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"Tatort" mit Berg und Löbau 90 Minuten Hardcore

"Ich hab im Traum geweinet" ist kein klassischer Krimi.

"Ich hab im Traum geweinet" ist kein klassischer Krimi.

(Foto: SWR/Benoît Linder)

Die Straßen voller maskierter Fasnacht-Gänger, eine dubiose Schönheitsklinik, eine Krankenschwester auf Abwegen und zwei Kommissare, die der Schnaps erst aufeinander zu-, dann voneinander wegtreibt. "Ich hab im Traum geweinet" ist einer der extremsten "Tatort"-Fälle aller Zeiten.

Die "Tatort"-Folge ist keine zwei Minuten alt, da fühlt man sich bereits derart durchgenudelt, als hätten nicht nur die Menschen auf dem Bildschirm, sondern auch man selbst bereits Einiges an Kurzen gekippt, sich von veitstanzenden Maskenträgern mit aufgepumpten Schweinsblasen auf den Kopf hauen lassen, während einem irgendein wildfremder Typ in den Schritt greift. David (Andrei Viorel Tacu) und Romy (Darja Mahotkin) sind mittendrin - er will feiern, sie eher nicht. Er will saufen, sie eher nicht. Am Ende nötigt er sie, mit ihm Schnaps zu trinken, am Straßenrand, in all dem Getümmel, während alles johlt, schubst, drängelt.

Nichts an dieser Szene zum Einstieg hat etwas von ausgelassener Faschingsstimmung. Im Gegenteil, die alemannische Fasnet, die hier gefeiert wird, macht aus den Straßen ein zwischenmenschliches Kriegsgebiet. Alle Grenzen zerfließen, kaum ein Unterschied ist auszumachen zwischen Jux und Tollerei auf der einen, Übergriffigkeit und Gewalt auf der anderen Seite.

Elena erfährt nach der OP, dass ihr Mann tot ist.

Elena erfährt nach der OP, dass ihr Mann tot ist.

(Foto: SWR/Benoît Linder)

"In der Fasnacht steckt alles gleichzeitig drin. Es ist ein anarchisches Ritual, es geht um Herrschaft - wer im Ort ist im Narrenrat, wer steckt unter den Kostümen? Die Maskierung ist da auch ein Herrschaftsmittel, du weißt nicht, von wem du geschlagen wirst", so Regisseur Jan Bonny, der zusammen mit Jan Eichberg auch das Drehbuch geschrieben hat. "Gleichzeitig ist es aber auch ein erotisches Spiel. Rausch, Enthemmung, Sexualisierung für eine bestimmte Zeit, das alles kommt da zusammen. Das fand ich interessant, weil es in seinem Ursprung auch eine bedrohlich heftige Veranstaltung ist."

Bedrohung - in der Tat ist das ein Unterton, der in diesem Schwarzwald nie verstummt, im Gegenteil. Alle Figuren tanzen wie Irrlichter am Abgrund und darüber hinaus, nicht nur im Umfeld des Verbrechens. Hier versucht Romy, Krankenschwester in jener Schönheitsklinik, in der Lebensgefährte David als Arzt tätig ist, ihre Vergangenheit als Prostituierte hinter sich zu lassen. Die jedoch gibt keine Ruhe. Erst taucht mit Burk Giebenhain (Ronald Kukulies) ein Ex-Freier auf, der behauptet, der Vater von Romys kleinem Sohn Jonas zu sein.

Ein "Tatort" wie kein zweiter

Dann ist da plötzlich Philipp Kiehl (Andreas Döhler), auch ein ehemaliger Kunde von Romy, dessen Frau Elena (Bibiana Beglau) sich in der Klinik das Gesicht operieren lässt. "Neue Tüten gleich dazu", pöbelt Kiehl beim Amnesiegespräch mit David und fasst ihr dabei an die Brust. Als Elena sich von der OP erholt, bestellt er Romy zu sich ins Hotelzimmer, kurz darauf ist er tot. Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) übernehmen den Fall. Doch auch die befinden sich mitten im Durcheinander der Fasnacht, in der Musik, Tanz, Alkohol und Gebrüll alle Zwischentöne zunichte machen und keinerlei Konzentration möglich ist.

"Ich habe im Traum geweinet", der Titel ein Bezug zum Lied von Heinrich Heine, das Komponist Jens Thomas hier selbst singt, ist ein "Tatort" wie kein zweiter. Kein klassischer Krimi, in Teilen Täterrätsel, dennoch wie abgekoppelt von den üblichen Gepflogenheiten der Serie. Stattdessen ist Bonnys Film eine körperliche, eine anstrengende, herausfordernde Beziehungsstudie. Wie ziehen Menschen Grenzen, wie reißen sie diese ein, wo endet rabiater Spaß, wo fängt körperliche Bedrohung an.

Die Dialoge fast frei schwebend, natürlich und direkt, dazu explizite Nacktheit, omnipräsenter Alkohol, in der Kneipe, auf der Straße, im Bett, in der Schreibtischschublade, bietet der Film einen ebenso irritierenden wie interessanten Blick auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau, bei dem Zärtlichkeit und Brutalität, Ranlassen und Wegstoßen oft nur einen Wimpernschlag auseinanderliegen. Alles ist in Bewegung, nirgendwo ein Moment der Ruhe. 90 Minuten Intensität, Rausch, Gewalt und Sex. Ein grandioser "Tatort", der Spuren hinterlässt und lange nachhallt.

Quelle: ntv.de

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