"Zweiter werden ist auch okay" Malik Harris hofft auf ESC-Sieg der Ukraine
30.03.2022, 16:35 Uhr
Setzte im Vorentscheid ein Zeichen: Deutschlands ESC-Kandidat Malik Harris.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Mit "Rockstars" wird Malik Harris Deutschland beim Eurovision Song Contest vertreten. Dass er nicht gewinnt, ist aber womöglich schon ausgemacht. Mit ntv.de spricht er über seinen Triumph im Vorentscheid, das Leben im Hier und Jetzt und darüber, weshalb ein zweiter Platz in Turin in Ordnung wäre.
ntv.de: Am Tag nach deinem Sieg beim Vorentscheid zum Eurovision Song Contest (ESC) hast du auf deiner Instagram-Seite geschrieben, das alles sei für dich "kaum zu glauben". Wie sieht es inzwischen aus - glaubst du es jetzt?
Malik Harris: Inzwischen glaube ich es ein bisschen mehr auf jeden Fall. Ich hatte jetzt ein paar Tage, um das Ganze zu realisieren. Aber ich bin immer noch echt baff. Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet. Ich glaube, wie überrascht ich war, hat man in der Show auch gesehen. Aber ich freue mich mega!
Dein Sieg hat sich ja erst in einem Herzschlagfinale herausgestellt. Zunächst sah es so aus, als würde das Duo Duo Maël & Jonas das Rennen machen. Erst als die Stimmen des TV-Publikums zu denen aus dem Online-Voting addiert wurden, lagst du vorne. Wie hast du das erlebt?
Das war total abgefahren. Wir waren alle krass überrascht. Mir tut es für die beiden auch megaleid. Ich habe mich mit ihnen super verstanden und hätte ihnen natürlich auch mehr gegönnt. Was mich wahnsinnig happy und stolz macht, ist, dass es das Fernseh-Voting am Ende entschieden hat. Das heißt: Die Leute haben den Song, so wie er ist, im Radio gehört. Da fanden sie ihn schon gut genug, um mich auf Platz zwei zu wählen. Dann aber haben sie meine Live-Performance gesehen - das, was ich eh am meisten auf der Welt liebe. Und sie waren der Meinung, dass sie das richtig gut finden, sodass diese Votes dann entschieden haben, dass ich gewinne. Das ehrt mich natürlich.
Wie beurteilst du dieses Auswahlverfahren, das ja in diesem Jahr erstmals so stattgefunden hat?
Im ersten Moment fand ich es ein bisschen strange. Ich dachte, es wäre ähnlich wie beim ESC selbst - man hat genau diese eine Chance, man hört den Song genau einmal, sieht, wie er performt wird und die Entscheidung fällt vor Ort. Aber natürlich gab es einen Grund dafür, die Songs vorher im Radio zu spielen - damit man sich schon einmal an sie gewöhnt, reinhören und gucken kann, was sie bei den Leuten auslösen. Von dem her finde ich das Verfahren schon okay. Aber als Sieger kann man das natürlich leicht sagen. (lacht)
Insgesamt hatten sich sechs Künstlerinnen, Künstler und Bands beim ESC-Vorentscheid beworben. Du hast gesagt, du hattest ein gutes Verhältnis zu Maël & Jonas. War das insgesamt freundschaftlich oder doch auch von Konkurrenz geprägt?

Zunächst sah es so aus, als hätten Maël & Jonas im Vorentscheid die Nase vorn.
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Nein, zum Glück war das sehr freundschaftlich! Ich hatte im Vorfeld schon ein bisschen Angst, dass es ein paar sehr kompetitive Kandidaten geben könnte. Aber ich war dann mit allen superhappy. Tatsächlich haben wir uns vor dem Vorentscheid gar nicht so viel gesehen. Die meisten Kontakte gab es erst bei der Show im Backstage. Das war supercool. Alle waren happy, dabei zu sein und die Chance zu haben, ihren Song zu spielen - wie eine kleine Party-Runde.
Abseits von euch sechs gab es eine hitzige Debatte darum, dass die Band Eskimo Callboy, die sich ebenfalls beworben hatte, nicht zum Vorentscheid zugelassen wurde. Hat dich oder euch das belastet?
Ich habe es mitgekriegt, aber belastet hat mich das null. Wenn ich mal damit konfrontiert wurde, habe ich immer gesagt, dass ich natürlich kein Teil des Auswahlverfahrens bin. Wäre es nach mir gegangen, hätten sie supergerne mitmachen können. Sie in der Show zu haben, hätte sicher nochmal eine andere Seite gezeigt.
Ein weit gravierenderes Ereignis, das den Vorentscheid überschattet hat, ist der Krieg in der Ukraine. Wie sehr hat dir das zu schaffen gemacht, als du auf die Bühne gegangen bist?
Das war echt hart. Ich bin ein relativ politischer Mensch. Ich habe auch die ganze Zeit im Backstage den Fernseher angehabt und immer Nachrichten geschaut, wenn ich gerade keine Probe hatte. In Berlin war ich mit meinen zwei Begleitungen bei der ukrainischen Botschaft, wo ich ganz viele Bilder und Kerzen gesehen habe. Das geht mir schon wahnsinnig nah. Es ist eine unfassbare Zeit und Situation. Ich konnte mich erstmal auch gar nicht groß freuen, als ich gewonnen hatte. Der ganze Abend stand ja im Zeichen der Ukraine, was ich total gut fand. Es war richtig, dass man nicht versucht hat, das zu verdrängen. Bei mir nimmt das auch jetzt noch wahnsinnig viel Raum ein und ich finde es sehr, sehr schwer, damit umzugehen.
Mit einem "I stand with Ukraine"-Schriftzug auf deiner Gitarre hast du bei deinem Auftritt auch ein Zeichen gesetzt. Wann und wie bist du darauf gekommen?

Den Schriftzug klebte der 24-Jährige heimlich auf seine Gitarre.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Als das mit der Ukraine losging und ich wusste, ich werde da in einer Show im deutschen Fernsehen zu sehen sein, war mir von Anfang an klar, dass ich ein Statement setzen muss. Dadurch dass ich mit meiner Musik eine Plattform habe, sehe ich es fast als meine Pflicht, das auch zu nutzen, um auf Themen aufmerksam zu machen und deutlich zu sagen, wo ich stehe. Die Idee mit der Gitarre kam mir bei den Proben am Tag davor. Ich war nicht ganz sicher, ob Statements erlaubt sein würden. Deswegen musste das irgendwie heimlich stattfinden.
Hat das geklappt?
Ja, ich habe mir am Morgen vor dem Auftritt über eine Freundin alles ausdrucken lassen. Anschließend habe ich es im Hotelzimmer mit einem Freund auf die Gitarre geklebt. Bei den letzten Proben habe ich die Gitarre dann immer versteckt gehalten, ganz nah an mir dran, sodass bloß keiner was sieht. Beim Auftritt im Fernsehen wurde es wirklich das allererste Mal offen gezeigt. Ich war sehr froh, dass das hingehauen hat.
"Rockstars" heißt dein Song, mit dem du Deutschland nun in Turin vertreten wirst. Wie ist er entstanden?
Entstanden ist der Song letztes Jahr. Wie viele von uns hatte ich seit der Corona-Zeit ein ziemliches Down. Gerade letztes Jahr war es echt mies. Um mich abzulenken, habe ich eine Folge von "The Office" geguckt. Da gab es eine Szene, in der ein Charakter sagte: "Man wünschte sich, es gäbe einen Weg zu wissen, dass man in der guten alten Zeit ist, bevor man sie verlassen hat." Das hat mich so getroffen, dass ich direkt weinen musste. (lacht) Es hat mir gezeigt, weshalb es mir so schlecht geht. Ich habe erkannt, wie viel Zeit ich gedanklich in der Vergangenheit verbringe und damit, mir die Unbeschwertheit und Unbekümmertheit aus der Kindheit zurückzuwünschen. Da habe ich sofort diesen Song geschrieben. Das ging auch sehr schnell, weil alles aus mir heraussprudelte.
Was sagt "Rockstars" nun aus?
Darin geht es eben um diese "gute alte Zeit", in der wir alle sozusagen noch "Rockstars" waren und einfach durch das Leben getanzt sind. Zugleich soll der Song aber auch etwas Positives vermitteln: dass wir versuchen sollten, ein Leben zu leben, in dem wir die gute Zeit nicht nur in der Vergangenheit suchen, sondern im Hier und Jetzt. In unserer Gesellschaft ist es typisch, die Dinge in der Gegenwart nur schlecht zu sehen, während wir in der Vergangenheit immer das Gute erkennen. Ich finde, das sollten wir verändern. Wenn wir das hinkriegen, hören die guten alten Zeiten nämlich nie auf.
Ein bisschen erinnert das Lied an den Song "Arcade", mit dem Duncan Laurence 2019 den ESC für die Niederlande gewonnen hat, ein bisschen aber auch an Michael Schultes "You Let Me Walk Alone". Hast du dich bei "Rockstars" an erfolgreichen ESC-Songs orientiert?
Null! Ich muss ehrlich sagen: Ich war nie der krasse ESC-Schauer. Ich finde die Veranstaltung an sich megacool, habe sie aber nie groß verfolgt. Deshalb habe ich eigentlich auch nie wirklich an eine Teilnahme beim ESC gedacht. Der Gedanke kam erst letztes Jahr auf, lange nachdem ich den Song geschrieben hatte.
Wie kam es dazu?
Mein Kumpel Robin meinte: Hey, gerade werden Teilnehmer für den ESC-Vorentscheid gesucht. Könntest du dir vorstellen, da mitzumachen? Ich musste sofort an "Rockstars" denken. Es ist der persönlichste Song, den ich je geschrieben habe. Und ich dachte: Wenn man eine so große Bühne wie den ESC hat, erreicht man vielleicht sehr viele Leute, denen es in der jetzigen Zeit ähnlich geht wie mir. Und wenn ich es schaffen sollte, dass sie sich mit ihren Gefühlen und Gedanken nicht mehr so alleine fühlen, wäre das natürlich eine Riesensache für mich. Zudem dachte ich mir: Hey, der Song ist so anders als alles, was ich von Deutschland beim ESC kenne. Also einfach mal probieren und schauen, was passiert.
Was dagegen außergewöhnlich an deinem Song ist, ist der Rap-Part. Der erinnert fast ein bisschen an Eminem ..
Das nehme ich als Kompliment. (lacht)
Nach dem Vorentscheid ging es für dich unter anderem bereits nach Stockholm. Hast du jetzt einen prall gefüllten Terminkalender?
Definitiv. Mit Stockholm ging es los. Das passierte direkt in der Woche nach dem Vorentscheid. Jetzt stehen schon weitere Shows an - in London, Tel Aviv, Amsterdam, Madrid oder Barcelona. Außer London sind das alles Städte, in denen ich noch nie war. Darauf freue ich mich total. Dazu kommen noch viele Fernsehauftritte, Interviews und so weiter. All das, was mir gerade in den letzten zwei Jahren so gefehlt hat, wird jetzt gefühlt in die nächsten Wochen gepresst. Das ist mega!
Du sagtest, du wärst eigentlich nie der große ESC-Fan gewesen. Gemeinsame ESC-Partys mit Freunden, bei denen gefeiert und mit eigenen Punktelisten abgestimmt wird, sind dir also fremd ...
Das habe ich tatsächlich nie gemacht. Aber ich finde es ziemlich cool. Auch die ESC-Community, die ich gerade erst kennenlerne. Ich liebe es, wenn Menschen für etwas so leidenschaftlich sind. Die Menschen in der ESC-Community brennen absolut dafür. Es ist super, davon jetzt ein Teil zu sein.
Beim Vorentscheid war auch dein Vater Ricky Harris dabei. Viele kennen ihn noch von früher, als er im Fernsehen eine Talkshow moderiert hat. Was hat er zu deinem Sieg gesagt?
(lacht) Gesagt hat er gar nicht so viel. Zum einen weil er so emotional und sprachlos war. Und zum anderen weil er so viel geschrien und gefeiert hat, dass er gar keine Stimme mehr hatte. Er ist auf jeden Fall wahnsinnig stolz. Tatsächlich war bis auf meinen Bruder, der nicht konnte, meine ganze Familie dabei. Wir haben alle sehr gefeiert. Es ging bis in die Morgenstunden.
Nicht nur der Vorentscheid wurde vom Krieg in der Ukraine überschattet. Auch auf dem ESC-Finale in Turin wird die Krise sicher noch lasten. Mit welchem Gefühl fährst du dort hin?
Das ist aktuell schwer zu sagen. Ich wurde auch schon gefragt, ob ich dafür wäre, die Veranstaltung aufgrund der Situation abzusagen. Dafür bin ich aber gar nicht. Ich finde es total gut, dass sie stattfindet. Das einzige, was mir gerade mit Blick auf die Ukraine Hoffnung gibt, ist schließlich dieser Zusammenhalt, den man in der ganzen demokratischen und freiheitlichen Welt spürt. Wir alle sind auf einer Seite - und zwar auf der von der Ukraine. In meiner Zeit hat es das noch nie gegeben. Ich finde, wir müssen diesen Zusammenhalt zeigen, für die Menschen in der Ukraine, aber auch für die Menschen in Russland. Dort gibt es ja auch viele, die sich jetzt gegen Putin stellen, wovor ich unfassbaren Respekt habe.
Wenn man den Buchmachern glauben darf, steht die Ukraine ohnehin bereits als Sieger fest. Fändest du das gut oder aus persönlicher Sicht doch eher frustrierend?
Nein, überhaupt nicht! Ich habe schon gesagt: Wenn ich Zweiter werde, ist das auch total okay. (lacht) Zumal die Ukraine auch musikalisch extrem stark ist. Da wird keiner sagen können, der Song hätte es eigentlich nicht verdient. Ich finde das total richtig und hoffe sogar, dass die Ukraine gewinnt. Und so wie ich die ESC-Community kennengelernt habe, wird es auch so kommen.
Auch viele andere Länder haben ihre Acts für den ESC in diesem Jahr bereits bestimmt. Hast du dir die Konkurrenz schon einmal angeguckt?
Ein paar Sachen. Als ich in Stockholm war, habe ich so ein "Reaction-Video" gedreht, für das mir zum ersten Mal ein paar Songs vorgespielt wurden. Die sind echt verdammt gut! Ich bin zum Beispiel ein großer Fan von Belgien. Aber auch Italien ist wieder mal stark. Und Sam Ryder, der jetzt für England antritt, kenne ich bereits über Tiktok. Er hat eine unfassbare Stimme und ich bin ein großer Fan von ihm. Es wird also schon ein harter Contest. Aber ich freue mich megakrass darauf, die alle kennenzulernen und vor allem auch live zu sehen. Endlich mal wieder!
Du meintest gerade etwas im Scherz, Zweiter zu werden, wäre auch okay. Mal im Ernst: Welche Platzierung hast du dir als Mindestziel in Turin gesetzt?
Eine bestimmte Platzierung habe ich mir nicht vorgenommen. Aber ich bin schon ein ehrgeiziger Typ und will auf jeden Fall weit nach vorne kommen. Mit einem Platz in den Top Five wäre ich superhappy. Top Ten wären auch noch okay. Aber bei allem darunter wäre ich schon ein bisschen traurig.
In den vergangenen Jahren lief es für Deutschland nicht immer so optimal beim ESC. Einige der Künstlerinnen und Künstler haben sich nach ihrem schlechten Abschneiden kaum wieder berappelt. Hast du Angst davor, falls du doch weit hinten landen solltest?
Nein, denn ich weiß, dass ich vorher schon Musiker war und auch danach weiter sein werde. Deshalb mache ich mir da überhaupt keine Sorgen. Einen Tag nach dem Finale in Turin geht meine Tour in Deutschland los. Ich habe auch schon viele Festival-Anfragen. Ich werde so oder so meinen Weg weitergehen.
Mit Malik Harris sprach Volker Probst
Quelle: ntv.de