verteidigungsausgaben' aller 30 NATO-Staaten die russischen um fast das Zwanzigfache", stellen die Unterstützerinnen und Unterstützer des Appells fest. Und weiter: "Die Anschaffung von konventionellen Waffen wie Kampfflugzeugen und bewaffnungsfähigen Drohnen als Abschreckung unter atomaren Militärblöcken ist sinnlos."
"Gefahr massiver Kürzungen"
Die nunmehr für die Rüstung geplanten Ausgaben entsprächen denen mehrerer Bundesministerien, heißt es - "darunter so wichtige Ressorts wie Gesundheit (16,03 Mrd.), Bildung und Forschung (19,36 Mrd.), Innen, Bau und Heimat (18,52 Mrd.), Familie, Senioren, Frauen und Jugend (12,16 Mrd.), Wirtschaft und Energie (9,81 Mrd.), Umwelt (2,7 Mrd.), Zusammenarbeit und Entwicklung (10,8 Mrd.) sowie Ernährung und Landwirtschaft (6,98 Mrd.)." In Verbindung mit dem künftigen Zwei-Prozent-Ziel für die Rüstung, gemessen am BIP, bringe dies auch "die Gefahr massiver Kürzungen im sozialen, im kulturellen, im öffentlichen Bereich mit sich".
Eine solche politische Weichenstellung lehne man "im Namen der Demokratie ab", heißt es in dem Appell. Stattdessen fordere man eine "breite demokratische Diskussion über ein umfassendes Sicherheitskonzept, das die Sicherheit vor militärischen Angriffen genauso einschließt wie pandemische und ökologische Aspekte". Aus Sicht der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner wäre es "ein demokratiepolitischer Skandal", sollte die von Olaf Scholz skizzierte "Wende der deutschen Außenpolitik um 180 Grad" ohne "breite gesellschaftliche Debatte, ohne parlamentarische, ja sogar ganz ohne innerparteiliche Debatte" beschlossen werden.
Während der Appell die Runde macht, hat der Bundestag Beratungen zum Bundeshaushalt aufgenommen. Finanzminister Christian Lindner begründete dabei das geplante Sondervermögen, um die "lange und viele Jahre vernachlässigte Bundeswehr" wieder zu stärken.
Quelle: ntv.de, vpr