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Missbrauchs-"Polizeiruf" Zu viel des Schlechten

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Wichtiges Thema, schlecht erzählt: der eigentliche Missbrauchs-Fall.

Wichtiges Thema, schlecht erzählt: der eigentliche Missbrauchs-Fall.

(Foto: NDR / Christine Schroeder)

Die ersten beiden sehr überzeugenden Folgen nach Charly Hübners Dienstende hatten die bange Frage, wie es im Rostocker "Polizeiruf" weitergehen würde, beinahe beiseite gewischt. Aber eben nur beinahe, denn die dritte Episode ist ein Rückfall.

Wer eine Krimireihe mit dem Ziel produziert, möglichst ein ganzes Land vor den Fernseher zu locken, muss eine Menge Kompromisse eingehen. Oder aber genau den entgegengesetzten Weg gehen und Folge für Folge konsequent alle Brücken abreißen, thematisch wie schauspielerisch. Wie gut das funktionieren kann, beweist seit mehr als zehn Jahren der Dortmunder "Tatort". Auf "Polizeiruf"-Seite war bis vor Kurzem auf die Rostocker Verlass, die ähnlich düster wie die Kollegen aus dem Pott unterwegs waren, mit einer ebenfalls horizontal erzählten Geschichte um den halbseidenen Kommissar Bukow (Charly Hübner) und seine LKA-Kollegin König (Anneke Kim Sarnau).

Nach Bukows Ausscheiden mit großem Knall waren die Zweifel groß: Würde seine Nachfolgerin Melly Böwe (Lina Beckmann) den Platz ausfüllen können? Denn Beckmann, im echten Leben seit mehr als zehn Jahren mit Hübner verheiratet, bildet mit ihrem sonnigen Gemüt und der auf den ersten Blick eher unbedarften Art einen krassen Kontrapunkt zum düsteren Bukow. Nach den ersten zwei Episoden sah erstmal alles nach Entwarnung aus: "Der Cast bleibt das Pfund, die Story passt perfekt nach Rostock, jetzt schon gespannte Vorfreude auf den nächsten Fall", schrieb der Kollege Ingo Scheel im Februar über "Daniel A." und vergab neun von zehn Punkten.

Wichtiges Thema, schlecht erzählt

Leider ist "Nur Gespenster" eine herbe Enttäuschung: Die Geschichte um eine missbrauchte Jugendliche, die 15 Jahre nach ihrem Verschwinden (vermeintlich) Rache an ihren Peinigern nimmt, ist heillos überfrachtet und sperrig erzählt. Das ist gleich doppelt schade, denn der Fokus auf Verdrängung durch die Angehörigen und die Mitschuld der schweigenden Mutter ist ein interessanter Ansatz. "Es geht uns darum, eine Ebene zu schaffen, die es einem nicht erlaubt wegzuschauen", sagt Regisseur Andreas Herzog. "Eine Aufmerksamkeit dafür zu schaffen, dass es Missbrauch gibt und dass diese Dinge in jedermanns sozialem Umfeld passieren können. So was gibt es, und man sollte sich damit auseinandersetzen." Der Regisseur trifft damit einen entscheidenden Punkt: Das Thema ist extrem unbequem und wichtig zugleich. Und will deshalb mit der nötigen Sorgfalt erzählt werden.

Taucht unnötigerweise wieder auf: Königs Vater.

Taucht unnötigerweise wieder auf: Königs Vater.

(Foto: NDR / Christine Schroeder)

Was "Nur Gespenster" nicht tut, sondern sich in einem halbgaren Sideplot verläuft, der Parallelen zwischen Ermittlerin König, ihrem verschollenen Vater und dem aktuellen Fall aufmachen will. Weil den aber wahrscheinlich nur Zuschauer mit eingebautem Episodenguide zu Jahre zurückliegenden Folgen verstehen, liefern wir hier gleich die Erläuterung von König-Darstellerin Anneke Kim Sarnau mit dazu: "Sie träumt von ihrer Kindheit mit den Eltern in der DDR. Das Ganze spielt am Meer, und plötzlich bleibt sie allein zurück … wie nach der Flucht. Eine traumatische Erfahrung (…). Sie ist ja mit ihrer Mutter übers Meer geflohen, als sie ungefähr vier Jahre alt war, und die Mutter ist auf der Flucht ertrunken."

Na, noch dabei? Denn das war noch nicht alles: "Den Vater hat sie seitdem nie mehr gesehen. Vor Jahren hat Katrin König Nachforschungen über ihn angestellt, wobei Veit und Sascha Bukow ihr geholfen haben. Dabei erfuhr sie, dass er als Systemkritiker in Bautzen im Knast gesessen hat, und weil sie ihn nicht ausfindig machen konnte, dachte sie, er sei tot." Das klingt nicht nur furchtbar kompliziert, das ist es beim Zuschauen auch - und lenkt von den wirklich wichtigen Themen ab. Klar, die Rostocker wollen weiter so abgründig und komplexbeladen wie möglich bleiben, aber in diesem Fall ist es leider zu viel des Schlechten.

Quelle: ntv.de

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