Stieg Larsson ohne Stieg Larsson Das riecht nach "Verschwörung"
13.09.2015, 19:43 Uhr
Noomi Rapace als Lisbeth Salander.
(Foto: picture alliance / dpa)
Betreibt David Lagercrantz Grabschändung, wenn er Stieg Larssons "Millenium"-Trilogie fortsetzt? Ein Erbstreit und Larssons Megaerfolg geben dem Roman "Verschwörung" kommerzielle Starthilfe. Ein Aufsehen erregendes Skandalbuch ist es deshalb noch lange nicht.
"Ich fordere dazu auf, dieses Buch zu boykottieren!" Mit diesem klaren Statement distanzierte sich Krimi-Autor Jussi Adler Olsen von David Lagercrantz‘ Fortsetzung der "Millenium"-Trilogie. Wie Olsen empfinden viele es als unmoralisch, das Werk eines toten Autors ohne dessen ausdrückliche Einstimmung fortzusetzen. Vor allem wenn es sich bei dem Autor um Stieg Larsson handelt.
2004 starb der schwedische Journalist, ein Jahr später erschien postum sein erster Roman "Verblendung". Larssons weitere Romane – "Vergebung" und "Verdammnis" – folgten, eine Buchreihe mit Welterfolg war geboren. Der vierte Band blieb nach Larssons Tod unvollendet. Die Hinterbliebenen wollten ihn nicht von einem anderen Autor weiterschreiben lassen, zunächst jedenfalls. Dennoch liegt der vierte Teil der "Millenium"-Reihe, zehn Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Bandes, druckfrisch in den Buchläden. "Verschwörung – nach Stieg Larsson" so der deutsche Titel, das schwedische Original lautet: "Was uns nicht umbringt".
NSA als Gegner
Wie es doch noch dazu kam? Nach dem plötzlichen Herzinfarkt des Autors entbrannte ein Erbstreit. Eva Gabrielsson, die langjährige Lebensgefährtin Stieg Larssons, war maßgeblich an der "Millenium"-Trilogie beteiligt. Dennoch blieben ihr die Rechte an dem Stoff verwehrt, weil das Erbe Larssons Vater und Bruder zufiel. Sie setzten sich maßgeblich für David Lagercrantz' Fortsetzung der Romanreihe ein. Gabrielsson blieb hingegen skeptisch. Nach dieser Vorgeschichte ist "Verschwörung" der kommerzielle Erfolg sicher. Ist der Roman deshalb auch empfehlenswert?
David Lagercarntz ist Journalist. Er schrieb die Fortsetzung frei nach Stieg Larsson und orientierte sich lediglich an den Ideen des Verstorbenen. Lagercrantz ist kein schlechter Autor, ganz im Gegenteil: Er verleiht der Geschichte um die Hackerin Lisbeth Salander und den Journalisten Mikael Blomkvist jene literarische Note, die Larssons stringentes, faktisches Schreiben vermissen ließ. Auch der Inhalt ist brandaktuell, denn der Gegner ist diesmal die mächtige NSA. Es geht um Wirtschaftsspionage, Auftragsmorde und dreckige Geschäfte mit Kriminellen aus dem Cyberspace. Im Vergleich dazu erscheint der aktuelle Abhörskandal der NSA noch harmlos.
Bis die Geschichte richtig in Fahrt kommt, dauert es aber: Bei detaillierten, für den Laien oft zu drögen, Beschreibungen von Hackerangriffen und intelligenten Quantencomputern dümpeln die ersten 150 Seiten gemächlich vor sich hin. Lisbeth, bei Larsson der mit Abstand fesselndste Charakter, taucht auf den ersten 100 Seiten nicht einmal auf. Es wirkt, als habe Lagercrantz vor der hochintelligenten, zum Autismus neigenden Heldin zu viel Respekt gehabt, um sich ihr menschlich anzunähern.
Femme fatal vs. Superheldin

Die deutsche Ausgabe von "Verschwörung" ist im Heyne Verlag erschienen und kostet 22,99 Euro.
(Foto: picture alliance / dpa)
Doch dann gewinnt die Geschichte um die Ermordung eines schwedischen IT-Visionärs an Dynamik, und es offenbaren sich die schriftstellerischen Stärken von David Langercrantz. Mit ständigen Perspektivwechseln erzeugt er Spannung und Cliffhanger. Die Vielzahl der auftretenden Personen führt allerdings dazu, dass der Leser sich mit keinem der Charaktere anfreunden kann. Mikael Blomkvist entwickelt sich nicht weiter und bleibt ein Journalist der alten Schule. Von Blogs und Twitter hat er so wenig Ahnung ist wie Lisbeth von Kindererziehung. Doch genau in diesem für sie unbekannten Fach muss sich die Hackerin unfreiwillig beweisen.
Zum Glück handelt es sich bei Lisbeths Schützling um einen Autisten, dem sie nicht viel Zuneigung schenken muss. Nebenbei ist er – natürlich ganz zufällig – der Schlüssel zu dem Rätsel, das Lisbeth zu knacken versucht. Und um die Klischees perfekt zu machen, taucht auch noch ihre böse Zwillingsschwester auf, die Lisbeth als femme fatal das Leben schwer macht. Es ist lobenswert, dass Lagercrantz an Larssons Konzept der starken Frauen festhält. Aber Lisbeths Schwester ist so überzeichnet, dass man sich an die bösen Stiefschwestern aus Kindermärchen zurückerinnert fühlt. Mit weniger Personal wäre auf 600 Seiten mehr Platz für wirklich ausgetüftelte Bösewichter gewesen.
Wenig Überraschendes
"Verschwörung" ist dennoch der engagierte Versuch, Larssons "Millenium"-Trilogie eine würdige Fortsetzung zu geben, ohne dessen Stil zu kopieren. Lagercrantz‘ literarischer Sprache gelingt das, obwohl er gelegentlich zu schnell ins Pathetische verfällt. Sätze wie: "Sie schenkte ihm ein Lächeln, das ihm den Glauben an Gott und an das Leben wiedergab", passen einfach nicht in einen ernstzunehmenden Thriller. An die spannungsgeladene Stimmung Stieg Larssons kann Lagercrantz' Fortsetzung nicht anknüpfen, auch weil große Überraschungen und Wendungen ausbleiben.
Wer stilistisch sichere Thriller und starke Frauen mag, kann Gefallen an diesem Roman finden, sogar ohne Larsson vorher gelesen zu haben. Lagercrantz fasst die Vorgeschichte der Charaktere an gegebener Stelle zusammen. Fans der ersten drei Bücher werden aber eher enttäuscht sein, gerade weil Larsson weniger Wert auf Sprache, als auf einen stringenten Spannungsbogen legte. Und auf Lisbeth Salander, die bei Larsson zwar hochintelligent und unnahbar war, aber immerhin menschliche Fehler hatte. In "Verschwörung" wirkt sie dagegen wie einer dieser intelligenten Quantencomputer, um die die Geschichte kreist. Lisbeth wird zur Superheldin stilisiert. Da hat sich David Lagercrantz wohl zu sehr von ihren Marvel Vorbildern inspirieren lassen.
Es ist eine moralische Gradwanderung, das Werk eines Toten fortzusetzten. Wer "Verschwörung" daher wie Jussi Adler Olsen boykottiert, verpasst nicht allzu viel.
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Quelle: ntv.de