
Hat sich ihren Traum verwirklicht mit "My Realized Dream".
(Foto: David Beecroft)
Sie hat in diesem verrückten Jahr ein Album veröffentlicht, eine harte Zeit im Krankenhaus hinter sich gebracht und blickt nun voller Freude ins nächste Jahr. Hoffentlich mit vielen Auftritten, wie sie ntv.de im Gespräch erzählt.
Mit der Ballade "I Believe In Us" (läuft momentan im ntv-Wetter) will Weather Girl Dorrey Lyles ihren Fans Mut machen - etwas, das sie in diesem Jahr wirklich selbst gut gebrauchen konnte. Und auch ihre Version des Bill Withers-Klassikers "Lean On Me" spendet Trost. Da Withers in diesem Jahr verstorben ist, hat der Song nun fast noch mehr Kraft. Beide Titel befinden sich auf ihrem Album "My Realized Dream" - ihr persönliches Geschenk an sich selbst dieses Jahr: der realisierte Traum eines Albums.
Sie ist dieses Jahr 50 geworden, ein Grund zum Feiern, oder? "Auf jeden Fall! Auch, wenn nicht alles so gewesen ist wie ich es mir erträumt habe - eine große Party war ja nicht möglich - weiß ich mein Alter doch sehr zu schätzen!" Dieses Jahr ist dennoch nicht spurlos an ihr vorüber gegangen. "Ich bin es gewohnt, aufzutreten, Gigs zu haben, vor Leuten zu singen. Diese erzwungene Passivität hat mir schon zugesetzt." Aber Dorrey ist keine, die sich einigelt. Immer wieder hat sie (Open Air) Auftritte gehabt, wenn auch kleiner als gewohnt. "Überhaupt auftreten zu können, am Ende des Sommers, hat mich glücklich gemacht."
Das Video zu "My Realized Dream" ist witzig, obwohl - oder weil - es im ersten Lockdown entstanden ist? "Die Botschaft ist: "Obwohl wir getrennt sind, sind wir trotzdem zusammen. Das hat Kraft", so Lyles. Kraftvoll war auch sie - bis zu dem Moment, in dem das Schicksal zugeschlagen hat und sie bettlägerig machte. Eine Allergie ließ ihr Gesicht anschwellen, sie musste ins Krankenhaus, und niemand konnte ihr anfangs sagen, was los ist. Aber Dorrey gibt so schnell nicht auf: "Was dich nicht tötet, härtet dich ab", ist ihr Motto, und das zieht sie durch. Ihr Tipp, wenn es wirklich mal kaum auszuhalten ist im Hier und Jetzt - und das war es für viele Menschen aus der Musikszene dieses Jahr wohl ohne Zweifel: "Sprich mit deinem zukünftigen Ich." Dorrey hat dann keine Angst mehr. In der Zeit, in der sie kaum aus den Augen gucken konnte, war sie dennoch nie ängstlich. Denn da ist ihr Glaube an Gott und ihre unerschütterliche Zuversicht: "Meine Narben machen mir nichts aus, sie gehören zu mir."
Worunter sie allerdings gelitten hat war, nicht "systemrelevant" zu sein: "Man denkt anscheinend noch immer, Musiker leben von Luft und Liebe - das stimmt leider nicht. Ich weiß, dass es eine außergewöhnliche Situation war - und ist - und dass nicht jedem sofort geholfen werden konnte, aber es gab schon beängstigende Momente für mich." Und sie fügt hinzu: "Die gibt es immer noch."
Niemand denkt über seine Probleme nach, wenn er tanzt
Dennoch verbucht Dorrey Lyles das Jahr 2020 unter "gut gelaufen", denn dass ihr Album veröffentlicht wurde, ist für sie natürlich ein Grund zum Feiern. Ihr bereits erwähntes - neben den eigenen Songs - Lieblingscover auf dem Album ist "Lean On Me". "Das ist das, was wir alle brauchen", so Dorrey. "Dieses Lied berührt meine Seele. Jede und jeder sollte eine Person haben, der sie vertrauen kann, bei der sie sich anlehnen kann. Das trifft auf so viele Situationen im Leben zu, egal, ob man sich in einem Lockdown befindet, es um Themen wie Rassismus oder Diskriminierung geht, ob man Liebeskummer hat oder einfach nur so eine harte Zeit. Wenn du dich bei jemandem anlehnen kannst, ist alles besser zu ertragen." Dann gelten die Worte von Bill Withers aus dem Jahr 1972 fast 50 Jahre danach immer noch? "Allerdings", lacht sie, "dieser Song verliert nie seine Botschaft!"
Musik ist für Dorrey Lylles eine Art Weltsprache, sie "verbindet Menschen normalerweise, die sich sonst nie kennenlernen würden. Musik kann Grenzen überwinden. Niemand denkt über seine Probleme oder Unterschiede nach, wenn er tanzt." Im ersten Lockdown im Frühjahr war Dorrey gerade in New York: "Es war sehr anstrengend, niemand durfte raus." Und als alle dann endlich wieder raus durften, wurde George Floyd von einem Polizisten umgebracht. "Alle waren eh schon frustriert. Und dann das", sagt sie mit belegter Stimme. Denn auch, wenn ihr selbst niemals brutal offener Rassismus begegnet ist, weiß sie doch, dass das nur eine Momentaufnahme ist. "Wenn du eine Person of Colour bist, hast du in deinem Leben auf jeden Fall schon Erfahrungen mit Rassismus gemacht. Ich klopfe auf Holz, aber mir ist zum Glück noch nie etwas wirklich Schlimmes passiert." Nach Dorreys Meinung hat die Person, die eine andere Person runtermacht, ein Problem, nicht sie: "Ich vergegenwärtige mir immer, wer ich bin! Und dass sich niemand anmaßen kann, einen anderen runterzumachen."
Ein Zimmer in meinem Haus
Wofür sie niemand runtermachen wird, ist "My Realized Dream". Sie lacht: "Das Album hat echt 'ne Weile gedauert - schwere Geburt. Aber ich dachte zu oft 'that's not me' und musste dann immer wieder etwas ändern." Sie weiß, was die Leute von einem Weather Girl erwarten, "aber das ist nicht alles, was ich bin. Ich kann einen Weather-Girls-Song zu meinem machen, auch wenn es nicht meiner ist", betont sie. Seit 2012 ist sie Teil der legendären Weather Girls - der Band, die mit "It's Raining Men" einen Dance-Klassiker und somit Geschichte geschrieben haben. Lyles tritt zusammen mit Dynelle Rhodes, der Tochter des verstorbenen Gründungsmitglieds Izora Armstead, weltweit auf.
Aber sie hat eben noch mehr drauf: "Jetzt ein eigenes Album zu haben - das ist für mich unglaublich." Muss sie die Weather Girls manchmal loswerden, abschütteln? "Nicht ganz. Ich würde sagen, es ist ein Zimmer in meinem Haus. Ein Raum, in den ich manchmal gehe, (lacht) aber es ist nicht mein Wohnzimmer. Sagen wir mal so: Teil der Weather Girls zu sein, ist eine große Ehre, dafür bin ich ewig dankbar! Die Weather Girls haben mir so viel ermöglicht, ich habe ihretwegen die halbe Welt gesehen."
Das Fundament ihrer ausdrucksstarken Stimme ist und bleibt jedoch der Gospel. Als Tochter eines Pastors ist die aus New Jersey stammende Wahl-Berlinerin sprichwörtlich in die Gospelszene hineingeboren und sang schon früh in verschiedenen Gospelchören. Später tourte sie unter anderem mit den Harlem Gospel Singers in den USA und Europa. In ihrem Song "Child of Soul" erzählt sie ihre Geschichte: "Der Sonntag war mein Klassenzimmer", heißt es darin. Gemeint ist natürlich, dass sie an diesem Tag seit ihrer Kindheit in der Kirche singt. Das merkt man ihrem Stil noch immer an. Mit Größen wie dem viel zu früh verstorbenen James Ingram oder auch Soul-Granate Oleta Adams sang sie in der Carnegie Hall, als Backgroundsängerin bereicherte sie die Auftritte von Barry Manilow und Natalie Cole. "My Realized Dream" ist inzwischen natürlich ihr Liebling. Schön, wenn Träume wahr werden - die eigenen und die der anderen.
Quelle: ntv.de