Band feiert 15. Geburtstag Lord Of The Lost: "Es ist nie etwas gefloppt"
12.04.2024, 12:59 Uhr Artikel anhören
Lord Of The Lost feiern ihr 15-jähriges Bandjubiläum.
(Foto: Jan Season)
Im Tourbus müssen die Schuhe ausgezogen werden und Sänger Chris Harms entschuldigt sich beim Kölner Konzert höflich bei einem Fan, den er versehentlich von der Bühne aus angespuckt hat. Da könnte man glatt meinen, dass für Lord Of The Lost pünktlich zu ihrem 15. Bandgeburtstag die wilden Rock'n'Roll-Tage vorbei sind. Weit gefehlt. Die Pubertät hat gerade erst begonnen.
Im ntv.de-Interview sprechen Pi Stoffers, Klaas Helmecke, Gerrit Heinemann, Niklas Kahl und Benjamin Mundigler über ihre "geile" Bandfamilie, empörte Fans und die Notwendigkeit, als Musiker auch politisch Stellung zu beziehen.
ntv.de: Glückwunsch zum 15. Geburtstag! Ein Alter, in dem man mitten in der Pubertät steckt. Wie lässt sich das auf Lord Of The Lost als Band übertragen?
Gerrit Heinemann: Also pubertär verhalten wir uns gerne immer noch. Das ist ja das Schöne. Wenn man eine so gut funktionierende geile Familie ist wie wir, dann ist auf Tour zu sein, tatsächlich wie Klassenfahrt. Nur halt, dass wir erwachsen sind. Auf dem Ausweis sind wir alle erwachsen, aber ansonsten ist es doch recht pubertär.
Pi Stoffers: Musikalisch haben wir uns immer wieder selbst und auch allen anderen bewiesen, dass wir uns ständig neu erfinden können und auch nicht aufhören, neue Dinge zu inkorporieren und neue Sachen auszuprobieren. Wir bleiben da experimentierfreudig. Auch wenn wir irgendwann 30 sind.
Würde euer Debütalbum "Fears" aus dem Jahr 2010 heute noch genauso klingen?
Gerrit Heinemann: Natürlich würde man es heutzutage anders produzieren, aber mit den Mitteln, die damals zur Verfügung standen, also nicht nur technologisch, sondern auch finanziell, wollen wir uns da überhaupt nicht hinter verstecken. Das war zu dem Zeitpunkt das maximal Beste, das wir rausholen konnten. Nach der Maxime gehen wir sowieso immer. Auch wenn das in zehn Jahren vielleicht ein bisschen outdated ist.
Niklas Kahl: All das, was passiert ist und was die Band gemacht hat, hat dazu beigetragen, dass wir jetzt hier sind. Und, dass wir die sind, die wir jetzt sind. Aber es gibt tatsächlich auch nichts, wo ich jetzt sagen würde, das war ein Flop. Es ist nie was gefloppt. Das hat man bei Merchandise-Artikeln schon mal, dass man was produziert und dann verkauft sich das gar nicht. Aber musikalisch gibt es, glaube ich, in der gesamten Bandgeschichte so was überhaupt gar nicht.
Pi Stoffers: Das liegt aber vor allem daran, dass man natürlich immer das Bestreben hat, beim Songwriting möglichst erst mal selber dahinterzustehen, also Musik für sich selber zu machen. Sonst wäre es vielleicht irgendwann ein Flop. Aber wenn wir jetzt zum Beispiel auf das erste Album zurückgucken, was wir unter anderem auch in Teilen auf der Setlist haben für diese Tour, dann hören wir natürlich, das ist älter, das ist von 2010. Aber gefühlstechnisch ist die Freude nach wie vor nicht weg. Darüber, dass das existiert.
Klaas Helmecke: Das erkennt man schon daran, dass während man das Set durchspielt, keinerlei Gefühle aufkommen wie "Jetzt wird es aber geiler, weil jetzt die neuen Songs kommen". In dem Moment betrachten wir ja nicht den Song, wie er vor 15 Jahren auf Platte gekommen ist, sondern wie er jetzt live für uns mit dem Publikum zusammen klingt und funktioniert. Und da ist tatsächlich kein Unterschied zwischen dem ersten und dem letzten Song zu spüren. Das finde ich fantastisch. Das ist so, als würde man liebevoll auf ein altes Bild gucken: "Ach ja, war das schön damals" oder "Ach, guck, das war ja putzig". Ich glaube, wenn man sich diese Haltung irgendwie beibehält, dann wird es auch gar nicht dazu kommen, dass man sich irgendwie schämt für das, was man mal gemacht hat.
Auf einer Jubiläumstour läufst du natürlich Gefahr, Fans zu enttäuschen, weil ausgerechnet der persönliche Lieblingssong nicht auf der Setlist landet. Wie geht ihr damit um?
Pi Stoffers: Das ist eine 15-Jahre-Tour. Da verdienen auch alle Leute ein Abziehbild von all den Jahren. Man muss schon irgendwie gucken, dass man den Leuten das gibt, was sie wollen. Aber andererseits auch uns nicht vergessen. Welche Songs haben wir denn schon lange nicht mehr von diesen Alben gespielt? Oder vielleicht auch noch nie? Und da haben wir dann nach der Maxime gehandelt, dass man guckt, was spielt man von jedem Album? Irgendwann muss so ein Konzert auch zu Ende sein. Das war gar nicht so leicht. Irgendwie ist es dann das geworden, was es jetzt ist. Mit Überraschungen. Mit Hits. Mit Cover-Songs.
Niklas Kahl: In der Facebook-Fangruppe gibt es gerade einen Riesenwirbel. Das ist schon jetzt eine riesige Diskussion, dass manche Leute überhaupt nicht einverstanden sind mit dieser Setlist. Aber sie haben bekommen, was sie von uns immer bekommen haben: das Unerwartete. Und es ist ja auch was Langfristiges, was wir hier gerade machen, dass wir einfach keinen One-Night-Stand produzieren. Die Leute müssen halt einfach wiederkommen und die wollen ja auch wiederkommen. Und so gesehen, ist das dann eigentlich immer nur ein Schnellschuss der Empörung, dass man jetzt gerade nicht das bekommen hat, was man wollte. Aber ohne dass sie es wissen, pleasen wir diese Personen, weil sie mal was Neues auf den Tisch bekommen.
Als ich heute Nachmittag zum Interview gekommen bin, standen schon Fans vor dem Carlswerk Victoria, obwohl es noch Stunden bis zum Konzert war. Ist das typisch?

(Foto: picture alliance / SVEN SIMON)
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Klaas Helmecke: Man muss dazu sagen, dass die da auch so eine Art Freundschaftstreffen draus machen, weil viele sich ja durch die Konzerte kennengelernt haben und dann den Tag nutzen, um sich einfach auszutauschen oder abzuhängen. Das ist schon cool. Das ist so ein Community Place. Das ist schön.
Ihr tourt ja gerade quer durch Europa - reagieren die Fans in den verschiedenen Ländern unterschiedlich?
Pi Stoffers: Man erkennt durchaus Unterschiede im Verhalten oder in der Wahrnehmung von Konzertkultur. Ganz objektiv gesehen, ist es zum Beispiel in Frankreich sehr, sehr viel physischer als in Deutschland. Das durften wir in Grenoble und Paris beobachten. Da war über zwei Stunden lang ein Moshpit und Crowdsurfer noch und nöcher. In Deutschland ist das eher eine Tanz- und Mitsingveranstaltung, würde ich sagen.
Benjamin Mundigler: Und das eine oder das andere ist ja nicht schlechter. Jeder erlebt das individuell. Das war in Paris auch so faszinierend. Da war alles dabei, von Leuten, die wirklich getanzt haben, die mitgesungen haben, die nur zugeguckt haben oder die halt gemoshed haben. Und alle kamen zurecht.
Gerade sind Depeche Mode mit ihrer "Memento Mori"-Tour in Köln aufgetreten. Ich war bei einem dieser Konzerte und wie immer fällt auf: Vor allem bei den alten Hits gehen die Fans richtig ab. Ein Phänomen, dass ich bei Lord Of The Lost so nicht beobachte, da ist irgendwie durchgehend Party. Was ist euer Geheimnis?
Pi Stoffers: Depeche Mode haben so Über-Hits, die sie sehr, sehr schnell sehr groß gemacht haben und dann haben sie dieses Level gehalten. Bei uns ist über die letzten 15 Jahre ein organisches Wachstum entstanden, sodass wir jetzt an einem Punkt sind, an dem wir ein Carlswerk Victoria in Köln ausverkaufen können. Da sind Leute von Anfang an dabei, die jedes Album kennen. Es sind aber durch neue Alben natürlich auch Leute dazugekommen, die alte Songs vielleicht gar nicht so kennen, die die neuen Songs eher feiern, die durch den Eurovision Song Contest (ESC), durch Wacken oder Iron Maiden (auf deren Tour Lord Of The Lost als Supporting Act aufgetreten sind, Anm.d. Red.) dazu gekommen sind. Das hält sich bei uns total die Waage. Daher ist der Jubel ausgeglichen.
Klaas Helmecke: Ich hoffe auf jeden Fall, dass wir so gut altern wie Depeche Mode - und dann müssen wir auch erst mal sehen, ob wir die Leute dann immer noch so gut bewegt kriegen.
Die Ärzte rufen gerade mit ihrem Video "Demokratie" zum Wählen auf. Sie sagen, "Wir gehören als Musiker automatisch zur künstlerischen Opposition". Wie seht ihr euch diesbezüglich in der Pflicht?
Pi Stoffers: Der Ärzte-Song ist wichtig. Denn es ist immer schön und gut, Stellung zu beziehen und sich zu beschweren und gegen etwas zu sein. Aber wenn du dann nicht wählst, dann hast du vollkommen umsonst dein Maul aufgemacht. Denn nur, wenn du auch wählen gehst und aktiv etwas anderes wählst als rechts, funktioniert dieser Weg auch.
Klaas Helmecke: Die politische Situation erfordert, dass man irgendwie Stellung bezieht, und auf welche Seite man sich da stellen sollte, ist uns allen irgendwie klar. Spoiler: Es ist nicht Rechts. Ich finde, "Politisieren" ist immer so ein schwieriges Wort im Zusammenhang mit Musik. Wir haben mit dem "Schwarz Tot Gold"-Video zum ersten Mal Stellung bezogen. Wir haben die Vielseitigkeit und Diversität immer schon gefeiert und gefördert. Wir sind keine Band, die den ganzen Tag politisch ist, aber wenn es denn wirklich Not tut oder wenn das Sinn ergibt und sich die Gelegenheit bietet ... Im Endeffekt, wenn wir nicht Stellung beziehen, kann es natürlich auch sein, dass auf lange Sicht bald nichts mehr Spaß macht.
Mit Lord Of The Lost sprach Claudia Spitzkowski
Lord Of The Lost sind aktuell auf ihrer "15 Years of Lord Of The Lost"-Tour und spielen unter anderem noch in Berlin, Leipzig, Stuttgart, Hildesheim und Wuppertal.
Quelle: ntv.de, csp