Bücher

Kind im Nachkriegsdeutschland Ein Vater wie der von Erhard Dietl

399770962.jpg

Dietl hat von seinem Vater den "unerschütterlichen Mut zur Selbstständigkeit" geerbt.

(Foto: picture alliance/dpa)

Artikel anhören
00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos | Feedback senden

Erhard Dietl ist Musiker, Kinderbuchautor und Illustrator. In seiner Arbeit ist die Welt in Ordnung und voller Liebe. Seine eigene Kindheit ist von einem übermächtigen Vater bestimmt, der Frau und Kindern immer fremd blieb.

Anfang der 1990er-Jahre erfand der Kinderbuchautor und Illustrator Erhard Dietl die Olchis. Die grünen monsterartigen Wesen waschen sich ungern, lieben alles Dreckige, sind am liebsten faul und halten als Familie zusammen wie Pech und Schwefel. Seit Astrid Lindgren weiß man, dass Kinderbuchautorinnen und -autoren durchaus aus ihren eigenen Biografien schöpfen.

ANZEIGE
Ein Vater wie meiner
1
22,00 €
Zum Angebot bei amazon.de

In seinem ersten Nicht-Kinderbuch bekommt man eine Ahnung, wie diese biografischen Prägungen bei dem 69-Jährigen ausgesehen haben. In "Ein Vater wie meiner" wird das Aufwachsen einer ganzen Generation sichtbar. Geboren ist Dietl 1953 in Regensburg. Der Krieg ist schon ein paar Jahre zu Ende, doch im Alltag sind viele seiner Spuren noch immer gegenwärtig. Mutter, Vater, die drei Jahre jüngere Schwester und Rauhaardackel Nicki leben in einer Genossenschaftswohnung. Manchmal musizieren kriegsversehrte Geiger und Sänger auf den Hinterhöfen, an den Häuserwänden sind noch die weißen Pfeile sichtbar, die den Weg in die Luftschutzkeller wiesen. Später zieht die Familie nach München.

All diese Erinnerungen werden wach, als der Vater überraschend nach einem eher ungefährlich erscheinenden Eingriff im Krankenhaus stirbt. Dietl hat ihn bei seinem letzten Besuch recht unwillig rasiert, die damit verbundene körperliche Nähe war ihm ebenso ungewohnt wie unangenehm. "Schon immer waren wir eine berührungsfeindliche Familie gewesen", schreibt er über diesen Moment, der schließlich den Abschied vom Vater darstellen wird.

"Vater, wie er war"

Der Sohn übernimmt Jahre später nach dem Umzug der Mutter in ein Altenheim die Auflösung der Wohnung und damit auch die des väterlichen Arbeitszimmers. Die vermuteten Schätze wie Bücher und Kunstgegenstände erweisen sich als weitgehend wertlos. Die Begegnung mit dem Vater in seinen intimsten Räumen, die hinter den Büchern verborgenen Schnapsflaschen, all das wirkt wie das Eindringen in einen Menschen, der genau davon nichts zeigen wollte. Später gibt ihm die Mutter noch eine Kassette, auf die sie Erinnerungen aufgesprochen hat. Beschriftet ist sie mit: "Vater, wie er war".

Die eigenen Erinnerungen, die der Mutter und später noch einige Tagebuchaufzeichnungen des Vaters zeigen das Bild eines zutiefst selbstbezogenen Menschen. Heute würde man ihn vielleicht narzisstisch nennen. Die Beziehung zur Mutter ist nicht besonders liebevoll, schon unmittelbar nach der Hochzeit möchte er die Ehe am liebsten wieder beenden. Eine Unmöglichkeit im katholischen Bayern dieser Zeit. Gleichzeitig schätzt er es, gemäß dem Familienbild der 1950er-Jahre versorgt zu werden. Das Frühstück kommt ans Bett, es muss ordentlich gekocht und gegessen werden, die Hemden werden sauber gewaschen vorgehalten, während seiner Arbeitszeiten als freiberuflicher Redakteur haben die Kinder in der Wohnung leise zu sein.

Tochter und Sohn sind ihm ähnlich lästig wie die Ehefrau, als Dietl, gerade einmal sechs Wochen alt, nachts in der Wiege weint, will der Vater, dass er mit Schlägen zur Ruhe gebracht werden soll. Später stellt sich heraus, dass der Säugling eine Mittelohrentzündung hat. Schläge bleiben die ganze Kindheit lang ein Thema. "Hat ihm bei euch Kindern etwas nicht gepasst, zack, habt ihr eine drauf gekriegt, das ging ganz schnell", spricht die Mutter aufs Band. Es reicht, nicht brav gewesen zu sein oder nicht die erwarteten Schulnoten abgeliefert zu haben. Als der junge Erhard einmal nicht spurt, wird er ins Bad gesperrt, während der Rest der Familie das Haus verlässt. Bis heute hat er ein Unbehagen in engen Räumen. Die Schwester geht nach Amerika und kommt nicht einmal zur Beerdigung des Vaters.

Selbst ein lausiger Spion

So gnadenlos er seiner Familie gegenüber ist, so wichtig ist ihm das eigene Wohlergehen. Obwohl die finanzielle Lage alles andere als rosig ist, "verlangt" es ihn nach einem Seidenmantel oder neuen Anzügen, wie die Mutter es formuliert. Nicht alles davon wird gekauft, doch immer wieder bringen die Entscheidungen des Vaters die Familie in erhebliche Geldschwierigkeiten. Manchmal können die mit einem weiteren Kredit zumindest vorübergehend gelöst werden, einmal steht aber auch der Gerichtsvollzieher vor der Tür.

Womit der Vater sein Geld verdient, bleibt seltsam unwirklich. Viel abgeworfen hat offenbar kein Job. Er arbeitet als freier Redakteur, später für einen Kalenderverlag und als Fotograf. So kommt er auch in die CSU-Zentrale, dadurch wird die Staatssicherheit der DDR auf ihn aufmerksam. Der notorisch klamme Vater lässt sich kaufen und liefert dafür wohl auch Material. Aber selbst als Spion ist er offenbar nicht überzeugend und so versiegt auch diese Geldquelle wieder. Der Vater schreibt daraufhin einen Roman, der nicht veröffentlicht wird.

Bei seiner Spurensuche stößt Dietl noch auf einen anderen Mann, der offenbar auch in seinem Vater verborgen war. Dieser Mann ist fürsorglich und aufmerksam, nur eben zu einer anderen Frau als seiner Ehefrau und zu deren Kind. Und selbst diese Frau betrügt er noch um Geld.

Traumfamilie statt Traumafamilie

Mehr zum Thema

Erhard Dietl ist zugleich gnadenlos in der Beschreibung dieses Mannes und unendlich nachsichtig. Deshalb stehen Beschreibungen der Mutter wie: "Er war oft so beschissen damals, aber ich glaub, dass der Mann so gemütsarm war, dass er gar nichts dafür konnte" neben Sätzen wie: "Vielleicht war mein Vater empfindsamer und verletzlicher, als man es ahnen konnte, aber bestimmt war er kein glücklicher Mensch."

Beim Lesen möchte man Dietl die ganze Zeit seine stinkenden Olchis unter die Nase reiben, die in ihrem Familienverband glücklich sind und Spaß miteinander haben, die sich den spießigen Regeln von Funktionieren und Sauberkeit entziehen und dafür Freiheit eintauschen. "Wenn Sie so wollen, hab ich mir damit tatsächlich meine Traumfamilie erschaffen", sagt er selbst im Interview mit seinem Verlag über diesen Entwurf. Immer, wenn er versöhnlich über den unnahbaren, gewalttätigen und egozentrischen Vater spricht, möchte man ihm etwas über liebevolles Aufwachsen erzählen und ihm versichern, dass auch er das verdient und gebraucht hätte.

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen