Galliger Kampf um Stalins Erbe Die Stunde der Heuchler
28.03.2018, 10:06 Uhr
Offiziell trauert man um Stalin - hinter den Kulissen tobt der Machtkampf.
(Foto: 2017 Concorde Filmverleih GmbH)
Ist das zum Lachen? Stalin hat einen Schlaganfall und die anderen kämpfen schon erbittert ums Erbe. Mit viel schwarzem Humor erzählt "The Death of Stalin" von diesem Intrigantenstadl. Bis einer tot im Hof liegt. Überzeugend dank exzellenter Darsteller.
Da liegt der Diktator, in seiner eigenen Pisse. Ein Schlaganfall hat Stalin niedergestreckt. Reglos, hilflos, einer der brutalsten Schlächter der Geschichte. Es ist der 1. März 1953, wenige Tage später stirbt der Führer der Sowjetunion und eine blutige Epoche endet.
Wenn das kein Grund ist, eine Komödie daraus zu machen. "The Death of Stalin" von Regisseur Armando Iannucci behandelt die Stunden und Tage um Stalins Tod - voller Satire, mit galligem Humor, ja sogar Slapstick, aber auch sehr bitteren Szenen. Es ist eine Gratwanderung angesichts der Millionen Toten, die Stalins Herrschaft gekostet hat. Und angesichts seiner Verehrung, die in Putins Russland wieder zunimmt. Dort wurde der Film denn auch verboten - man treibt eben keine Späße mit den Säulenheiligen des mächtigen Russland.
Iannuccis Film, der auf einem soeben auch in Deutschland erschienenen französischen Comic basiert, zeigt sich respektlos gegenüber der Macht. Er reiht sich ein in die Tradition von Lubitschs "Sein oder nicht sein" oder Chaplins "Großem Diktator" - Filme, die einer Schreckensherrschaft Humor entgegensetzen. Mit dem Unterschied, dass Stalins Verbrechen längst bekannt sind. So fällt der Humor von "The Death of Stalin" sehr schwarz aus, das Lachen bleibt einem immer wieder im Halse stecken. Etwa wenn die Hinrichtungen mitten in der Reihe der Gefangenen enden, weil man nach Stalins Tod nicht weiß, wie es weitergeht. Der eine hat Pech, der Nebenmann Glück gehabt. Aber so abgedreht und absurd es im Film auch zugeht - die Frage steht im Raum, ob das Gezeigte nicht doch realistisch ist oder von den tatsächlichen Begebenheiten sogar noch übertroffen wurde.

Malenkow (r.) führt das ZK, aber er ist nur eine Marionette für Beria.
(Foto: 2017 Concorde Filmverleih GmbH)
Das zeigt schon die Eingangsszene: Stalin wünscht schnellstens die Tonaufnahme eines gerade im Radio übertragenen Konzerts. Doch was, wenn dieses gar nicht mitgeschnitten wurde? Dann wird es halt wiederholt. Der Saal wird mit Bauern von der Straße gefüllt und der Dirigent im Schlafanzug aufs Podium geschleift. Es ist zum Lachen, wie die Verantwortlichen in Panik geraten ob Stalins Befehl. Oder ist das nicht vielleicht eine normale Reaktion in einem paranoiden Land, in dem ein falsches Wort, ein missachteter Befehl das eigene Leben beenden kann? Andere Szenen zeigen, was Stalins Terror bedeutet: Familien werden auseinandergerissen, Menschen im Minutentakt hingerichtet, Angst ist allgegenwärtig.
"No problem", "No! Problem!"

Konkurrenten und Strippenzieher: Beria (l.) und Chruschtschow. Mittendrin: Olga Kurylenko als Pianistin Maria.
(Foto: 2017 Concorde Filmverleih GmbH)
Trotz dieses Dilemmas, realem Terror mit Humor zu begegnen, funktioniert "The Death of Stalin". Das liegt einerseits an Regisseur Iannucci, der unter anderem als Schöpfer der Erfolgsserie "Veep" sein Talent für politischen Humor bewiesen hat und immer wieder geschliffene Dialoge aus dem Hut zaubert. Andererseits kann er auf ein exzellentes Ensemble vertrauen, das durch die Bank ein gutes Gespür für Timing und Witz besitzt: Steve Buscemi als strategischer Chruschtschow, Jeffrey Tambor als der schwache Stalin-Stellvertreter Malenkow, Simon Russell Beale als gerissener Geheimdienstchef Beria und Michael Palin als sich windender Molotow.
Sie alle eilen zu Stalin, der da in seiner Pisse auf dem Boden liegt. Sollte man nicht einen Arzt rufen, fragen sie sich. Blöd nur, dass die besten Doktoren des Landes im Lager sitzen oder erschossen wurden. Oder doch erst das Zentralkomitee zusammenrufen, um zu bestimmen, wie es weitergeht? Die Trauer währt nur kurz. Noch während alle Zeugen beseitigt werden, beginnt das große Belauern im Rennen um die Macht. Jeder sucht seinen Vorteil oder besser noch: die anderen zu diffamieren.
Man diskutiert, man streitet, man intrigiert. Man umgarnt Stalins Kinder, würde sie aber am liebsten loswerden, für immer. Soll Stalins Terror - an dem alle selbst beteiligt waren - weitergehen oder ist es Zeit für Reformen? Kann dieser Übergang überhaupt gelingen? Und wer würde dann auf der Strecke bleiben? Jeder fürchtet, sich aus der Deckung zu wagen und am Ende allein dazustehen. Nach dem Motto: Wer sich zuerst bewegt, stirbt. Man muss flexibel bleiben. "No problem", sagt Malenkow an einer Stelle (des englischen Originals). Noch im gleichen Atemzug versichert er aber, er habe eigentlich "No! Problem!" sagen wollen. Alles muss interpretierbar sein, alles muss ins Gegenteil gewendet werden können, falls der Wind sich nochmals dreht. Es ist die Stunde der Heuchler.
Machiavelli hätte seine Freude
Nach Jahren des Terrors, in dem etliche hochrangige Politiker zu Tode kamen, hat die Sowjet-Spitze verlernt, öffentlich die eigene Meinung zu äußern. Zu hoch ist der Preis, den man bei einem falschen Wort zahlen müsste. Auch darum geht es dem Film: Zu zeigen, was Jahre der Repression anrichten. Man könnte sich das gut als düsteres Polit-Drama vorstellen. Eine Ode auf den Machiavellismus, ein Spiel um die Macht ohne Rücksicht auf Verluste. Aber es ist wohl Iannuccis Erfahrung mit politischer Comedy geschuldet, dass das Thema auch als Komödie funktioniert. Die Dialoge treffen ins Schwarze, Körpersprache und Duktus der Darsteller entlarven die Protagonisten.
Auftritt General Schukow. Der Weltkriegsheld und Oberbefehlshaber der Roten Armee bringt Bewegung in die Sache. Jason Isaacs verleiht ihm eine großartige Mischung aus eitler Arroganz und Tatendrang. Die Waage neigt sich - die Geschichte hat ja gezeigt, wie die Sache ausgeht und wie sie weitergeht. Sturz folgt auf Sturz. Auf historische Korrektheit hat es "The Death of Stalin" allerdings nicht angelegt. Zwar stimmen die Rahmenbedingungen und groben politischen Abläufe, aber die individuelle Ausgestaltung ist fiktiv.
So persifliert Iannucci die Paranoia unter Stalins Herrschaft, indem er die potenziellen Nachfolger des Diktators diese Paranoia am eigenen Leib erfahren lässt. Sie leiden, bangen, hoffen. Jeden kann es treffen, jederzeit. Der große Terror im kleinen Politbüro. Dessen Verlogenheit ist auch eine Abrechnung mit dem real existierenden Kommunismus, der doch besser sein wollte. Aber es geht nur um Macht. Am Ende liegt einer tot im Hof. Das Spiel ist entschieden. Machiavelli hätte seine Freude und lauthals mitgelacht.
"The Death of Stalin" startet am 29. März in den deutschen Kinos.
Quelle: ntv.de