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Caroline Wahls "Windstärke 17" Ida schwimmt gegen den Wutklumpen im Bauch an

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Egal wie aufgewühlt die Ostsee ist, Ida geht schwimmen.

Egal wie aufgewühlt die Ostsee ist, Ida geht schwimmen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Mit "22 Bahnen" landete Caroline Wahl im letzten Jahr einen Überraschungserfolg. In ihrem neuen Roman "Windstärke 17" steht nach Tilda nun die jüngere Schwester Ida im Fokus. Und die flieht mit Schuldgefühlen und einem Wutklumpen im Bauch nach Rügen.

Das Schwesternpaar Tilda und Ida hat es in die Herzen vieler Leserinnen und Leser geschafft. Jetzt geht ihre Geschichte weiter, vor allem die von Ida. Sie steht im Mittelpunkt von "Windstärke 17", dem neuen Roman von Caroline Wahl, die mit "22 Bahnen" vor einem Jahr Leserschaft, Buchhandel und Kritik überraschte und begeisterte. Der Debütroman der in Rostock lebenden Autorin wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet und eroberte direkt die Spiegel-Bestsellerliste. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Textes hat sich auch ihr zweites Buch dort an die Spitze gesetzt.

In "22 Bahnen" erzählte Wahl von einer dysfunktionalen Familie - aus Sicht der zwischen Verantwortung und dem Wunsch nach Freiheit hin- und hergerissenen Tilda. In einer Kleinstadt kümmerte sie sich um ihre jüngere Schwester Ida und die alkoholkranke, unberechenbare Mutter, von ihr als Monster bezeichnet, die wenige gute und viele schlechte Momente hatte. Dann ging Tilda nach Berlin, um eine Promotionsstelle anzutreten. Ida ist bei der immer mehr in die Sucht abgleitenden Mutter geblieben und in "Windstärke 17" nun erwachsen geworden. Sie malt nicht mehr, sondern schreibt, studiert Literaturwissenschaft und mag noch immer Vanillepudding und Kleidung in knalligen Farben.

Zu Beginn des Romans verlässt sie die Wohnung, in der sie aufgewachsen ist, hinter sich her zieht sie einen kaputten, marinefarbenen Hartschalenkoffer, in dem sie ein paar Lieblingsklamotten und ihren Laptop verstaut hat. Eigentlich will sie zu Tilda, die lebt inzwischen mit ihrer Jugendliebe und fünfjährigen Zwillingen als Mathematikprofessorin in Hamburg. Aber dann stellt Ida ihr Handy auf Flugmodus und steigt erst auf Rügen wieder aus dem Zug - ohne eine Idee, was sie dort will, aber mit einem riesigen Wutklumpen im Bauch.

Tote Mutter und "Scheißtochter"

Denn Ida ist aus ihrem Zuhause buchstäblich geflohen und hat die Wohnung gekündigt. Die Mutter ist tot, sie hat sich vor zwei Monaten das Leben genommen, Ida fand sie, als sie von einer Reise zurückkehrte. Auf der Beerdigung war sie nicht, sie fühlt sich schuldig, habe immer weniger nach ihrer Mutter gesehen und "ihr zunehmend nur zugeschaut bei ihrem Abgang, anstatt etwas dagegen zu tun. Ich bin eine schlechte und schwache Scheißtochter. Ich war eine schlechte und schwache Scheißtochter, und jetzt bin ich einfach nur noch allein."

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Auf Rügen lernt Ida Knut kennen, den Besitzer der "Robbe". Als Ida zusammenbricht, nehmen der Kneipenwirt und seine Frau Marianne die gestrandete junge Frau bei sich zu Hause auf. Sie bekommt das Zimmer und den pinken Nickianzug der ausgezogenen Tochter inklusive Eukalyptus-Bäder und morgendliche Aufbackbrötchen. Idas Tagesablauf: Morgens powert sie sich beim Schwimmen in der Ostsee aus, tagsüber verbringt sie Zeit mit Marianne, sie walken gemeinsam durch den Wald, gehen auf den Markt, kochen und spielen Gesellschaftsspiele. Abends hilft Ida dann in der "Robbe", nachts findet sie kaum Schlaf, dafür gleich mehrmals ihre Mutter, die nicht mehr atmet.

Von all dem, was sie bei ihrer Mutter nie kennengelernt hat, bekommt sie bei Knut und Marianne eine Ahnung. Die beiden päppeln Ida wieder auf, geben ihr Sicherheit und stellen wenige, dafür die richtigen Fragen. Und dann ist da noch der Techno-DJ Leif, dem das Leben auch gerade etwas schwerfällt und der auf die Insel zurückgekehrt ist, um seinen dementen Großvater zu betreuen. Für Ida ist alles plötzlich etwas erträglicher - aber dann wird ihre Welt erneut erschüttert.

Wahl hat Ida, die schon im Vorgängerbuch ihren ganz eigenen Kopf hatte, zu einer spannenden Figur weiterentwickelt. Die junge Frau ist auf eine anrührende Art widerborstig, wütend und neigt dazu, immer mal wieder Mist zu bauen. Und damit verhält sie sich völlig anders als Tilda, die immer zu wissen scheint, was richtig ist.

Schwimmen in Bahnen und stürmischer See

Die unterschiedlichen Charaktere der beiden Schwestern zeigen sich auch an einem Element, das beide Romane verbindet: das Wasser. Schwamm Tilda im Freibad täglich ihre titelgebenden "22 Bahnen", ist bei Ida alles verzweifelter, wilder und mit mehr Risiko. Die Wettkampfschwimmerin stürzt sich in die Ostsee, egal, wie sehr der Sturm die Wellen aufpeitscht, und krault ihrer Trauer und ihren Schuldgefühlen davon - sozusagen der Windstärke 17 in ihrem Inneren. "Jedes Mal, wenn ich ins Meer schwimme, gebe ich ihm die Möglichkeit, mich mitzureißen, mich zu töten, und es tut es nicht. Das rechne ich ihm hoch an. (…) Ganz selten habe ich das Gefühl, und das ist das schönste Gefühl, dass es mich auch ein bisschen als Teil von sich akzeptiert."

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Beeindruckend ist auch dieses Mal wieder die Sprache. Wahl hat einen Ton gefunden, der schon jetzt als unverwechselbar bezeichnet werden kann und mit einer gewissen Rotzigkeit und einer Prise Humor versehen ist. Und der etwas sehr Direktes, Unvermitteltes hat und daher oft als "echt" wahrgenommen wird. Besonders die Dialoge sind eine Stärke von Wahl: knapp, schnell, immer auf den Punkt, meint nur durch den Namen des Sprechenden plus Doppelpunkt gekennzeichnet.

Steht das Buch also zu Recht auf der Bestsellerliste? Ja, auch wenn "22 Bahnen" inhaltlich ein wenig überzeugender war und als Gesamtkonstruktion auf den Überraschungseffekt bauen konnte. Aber die Autorin schafft es erneut, mit ihrer Themenwahl und ihrer stilsicheren Umsetzung eine breite Leserschaft von jünger bis älter anzusprechen. Und Fans dürfen sich schon jetzt freuen: In mehreren Interviews hat Wahl verraten, dass sie bereits an ihrem dritten Buch schreibt. Es soll in Bayern spielen.

Quelle: ntv.de

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