Ein Herz und eine Tochter Ein Ekel namens Wilson
01.07.2017, 16:25 Uhr
Wilson findet seine Familie - aber kann das gutgehen?
(Foto: 2017 Twentieth Century Fox)
In der Realität würde man es keine zwei Minuten mit ihnen aushalten. Auf der Kinoleinwand jedoch werden die ekelhaftesten Menschen zu den heimlichen Helden. Auch Wilson rüpelt sich durch die Welt. Bis er erfährt, dass er eine Tochter hat.
"Ich bin ein Menschenfreund", sagt Wilson. Hundertprozentig. Darum setzt er sich im halbleeren Café garantiert an den einen Tisch, an dem gerade jemand vor seinem Laptop sitzt - und beginnt, ihn vollzuquatschen. Oder er geht mit seinem Hund spazieren, um dann jene zu verhöhnen, die das Tier süß finden. Wilson ist misanthropisch, sarkastisch, grundehrlich - und folglich äußerst beleidigend, wenn er seinen Mitmenschen regelmäßig zu nahe tritt.

Andere Leute auf der Toilette ansprechen? Für Menschenfreund Wilson kein Problem.
(Foto: 2017 Twentieth Century Fox)
Wenig verwunderlich, dass der Soziopath keine Freunde hat. Als dann auch noch sein Vater stirbt, macht er sich auf die Suche nach dem letzten bisschen Familie, das ihm bleibt: seine Ex-Frau Pippi. Er findet sie und nach einer gemeinsam verbrachten Nacht gesteht sie ihm: Als sie Wilson vor 17 Jahren schwanger verließ, hat sie das Kind nicht abgetrieben, sondern es zur Adoption freigegeben.
Die beiden haben also eine Teenager-Tochter und Wilson kann sein Glück kaum fassen. Die Aussicht auf das lange vermisste Familienglück bringt sein eintöniges, leeres und vor sich hin meckerndes Leben gehörig in Schwung. Die Begegnung mit Tochter Claire hält nicht nur einige skurrile Momente parat, sondern Wilson muss auch lernen, mit anderen Menschen umzugehen. Und das ist für ihn alles andere als leicht.
Bittere Schärfe und milde Witzchen

Wilson und Pippi - ein skurriles Paar, das mit Woody Harrelson und Laura Dern zwei glänzende Darsteller hat.
(Foto: 2017 Twentieth Century Fox)
Man muss sie ja eigentlich lieben, diese Ekelpakete vom Schlage eines Wilson. Man denke nur an Alfred aus dem Fernsehklassiker "Ein Herz und eine Seele". Oder besser noch an Jack Nicholson in "Besser geht's nicht" und "Die Wutprobe" - er spielt da Figuren, die ihre Mitmenschen mit Beleidigungen und penetranter Aufdringlichkeit zur Weißglut bringen, beim Kinopublikum aber für Lacher sorgen.
Auch "Wilson" von Regisseur Craig Johnson orientiert sich an diesem Erfolgsmodell, scheitert aber ausgerechnet an der Hauptfigur. Immer wieder blitzt Wilsons Sarkasmus auf, der für die lustigen Höhepunkte sorgt, weil er die Zuschauer zum ausgiebigen Fremdschämen einlädt. Doch diese bittere Schärfe wird genauso regelmäßig konterkariert durch milde Witzchen und albernen Slapstick - beides unnötigerweise. Statt auf eine Entwicklung von Wilsons Charakter setzt Regisseur Johnson auf beliebigen Humor, wie er gerade passt.
Das ist vor allem schade für Hauptdarsteller Woody Harrelson, der seine Figur nicht nur vor mieser Laune sprühen lässt, sondern auch immer wieder dessen weiche, charmante Seite zeigt. Wie Wilson etwa versucht, seine Tochter, der er gerade erst begegnet ist, gegen ein paar Rüpel zu verteidigen, ist herzergreifend. Genau wie seine steten Versuche, mit Pippi eine dauerhafte Beziehung einzugehen.
Zu nah an der Comicvorlage
Dass der Film so im Einerlei versandet, hat aber noch einen anderen Grund: Der Film orientiert sich zu stark an der Comicvorlage. Die stammt von Zeichner Daniel Clowes, der nun auch das Drehbuch zum Film verfasst hat. Dabei hat er versucht, die 70 einseitigen Strips des Comics möglichst originalgetreu auf die Leinwand zu bringen. Das musste geradezu schiefgehen: Im Comic liegen mitunter Jahre zwischen den einzelnen Seiten. Das ist kein Problem, lebt das Medium doch gerade von diesen Lücken, den Sprüngen zwischen einzelnen Bildern und Seiten.
Im Film allerdings funktioniert das nicht. Die Geschichte findet nie ihren Rhythmus, sie wirkt vielmehr zerrissen. Einzelne Handlungsfäden und Figuren tauchen auf, verschwinden wieder, um später unvermittelt wieder aufzutauchen. Dem Film fehlt die stringente Handlung. Stattdessen wirkt er wie eine Aneinanderreihung mal mehr, mal weniger witziger Begebenheiten.
Hinzu kommt, dass der Charakter des Comic-Wilson im Film zu blass bleibt. Die trockenen Sprüche aus dem Buch wirken auf der Leinwand allzu oft unbeholfen, ja geradezu naiv. Das können selbst die gut aufgelegten Darsteller nicht mehr wettmachen: Neben Harrelson, dem die Hauptfigur wie auf den Leib geschrieben ist, glänzt vor allem Laura Dern als Pippi, die dem Protagonisten ebenbürtig ist. Die beiden ergeben ein skurriles Paar, das verzweifelt nach dem bisschen Glück greift, das sich ihm bietet.
Dass Clowes ein Händchen für solche liebenswerten Außenseiter hat, hat er bereits in einem früheren Comic bewiesen, der mit Scarlett Johansson und Steve Buscemi verfilmt wurde: "Ghost World". Leider verfügt "Wilson" nicht über dessen Subversion. Er hat zwar ein paar schwarzhumorige Höhepunkte zu bieten. Für ein echtes Ekelpaket ist der Film-Wilson dann aber doch etwas zu zahm geraten.
"Wilson" läuft seit dem 29. Juni in den deutschen Kinos. Die Comic-Vorlage bei Amazon bestellen (Leseprobe hier).
Quelle: ntv.de