"Ich wollte mit dir vögeln" Wie Robbie Williams zum Brennglas-Fall wird
26.06.2020, 18:11 Uhr
Mittendrin statt nur dabei: Robbie Williams.
(Foto: imago images/Pacific Press Agency)
Dass sich Robbie Williams in Interviews offen für Verschwörungstheorien zeigt, sorgt für reichlich Wirbel. Die einen entsorgen ihre CDs des Sängers, die anderen fühlen sich in ihrer Gedankenwelt bestätigt. Auch ein ntv.de Artikel zum Thema wird viel zitiert. Da lohnt sich ein genauer Blick.
Die Aufregung ist groß. Kein Wunder, schließlich ist Robbie Williams die international vielleicht bekannteste Showgröße, die nun ihren Hang zu Verschwörungstheorien öffentlich gemacht hat. Und das nicht zu irgendeiner dieser Theorien, sondern zu einer der populärsten und perfidesten, die seit Jahren die Runde machen, wurde sie doch bewusst zur Diskreditierung von Hillary Clinton im US-Präsidentschaftswahlkampf eingesetzt.
Die Theorie ist absurd und obendrein - entgegen anderslautender Behauptungen, nun auch von Williams - schon lange widerlegt. Noch um einiges absurder sind die Thesen des Esoterikers David Icke, der die Welt von einer Versklavung durch die Illuminaten bedroht sieht und für die Williams ebenfalls Sympathie bekundet. Nichtsdestotrotz finden all diese Theorien im Jahr 2020 Anhänger, als hätte es 300 Jahre der Aufklärung nie gegeben. Deutlich wird das an der Diskussion, die sich auf Twitter um die Causa Robbie Williams entsponnen hat.
Keine Frage: Die Zahl derer, die wegen der Aussagen von Williams entsetzt, erzürnt oder auch einfach nur enttäuscht sind, überwiegt bei weitem die derer, die dem Sänger nun zujubeln und sich von ihm in ihrer Gedankenwelt bestätigt fühlen. Das wird selbst jeder "Lügenpresse"-Rufer einräumen müssen, wenn er das kleine Einmaleins beherrscht und die Pro- und Kontra-Statements zusammenaddiert.
"Linkstwitterija und Mainstream"
Dennoch lohnt es sich durchaus, mal einen genaueren Blick auch auf die Stimmen zu werfen, die sich dem sogenannten QAnon-Lager der Menschen zurechnen, die mehr über die angeblichen dunklen Machenschaften und wahren Vorhänge hinter unser (fast) aller Rücken zu wissen glauben als alle anderen. Nicht, um mit ihnen - wie manche von ihnen fordern - noch einmal das angebliche "Pizzagate" aufzurollen, sondern um auch die weiteren verschwörungstheoretischen Verstrickungen in ihren Twitter-Botschaften aufzuzeigen.
Am deutlichsten wird das vermutlich am Fall von David Icke. Der britische Publizist ist nämlich mittlerweile selbst Gegenstand einer Verschwörungstheorie geworden, da einige - nicht alle - seine Ansichten dann doch für ein wenig zu weit hergeholt halten. So notiert etwa ein Nutzer auf Twitter: "Der Witz ist ja, dass Linkstwitterija und Mainstream, die sich über Robbie Williams und sein Interesse an David Icke mokieren, nicht einmal raffen, dass Icke 'ne Mainstream-Gay-op ist und keine andere Funktion hat, als mit seinem Lizard-Scheiß zig andere Themen zu diskreditieren."
Mit anderen Worten: Icke selbst wird instrumentalisiert oder lässt sich instrumentalisieren, um mit seinen Haudrauf-Ansichten von anderen finsteren Vorgängen abzulenken. Das war übrigens selbst Robbie Williams zu viel. Dies würde bedeuten, dass man eine "Verschwörung an eine Verschwörung an eine Verschwörung" reiht, zeigte er sich in seinen Youtube-Interviews verwirrt. Lieber war es ihm dann doch bei seiner Sympathie für Icke zu bleiben.
"Das ist euer Untergang"
Deutlich wird der verschwörungstheoretische Sumpf aber natürlich auch an den Vorwürfen, die der medialen Berichterstattung über den Fall Williams gemacht werden. So werden die sogenannten "Mainstreammedien" sogleich wieder in ein größeres Verschwörungsmuster hineingestrickt. "Macht nur weiter, MSM (Mainstreammedien, Anm. d. Red.), das ist euer Untergang", schreibt etwa ein Nutzer mit Blick auf den ntv.de Bericht. Ein anderer wiederum, der seinen Post mit Hashtags wie "QAnon" oder "We Are The News" ("Wir sind die Nachrichten") garniert, meint: "Das letzte Interview mit Robbie Williams ist so bedrohlich, dass sogar die deutsche Presse sich darauf stürzt." Und eine weitere Nutzerin sieht den Artikel als Beleg dafür, "wie die Wahrheit die MSM vor sich hertreibt".
Warum ein angebliches "Mainstreammedium" wie ntv.de überhaupt über die Äußerungen von Williams berichten sollte, wenn sie doch so "bedrohlich" sind, bleibt schleierhaft. Auch dass die Interviews des Popstars in dem Artikel sogar prominent verlinkt sind, damit sich doch jeder bitte sein eigenes Bild machen möge, ist den Verschwörungstheoretikern offenbar entgangen. Eines dagegen ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Würden die Medien die Äußerungen von Williams schlicht ignorieren, würden sie ebenfalls ins Kreuzfeuer geraten - dann mit dem Vorwurf, die Aussagen totzuschweigen.
Eher amüsant ist der in 1,5 Sätzen mit vier Adjektiven ("verschwenderisch", diffamierend", "erwünscht", "offensichtlich") formulierte Vorwurf, "wie verschwenderisch der Autor mit diffamierenden Adjektiven um sich wirft, die den Leser einnorden sollen und die erwünschte Haltung vorgeben. Zu offensichtlich."
Ein komisches Bild?
Und auch folgender Einwurf lässt sich leicht parieren: "Bestimmt reiner Zufall, dass ntv.de gleich ein komisches Bild von Robbie Williams parat hat und auswählt." Das Bild vom 20. März 2020 ist schlicht eine der jüngsten Aufnahmen des Sängers in unserem Archiv und auch bei der Bebilderung gilt es, stets möglichst aktuell zu sein. Komisch daran ist allenfalls die verspiegelte Sonnenbrille, die sich Williams aber schon selbst auf die Nase gesetzt hat. Richtig ist, dass dieser Aufzug zufälligerweise auch besser zum Gegenstand seiner Aussagen in dem Artikel passt als irgendeine Hüftschwung-Aufnahme von der Bühne. Das wiederum ist bei der Auswahl des Fotos tatsächlich gewollt. Alles andere wäre eine Text-Bild-Schere, die man in - jedenfalls professionellen - Medien gern vermeidet.
Schon eher zu Herzen nehmen müsste man sich diesen Einwand: "Blöde Witzchen über Robbie Williams machen, statt sich einfach mal mit dem Thema auseinanderzusetzen und ganz ideologiefrei zu denken. Die Wahrheit könnte auch irgendwo zwischen 'da ist nichts dran' und 'da ist was dran' liegen. Die Verschwörungstheoretiker-Keule ist so langweilig." Grundsätzlich ist daran nichts auszusetzen. Eigentlich. Zu Ende gedacht läuft die Forderung jedoch darauf hinaus, sich mit wirklich jedem x-beliebigen Unsinn, der von jedem x-beliebigen Wirrkopf in die Welt gesetzt wird, x-beliebig intensiv auseinanderzusetzen. Der Weihnachtsmann existiert, Donald Trump ist der Teufel persönlich mit einem Pferdefuß, Robbie Williams ist eigentlich eine Frau - "liebe Mainstreammedien, übernehmen Sie!" Nein, manchmal erspart auch schon gesunder Menschenverstand die Recherche.
Sind es die Drogen oder die Isolation?
Womit wir bei der weit überwiegenden Mehrheit wären, die ihre sieben Sinne beisammen hat - und auf die Aussagen des Musikers mit einer Mischung aus Erschrecken, Betroffenheit und Amüsement reagiert. Die Tatsache, dass Nachrichten zu Robbie Williams plötzlich inflationär bei Twitter auftauchten, ließ bei vielen die Alarmglocken schrillen. "Na, habt ihr auch gedacht, Robbie Williams wäre tot? Kann euch beruhigen, offenbar ist er bloß hirntot", brachte es ein Nutzer stellvertretend auf den Punkt.
Einige würden sich angesichts des Outings des Sängers als Verschwörungstheorie-Freund anscheinend am liebsten einen antrinken. Andere haben ob der Nachricht ihr Handy in die Ecke gedonnert oder wünschten, sie hätten die entsprechenden Berichte am liebsten gar nicht erst gelesen.
Der frühere Drogenkonsum des Sängers wird ebenso als mögliche Erklärung für seine umstrittenen Aussagen herangezogen wie die Isolation in der Corona-Krise. "Brennt den Promis die Sicherung durch, wenn sie in einer Villa mit nur 32 Zimmern eingesperrt sind?", fragt sich etwa einer.
"Tschüss, Robbie Williams"
Ganz besonders schlimm trifft das Bekenntnis des Sängers wohl so manchen weiblichen Fan. "Ich wollte dich als junges Ding heiraten, Robbie Williams. Es war mir ernst. Ein Glück ist das nix geworden", schreibt eine Nutzerin zum Beispiel. Eine andere wird noch direkter: "Ach, Robbie Williams, in meiner Jugend wünschte ich, du würdest mir den Verstand aus dem Körper vögeln, ist zum Glück nichts draus geworden, obwohl es zumindest bei dir ja funktioniert hat ... und das Ganze sogar ohne mich."
Nicht wenige fragen sich jedoch auch, mit welchen Konsequenzen Williams nun für seine Karriere rechnen muss. "Sorry, aber dieses 'Künstler und Werk muss man trennen' funktioniert nicht", urteilt etwa ein Nutzer. Bei Williams denke man "ab jetzt immer mit, dass er kruden und gefährlichen Unsinn verbreitet". Ein anderer erklärt: "Tschüss, Robbie Williams. Ich habe dich geliebt, es war eine schöne Zeit, ich werde dich nie vergessen, aber nicht mal mehr 'Feel' mag ich nun noch hören." Und auch die ZDF-Korrespondentin Nicole Diekmann meldet sich zu Wort: "Falls mich jemand sucht: Ich verbrenne das Foto, das mich mit verweinten Augen zeigt, weil Robbie Williams bei Take That ausgestiegen war."
So wie vielleicht bisher kein Fall zuvor wird die Causa Robbie Williams zum Brennglas der Debatte um den Wildwucher der Verschwörungstheorien. Williams hat erklärt, eigentlich wolle er in dieser Diskussion nur die Position eines Beobachters einnehmen. Dass ihm das gelingt, ist fraglich, während sich die einen von ihm distanzieren und die anderen ihn für sich vereinnahmen. Er ist schon mittendrin statt nur dabei.
Quelle: ntv.de