Genie bei der Arbeit Wie Chaplin seine Meisterwerke schuf
28.11.2015, 14:12 Uhr
Charlie Chaplin in einem seiner berühmtesten Filme: "Der große Diktator".
(Foto: Roy Export Company Establishment)
Chaplin war ein Kontrollfreak. Bei seinen Filmen führte er Regie, schrieb Drehbuch und Musik und kümmerte sich um fast alles. Ein Buch rekonstruiert seine Arbeitsweise und bietet einen ungewohnten Blick in Leben und Werkstatt des Filmemachers.
Wer behauptet eigentlich, dass es einfach wäre, Komödien zu drehen? Charlie Chaplin hätte das ganz sicher nicht so gesagt. Die Filmlegende galt als Perfektionist, der alle Details seiner Filme kontrollierte. Er führte nicht nur Regie und trat als Hauptdarsteller auf, sondern schrieb auch das Drehbuch, komponierte die Musik und produzierte - mischte sich also in alle Bereiche ein. Andererseits entstanden auf diese Art und Weise Klassiker wie "Goldrausch", "Lichter der Großstadt", "Moderne Zeiten" und "Der große Diktator".
Wie akribisch er seine Filme im wahrsten Sinne des Wortes erarbeitete, zeigt das Mammutwerk "The Charlie Chaplin Archives" aus dem Taschen-Verlag. Auf 560 Seiten im XXL-Format breitet Herausgeber Paul Duncan das Werk Chaplins aus, von seinen Wurzeln im englischen Varieté bis zu jenen Projekten, die im Anfangsstadium stecken blieben und nie realisiert wurden.
Das Buch, das auf Englisch erscheint, dem aber eine Broschüre mit den deutschen Übersetzungen beiliegt, reiht sich in andere umfangreiche filmhistorische Werke des Taschen-Verlags ein, in die Bücher über die "James Bond"-Filme oder Stanley Kubrick. Mit jenem verbindet Chaplin die detaillierte Arbeitsweise, die jedes noch so kleine Detail kontrollieren wollte.
Von der Theatertruppe zum Film
Manchmal dauerte es Jahre, bis Chaplin seine abendfüllenden Filme fertig stellte. Nicht selten unterbrach er die ohnehin schon langsamen Dreharbeiten für Pausen, wenn ihm die Ideen ausgingen. Es wäre heute ein Albtraum eines jeden Produzenten - und Chaplin hätte wohl keinen Film fertiggestellt, hätte er nicht selbst die Zügel in den Händen gehalten und wäre aufgrund seiner Beliebtheit ein Garant für Kassenknüller gewesen.

Chaplin schminkt sich selbst bei den Dreharbeiten von "Goldrausch".
(Foto: Roy Export Company Establishment)
Doch das Buch beschränkt sich nicht auf die berühmten Langfilme, mit denen Chaplin endgültig zu einem der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts wurde. Das Buch beginnt bei Chaplins ersten Auftritten auf englischen Theaterbühnen, auf die er seinen Eltern folgte. Es folgen Tourneen mit Fred Karnos Theatertruppe, die ihn (übrigens zusammen mit Stan Laurel) auch nach Nordamerika führte, und dort dann erste Engagements in der jungen Filmindustrie: Keystone, Essanay, Mutual und First National sind die Namen der Filmstudios, bei den Chaplin danach Karriere machte. Das Buch widmet dieser Zeit dankenswerterweise viel Platz. Denn dort entwickelte Chaplin recht schnell seine berühmte Figur des Tramps, des kleinen Verlierers mit Melone, Stock und Schnauzbart. Hier wurde er vom komödiantischen Nebendarsteller zum Weltstar.
Die Arbeitsweise von Herausgeber Duncan ist dabei ebenso akribisch wie Chaplins Arbeitsweise. Es gibt keinen zusammenhängenden Text im üblichen Sinne. Stattdessen werden Auszüge aus Büchern, Artikeln und Interviews aneinandergereiht, die die jeweilige Schaffensphase behandeln. So kommt Chaplin etwa in Form von Auszügen aus seiner Autobiographie selbst zu Wort. Daneben durchsuchte Duncan das umfangreiche Archiv des Filmemachers, in dem sich Arbeitsunterlagen, Pressespiegel, Produktionsberichte und Szenenregister fanden. Daneben wurden Interviews und Bücher ausgewertet, die sich mit Chaplin befassen.
Ein reiches Bildarchiv

"The Charlie Chaplin Archives", erschienen bei Taschen, Hardcover im Halbleinen, 560 Seiten, Erstauflage mit Filmstreifen, 150 Euro.
Das alles ordnet Duncan chronologisch an und rekonstruiert so die Entstehung von Chaplins Meisterwerken. Nicht immer ist das einfach zu lesen, weil die einzelnen Stimmen manchmal nur einen Satz umfassen und dann der Sprung zum nächsten Zitat folgt. Aber es ist wohl der sinnvollste Ansatz, um Chaplins Arbeitsweise nahe zu kommen, der sich ansonsten von niemanden in die Karten schauen ließ.
Der Text ist natürlich ein Lobgesang auf Chaplin und seine Kunst. Der Band prunkt allerdings auch durch seine Bildauswahl. Von frühen Kindheitsbildern bis ins hohe Alter - Chaplin starb 1977 mit 88 Jahren in der Schweiz - sind alle Lebensphasen vertreten. Nicht selten bekommt man dort einen Chaplin zu sehen, wie man ihn bisher nicht gesehen hat: als Kind, als jungen Schauspieler auf Theaterbühnen, als aufstrebenden Filmstar und hinter den Kulissen seiner großen Filme, sowie auf Privataufnahmen, Filmplakaten und in unzähligen Briefen und Dokumenten.
"The Charlie Chaplin Archives" macht seinem Namen alle Ehre: Es ist das umfangreichste und perfektionistischste Werk, das man von einem der größten Künstler des 20. Jahrhunderts in die Finger bekommen kann. Es entspricht in seiner Machart der Arbeit seines Protagonisten: Detailgenau und akribisch will es möglichst alle Facetten von Charlie Chaplin beleuchten. Wer sich nur am Rande mit ihm beschäftigt, könnte leicht erschlagen sein vom inhaltlichen Reichtum des Buches. Filmenthusiasten, Filmhistoriker und Chaplin-Fans kommen dagegen kaum daran vorbei.
"The Charlie Chaplin Archives" direkt bei Amazon bestellen. Die Erstauflage des Buchs enthält einen originalen Filmschnipsel einer 35-mm-Filmrolle aus dem Chaplin-Archiv.
Quelle: ntv.de