Hörbücher

Ein Junge, sieben VäterAndrev Valden lässt die "Scheißkerle" los

13.12.2025, 12:50 Uhr Thomas-BadtkeVon Thomas Badtke
00:00 / 06:12
Bored-boy-playing-on-a-housing-estate-Wycombe-UK-1980-s
Andrev bekommt immer wieder neue Väter. (Foto: picture alliance / PYMCA/Photoshot)

Es gibt einen Zyklopen, einen skalpierten Hamster, einen Pflanzenmagier - und einen Indianer. Der, so stellt es sich der sieben Jahre alte Andrev vor, ist sein Vater. Er bringt ihm bei, wie man wie ein Indianer kackt. Aber auch er ist ein "Scheißkerl". Irgendwie.

Die 1980er waren cool. Sie haben gefetzt. Als Kind dieser Zeit weiß ich, wovon ich spreche. Andrev Valden weiß es auch. Auch er ist in den 1980ern aufgewachsen. "Scheißkerle" ist seine Geschichte, eine über das Aufwachsen, über kleine und große Probleme, Überraschungen, Freunde, die erste Liebe - und über sieben Väter in sieben Jahren. Alles beginnt 1983.

Damals ist Andrev sieben Jahre alt und wohnt mit seiner kleinen Schwester und seiner Mutter bei dem "Pflanzenmagier". Den hat er bislang für seinen Papa gehalten. Doch Andrevs Mutter offenbart ihm, dass der von Stütze lebende, naturbewusste Mann mit so einigen schlagenden Macken nicht sein leiblicher Vater ist. Der lebe weit weg, habe lange Haare. Für Andrev ist damit klar: Sein Vater ist ein "Indianer" - und er muss ihn kennenlernen.

Doch daraus wird erst einmal nichts. Andrev lernt zwar, wie ein Indianer kackt, indem er sich auf die Klobrille hockt, aber das war es auch schon. In der Schule bringt ihm das keine Pluspunkte, im Gegenteil. So richtig enge Freunde hat Andrev nicht. Aber er ist Teil einer Gruppe Jungen, die miteinander Zeit verbringen. Mal mehr, mal weniger. Die Spitznamen: "Sage", "Möse" und "Zyklop". Letzterer wird über die kommenden Jahre dann doch so etwas wie ein enger Freund. Jahre, in denen Andrev immer wieder neue Väter bekommt.

Ein skalpierter Hamster

Da wäre etwa "der Künstler", der gar nicht gut zeichnen kann. Aber der bei Andrev einen bleibenden Eindruck hinterlässt, als dieser ihn mit seiner Mutter beim Sex im Bett überrascht. Sie rittlings auf ihm, er knallrot im Gesicht. Eine Farbe, die Andrev nur allzu gut kennt: Bei ihm läuft sie in Form von Blut immer dann aus der Nase, wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht, wenn sich Andrev bemüht, die Ruhe zu bewahren. Natürlich kann die Nase auch vor Scham bluten.

Auf den Künstler folgt "der Dieb". Er nimmt Andrev eines Morgens mit zum Einkaufen und packt sich seine Taschen voll mit Diebesgut. Natürlich wird er erwischt. Natürlich hatte Andrev von dem Plan des Diebes keine Ahnung. Natürlich muckt seine Nase auf.

Es folgen weitere Väter, darunter "der Pfarrer" oder auch "der Mörder". Andrevs Namen für seine Papas haben meist nicht so viel mit der Wirklichkeit zu tun, richten sich eher nach dem Aussehen, dem äußeren Erscheinungsbild. Einer sorgt mal dafür, dass im Haushalt endlich ein Fernseher steht. Ein anderer schenkt ihm ein Aquarium mit Fischen, allerdings wirft er es samt ihnen im Winter vor Wut auch aus dem Fenster. Geschenkt bekommt Andrev auch einen Hamster, der dann allerdings von einer Ratte skalpiert wird - und weiterlebt.

Ein Kanute macht noch keinen Sommer

Zu den Vätern, die Andrevs Mutter immer wieder aufs Neue in ihre kleine Familie bringt, gehört auch "der Kanute". Laut Andrev ist er "in Balance. Er ist langweilig, aber lieb - und hat schmale Beine. Aber: starke Arme. Er ist morgens schlecht gelaunt, aber tagsüber fröhlich. Er ist jünger als Mama, sieht aber älter aus. Er trinkt jeden Abend, aber nur Leichtbier und nie so viel, dass er ein anderer wird …"

Der Kanute ist es auch, der auf Andrevs erstes selbst verdientes Geld eine "50-Prozent-Steuer" anwendet. Andrev hat sich im örtlichen Wirtshaus während der Sommerferien als Spüler verdient gemacht, dabei einen sympathischen Hardrocker kennengelernt, dem "Poison" über alles geht. Sie trinken gemeinsam ihr Feierabend-Bier, hören Musik, sprechen über Frauen.

Doch während der Hardrocker jede haben könnte, ist Andrev eher ein Stiller. Seinen ersten Kuss hat er mit "der Tochter der alleinerziehenden Mutter". Ein Zungenkuss, länger als zwei Minuten. Aber den Wettbewerb haben mit mehr als sechs Minuten Dauerknutschen "Fischlippe" und "der Grieche" gewonnen. Andrev gönnt ihnen den Sieg, es sah schließlich sehr anstrengend aus.

Irrwitzige Beobachtungen

"Scheißkerle" von Andrev Valden ist dagegen alles andere als anstrengend. Es ist schlichtweg eine Offenbarung. Das bei Luchterhand und im Hörverlag erschienene Werk, absolut fantastisch gelesen von Shenja Lacher, ist pure Magie, steckt voller Liebe für die kleinen Dinge des Lebens, die es aber letzten Endes so lebenswert machen. "Scheißkerle" ist eine Zeitreise zurück in eine Zeit, in der es noch keine Smartphones gab, in der sich Aufwachsende über Serien wie "Das Model und der Schnüffler" jede Woche neu freuten, in der "Conan, der Barbar" wütete und "Poltergeist" für Gänsehaut sorgte.

Anzeige
Scheißkerle
7
0,00 €18,95 €

Es ist eine Zeit, in der Autos einem noch unter dem Arsch wegrosten konnten. Sie fuhren aber dennoch, auch mit faustgroßen Löchern im Boden. Das waren noch Zeiten! Saab 9-5, Saab 9000, die eckigen Volvos. Herrlich! Für Andrev waren Autos nicht so wichtig. Sie brachten ihn von einem zum nächsten Vater, wechselten dementsprechend. Auch einen Lada ist seine Mutter einmal gefahren. Überhaupt: Andrevs Mutter. Er geht davon aus, dass sie die Papas belügt. "Und ich gehe davon aus, dass sie auch Kinder belügt. Sie meint es nicht böse. Sie lügt, damit Menschen nicht traurig oder böse werden. Und manchmal vielleicht auch, dass sich eine Geschichte besser anhört." Eine Geschichte, wie die über Andrevs Vater, den "Indianer".

Aber Andrev hat auch etwas über die Papas zu sagen, die "wie das Wetter oder Wachstumsschmerzen sind": "Man sucht sich nicht aus, wann es mit ihnen anfängt oder aufhört … Sie kommen einfach. Und dann muss man eben passende Kleidung anziehen und die Zähne zusammenbeißen. Es geht ja immer vorbei." Genau das will man als Hörer von "Scheißkerle" aber nicht! Die Erzählweise, die schrulligen Protagonisten, die kleinen Randnotizen, die irrwitzigen Dialoge und Monologe - man will einfach mehr davon. Immer mehr. Neue Papas, weitere Geschichten, Ein- und Rückblicke in eine Zeit, die so schnell vergeht - und die Spuren hinterlassen hat, bei Andrev, seiner Mutter, den diversen Vätern und bei "der kleinen Wolke", die die "Scheißkerle hasst, aber nun hat sie sich in einen verliebt".

Quelle: ntv.de

VäterRezensionenSchweden