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"Schlachtensee" Helene Hegemanns krasse Welt im Grünen

Idylle pur - der Schlachtensee. Aber auch tief. Mit fiesen Strömungen. Wie Helene Hegemanns Buch.

Idylle pur - der Schlachtensee. Aber auch tief. Mit fiesen Strömungen. Wie Helene Hegemanns Buch.

(Foto: Christophe Gateau/dpa/Symbolbild)

Zugegeben - der Titel "Schlachtensee" ist irreführend. Und auch die Überschrift dieses Textes. Denn es geht weder um das Naherholungsgebiet in Berlin noch um Helene Hegemanns Laubenpieperfantasien. Hegemanns Welt ist die der Sprache, und die kann hart sein, lustig, aufregend, erregend, brutal.

Helene Hegemann ist auch älter geworden. Denen, die sie immer noch mit der Aufregung um "Axolotl Roadkill" in Verbindung bringen, sei gesagt: Da ist 'ne Menge passiert seitdem. Die Autorin ist mittlerweile 30, hat mindestens einen Max-Ophüls-Preis und eine Teilnahme beim Sundance-Filmfestival absolviert, weitere Bücher gehen auf ihr Konto. Sie inszeniert, führt Regie und weiß viel über Patti Smith. Trotzdem hat man, wenn man sie lesen hört oder sieht, immer noch das Gefühl, dass da ein sehr junges Mädchen vor einem sitzt. Ein junges Mädchen mit einer alten Seele meinetwegen, aber so neugierig, so unkonventionell, das verbinde ich eben mit jung. Andere 30plus-Jährige heiraten Bundesfinanzminister und müssen über sich lesen, dass das Volk diese Hochzeit zu großen Teilen gar nicht so gut findet, weil da viel Steuergeld verbraten wird, das man auch gut in anderen Bereichen gebrauchen könnte. Egal, so lange wir neidisch sind auf die Briten und ihre Queen, die schließlich auch immer mit viel Pomp und Steuergeldern feiert und sich fast niemand beschwert darüber, solange dürfen wir nicht nörgeln, dass andere sich auch mal Sonnengott-ähnlich verhalten wollen.

Und eigentlich soll es hier ja auch um Helene Hegemann gehen. Und ihr neues Buch "Schlachtensee", eine wilde Sammlung von Kurzgeschichten, die einem zum Teil gefallen könnte und zum anderen nicht. Mir gefällt, dass man das Gefühl haben darf, sich mitten im Kopf des jeweiligen Protagonisten einer Kurzgeschichte zu befinden. Vielleicht entspricht das meinem sprunghaften Wesen, der Kopf rattert, er denkt eben noch, ich muss die Betten machen, einkaufen, den Text zu Ende schreiben und mittendrin denkt derselbe Kopf halt darüber nach, dass man der Nachbarin von gegenüber echt gerne mal die Meinung geigen würde. "Die Meinung geigen" - ich bitte Sie! Helene Hegemann könnte das besser, cooler, eleganter und grausamer ausdrücken, sie würde wahrscheinlich sagen, dass sie die Alte einfach killen will. Ihr zumindest wehtun. Und auch wüsste, wie. Einfach zu Tode erschrecken ginge zum Beispiel. Diese Nachbarin ist alt und eine Nervensäge, schreit nachts manchmal die halbe Straße zusammen, weil jemand vor ihrem Haus parkt, und über den Punkt des Mitleids und die Frage, ob sie eventuell nur eine vergrämte einsame Alte ist, bin ich längst hinaus, seit sie mich als Kapitalistensau beschimpft hat, bloß weil ich drei Autos habe. Und nein, ich möchte nicht darüber sprechen, das ist privat.

Der Körper - und was er mit einem macht

Bei "Schlachtensee" gefällt mir, dass das Cover des Buches super ist. Dass ich den Schlachtensee per se liebe. Drumherum laufe, mit dem Hund Gassi gehe (aber nur auf der einen Seite), dass ich darin schwimmen oder darauf standuppaddeln kann und in der ortsansässigen Gastronomie schon so manche Party gefeiert habe. Well, das geht, liebe Mitte-Schnitte, Prenzelberger, Neuköllner und KreuzbergerIn, im Südwesten Berlins ist oft mehr los, als man denkt. Aber auch darum geht es in dem Buch nicht, das den Namen nur trägt, weil die Autorin der 15 Kurzgeschichten diese just in der Nähe dieses mehr oder weniger stehenden Gewässers zu Papier gebracht hat.

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Irgendwo habe ich online in einer Kundenrezension des Buches gelesen, dass dieses Buch "typisch Helene Hegemann" sei. Darüber musste ich nachdenken. Und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich nicht wüsste, was typisch Helene Hegemann ist, und dass ich das auch anmaßend finde. Ich bin ja nicht in ihrem Kopf drin. Ich lese nur, was sie schreibt. Vielleicht lacht sie währenddessen, ist ängstlich oder weint, vielleicht ist sie neutral, wer weiß das schon. Und was ist schon "typisch"?

Was stimmt, ist, dass diese Denke von ihr faszinierend ist. Böse Zungen würden behaupten, dass es vielleicht manchmal ein wenig gewollt wirkt. Ich finde, sie übertreibt einfach nur. Und das ist nun mal geil. Aus einer Kurzgeschichte könnte man fast drei machen, so viel passiert da. Und dann nicht zu vergessen die Tiere: Von einer auf der Wolga treibenden Kuh bis hin zu einem erschlagenen Pfau ist da eine Menge los, da fallen ein paar Katzen, Hunde und Vögel mehr oder weniger fast nicht weiter ins Gewicht. Immer ist es etwas eklig, aber auch anziehend, es gibt Sex und Tod und Liebe und Freundschaft und Familie und Gleichgültigkeit, Reisen und Heimat. Es geht um Körper und auch Körperflüssigkeiten und was man mit diesem Körper so alles machen kann oder was er mit einem macht.

Hegemann ist krass. Also ihre Art, zu schreiben. Das ist ein Wort, das sowohl positiv als auch negativ besetzt werden kann, ganz, wie man es wünscht. Es passt zu ihr, finde ich, ohne anmaßend sein zu wollen. Und: Das Gute an Kurzgeschichten ist, dass sie kurz sind. Man kann sie lesen, muss aber nicht, und man kann einfach zur nächsten springen, wenn einem, sagen wir, eine Dreiecksgeschichte, die zu einer Vielecksgeschichte ausufert, nicht genehm ist. Oder das Kreisen einer Person um sich selbst überhandnimmt, man den ganzen Mist über Drogen und Weltschmerz nicht mehr lesen mag. Dann könnte man mitten in der Nacht ja auch einfach aufstehen und der Hexe von gegenüber auflauern. Zum Beispiel.

Quelle: ntv.de

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