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Royal Soap auf Netflix Den Wölfen zum Fraß vorgeworfen …

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… und womöglich für zu zäh befunden: Am Donnerstagmorgen um 9 Uhr stellt Netflix die Teile 4 bis 6 und damit die zweite Hälfte der Doku-Reihe "Harry & Meghan" online. Drei Stunden später möchte man Klaviere zerhacken und dabei Doppelkorn trinken.

"Mir ist dermaßen übel geworden", schrieb "Guardian"-Autorin Lucy Mangan vor einigen Tagen nach Ansicht der ersten drei Episoden dieser großangelegten (Ex)-Royal-Doku. "Mir wäre fast das Frühstück wieder hochgekommen." War ich beim Lesen dieser Zeilen noch etwas irritiert und hatte die Wucht der Worte dem britischen Hang zum Kolumnen-Tacheles zugeschrieben, bin ich jetzt kurz davor, Miss Mangan via Facebook einen Freundschaftsantrag zu schicken.

Am Donnerstagmorgen um 9 Uhr wurde die zweite Hälfte von "Harry & Meghan" veröffentlicht - oder sollte man im Sinne der Kosenamen, die beide füreinander verwenden, gleich von "H&M" sprechen? Und was sich während der ersten drei Teile noch als komprimiertes Binge-Material zwischen Drama und True Crime, Monarchie-Kritik, Rassismus-Debatte und Tabloid-Wahnsinn anschauen ließ, wird im weiteren Verlauf zunehmend seifiger und in Teilen skurril.

In Teil 4 dreht es sich zunächst um die medial großangelegte Hochzeit der beiden. "Ich wollte einfach den ganzen Tag Mimosas trinken und immer wieder 'Going To The Chapel' hören", erzählt Meghan über den 19. Mai 2018. Ganz so übersichtlich wurde es nicht, ausreichend Bubbly dürfte dennoch geflossen sein und die Musik war auch top. Elton John hat gesungen, die Hochzeitstorte wurde mit einem Schwert angeschnitten, "Stand By Me" schmetterte ein Gospelchor in der Kirche, mit Wilson Picketts "Land Of A 1000 Dances" kam die Party in Schwung.

Die Messer werden gewetzt

Was sich hier als neues Narrativ abzeichnete, füllt Meghan im Nachgang mit Leben. Sie engagiert sich für die Opferfamilien der Feuertragödie um den Londoner Grenfell-Tower. Als Sohn Archie auf die Welt kommt, ist vom "schwarzen Prinz" die Rede, in Südafrika trägt ihn seine erste Nanny im traditionellen Tuch auf dem Rücken - während andernorts kurz zuvor noch rassistisch belegte Broschen am Hofe getragen wurden, die ganze Geschichte des Commonweatlhs, und damit die der englischen Monarchie, auf Imperalismus und Rassismus fußte und fußt, bot Harrys Herzensdame die Chance auf so etwas wie eine neue Epoche.

Doch die Messer werden bereits gewetzt, ein unsäglicher Post von BBC-5-Live-Host Danny Baker macht die Runde, als Archie auf die Welt kommt. Er zeigt ein altes Schwarz-Weiß-Foto, darauf ein Paar mit einem bekleideten, kleinen Schimpansen an den Händen, "Royal Baby leaves hospital", der Text dazu. Baker wird kurz darauf gefeuert, aber die "Bubble", sie ist bereits am "Bursten", wie es zu Beginn von Teil 5 heißt, das alles untermalt von Klaviertönen, mal dramatisch, dann einschmeichelnd, hier wie die Vertonung eines Imagefilms für Familienplanung, dort wie der Score eines filmischen Nachrufs. Die Nadel, die die besagte Blase zum Platzen bringt, liegt unter anderem in den Händen der sogenannten Royal Rota, einem Zusammenschluss diverser englischer Tabloids, darunter Premium-Pöbelisten wie "The Sun", "The Daily Mail" und der "Telegraph", die jetzt auf Dauerfeuer Richtung Meghan schalten.

Harry und Meghan setzen sich infolgedessen nach Vancouver Island ab, persönliche Briefe werden geleakt, der Konflikt mit Thomas Markle, dem Vater der Braut, medial zum royalen Super-GAU hochgejazzt. Und während Meghans Mutter Doria das alles mit Sorge betrachtet, zuweilen nur aus der Ferne, ist man auf Harrys Seite der Familie ebenfalls alles andere als amused. Die Lage spitzt sich zu, am Hofe und in den Kommentarspalten. Untersuchungen ergeben, dass 70 Prozent von 114.000 abgesetzten Hatespeech-Tweets von gerade einmal 83 Accounts stammen, darunter auch elf, die in Zusammenhang mit Meghans Halbschwester Samantha stehen. 17 Millionen Menschen werden so erreicht, die Kampagne trägt Früchte. Nach einem Krisenmeeting im Buckingham-Palast fällt Harry eine Entscheidung: "Wir müssen hier raus."

Fragwürdig bis unappetitlich

Man nennt sie auch H&M: Prinz Harry und Herzogin Meghan.

Man nennt sie auch H&M: Prinz Harry und Herzogin Meghan.

(Foto: IMAGO/i Images)

In Vancouver Island ist man jedoch mittlerweile gebrieft, vor der Küste dümpeln Dutzende Paparazzi, im Schlauchboot in Sehnot. Auch hier finden H&M also keine Ruhe. Der rettende Ritter wartet in Teil 6. Tyler Perry, millionenschwerer Schauspieler, Regisseur und Autor, stellt den beiden seine Villa in den Beverly Hills zur Verfügung, über Monate sickert davon nichts an die Medien durch. Ruhe kehrt ein, von Dauer ist sie jedoch nicht. Meghan erleidet eine Fehlgeburt, schreibt später eine vielbeachtete Kolumne in der "New York Times", über Depressionen und Empathie, über die eine, viel zu wenig gestellte, simple Frage an seinen Nächsten: "Are You OK?" In der Chronologie der Ereignisse wird noch der Tod des geliebten Opa Philip betrauert, fliegen Helis über die Hollywood Hills und simst Beyoncé durch, dann wird es irgendwann, tatsächlich, so etwas wie: OK.

Um die drei Stunden sind diese zweiten drei Teile nun lang und so spektakulär die Ereignisse immer noch anmuten, und das nicht nur für Leute, die in Rolf-Seelmann-Eggebert-Bettwäsche schlafen, so interessant es gewesen wäre, Meghans weiteren Weg und ihren Einfluss zwischen Kensington und Buckingham zu verfolgen, so ermüdend ist letztlich das Format, die Umsetzung, die Anmutung dieser True-Crown-Nacherzählung.

Wie fortwährend das Klavier im Off malträtiert wird, als hätte man alle Gema-freien Datenbanken zwischen Satie und Clayderman leergefegt, wie sich perfekt getimt private Handy-Filme mit stimmungsvollen Schwarz-Weiß-Fotos und Kamerafahrten durchs kalifornische Grün abwechseln. Wie immer mal wieder die arme Lady Di aus dem Archiv gezerrt wird, um Vergleiche mit Meghan zu veranschaulichen, auch das fragwürdig bis unappetitlich. Zudem, und das ist sicherlich auch einem gewissen monetären Gefälle zwischen Zielgruppe und Sujet geschuldet: Wie sich das Sonnenlicht im barocken Springbrunnen vor Perrys Villa bricht, die Boule-Kugeln durch den geharkten Sand rollen und die reifen Orangen vom Ast fallen - das erinnert zuweilen mehr an "White Lotus" und die Kardashians, ist am Ende dann doch mehr "Sarah & Marc In Love" als "60 Minutes".

"Dort, wo wir hingehören"

"Harry wollte ein einfacheres Leben", fasst es Ignacio Figueras gegen Ende zusammen und man weiß nicht, was skurriler ist: die Idee vom einfachen Leben im kalifornischen Jetset, oder die Tatsache, dass Figueras' Spitzname "Nacho" ist. Spätestens als Meghan noch einmal umständlich erklärt, warum erst "Truth" und nicht "Peace", dann aber doch "Peace", weil ohne Frieden nichts geht, ihre Worte des Jahres waren, denkt man noch einmal an ihren Hochzeitswunsch mit den Mimosas und dem einen Song. Nach drei Stunden H&M reicht weder das eine noch das andere. Man möchte vielmehr den ganzen Tag Doppelkorn trinken und "Ace Of Spades" hören.

"Wir sind dort, wo wir hingehören", beschließt Harry den letzten Teil. "Ich nehme mal an, er meint Kalifornien, und nicht Netflix", heißt es im Liveblog des "Guardian" dazu. Nice one! Apropos: Wir wissen nicht, wie es um den Magen von Lucy Mangan heute steht, hier heißt es jetzt jedenfalls durchatmen. Und Kräfte sammeln. Der nächste Dok-Buster wartet am Horizont, dann bei Apple+, im Mittelpunkt wiederum ein Royal, diesmal aus Deutschland: König Boris, der Erste. Hoffentlich hat man bis dahin die Klaviere weggeschlossen.

Quelle: ntv.de

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