Verheerender Busunfall in der Schweiz mit 28 Toten Kinder vermutlich nicht angeschnallt
14.03.2012, 16:35 Uhr
Der Tunnel soll breit und gut beleuchtet sein, es gab keinen Gegenverkehr und die Busfahrer waren ausgeruht: Experten rätseln, warum der Reisebus in der Schweiz verunglückte und 22 Kinder in den Tod riss. Angehörige der Opfer treffen derweil in der Schweiz ein. Einige wissen noch nicht, ob ihr Kind zu den Opfern gehört.
Nach dem schweren Busunglück mit 28 Toten suchen die Experten fieberhaft nach der Unglücksursache. Bei dem Unfall eines Reisebusses waren in der vergangenen Nacht 22 Kinder, vier Betreuer und die beiden Busfahrer ums Leben gekommen. 24 Menschen wurden verletzt. Drei Kinder lägen im Koma, sagte Belgiens Premier Elio Di Rupo.
Belgiens König Albert II. zeigte sich "zutiefst schockiert". "Die Gedanken des Königs sind bei den Opfern und deren Familien", sagte ein Sprecher des Palasts in Brüssel. Der König sprach zudem auf einem Militärflugplatz bei Brüssel mit Verwandten der Opfer. Einige von ihnen trafen inzwischen in der Schweiz ein. Di Rupo kündigte einen nationalen Tag der Trauer in Belgien an. "Das ist ein sehr trauriger Tag für ganz Belgien", erklärte er. Mehrere Kinder im Bus kommen auch aus den Niederlanden. Ihre Schule in Lommel liegt nahe der Grenze.
Laut dem belgischen Regierungschef befanden sich in dem Unglücksbus auch ein Deutscher und ein Pole. Unklar war jedoch, ob es sich um Kinder oder möglicherweise die beiden Busfahrer handelte. Di Rupo teilte mit, die Polizei habe Spezialisten entsandt, um bei der Identifizierung der Opfer zu helfen. Diese sei "sehr mühsam". Der Transport der Verletzten in die Heimat war derweil noch unklar. Viele der verletzten Kinder seien "noch nicht transportfähig", hieß es.
Front des Busses zerfetzt
Offenbar kam der Fahrer des Reisebusses in einem Tunnel auf der Autobahn A9 gegen 21.15 Uhr nach rechts ab, streifte die Bordsteinkante, überfuhr die Fahrbahnbegrenzung und rammte frontal die Betonmauer einer Nothaltebucht. In der Röhre gab es keinen Gegenverkehr. Nach belgischen Informationen war kein weiteres Fahrzeug beteiligt. Der Aufprall war von extremer Wucht, vom Reisebus war anschließend nur noch ein zerfetztes Wrack übrig. "Die Front des Busses war total eingedrückt", berichtete eine Korrespondentin des Schweizer Fernsehens vom Unglücksort. Auf der Fahrbahn lagen Kleider und Gepäckstücke der Kinder.
Die Ursache des Unglücks sei noch nicht geklärt, sagte der Sprecher der Walliser Polizei, Renato Kalbermatten, dem Schweizer Fernsehen. Übermüdung des Fahrers schloss er als Ursache aus: Der Bus sei erst 20 Minuten vor dem Unglück losgefahren, sagte Kalbermatten. Die Fahrer waren am Vortag in der Schweiz eingetroffen. Das völlig zerstörte Buswrack wurde inzwischen abtransportiert und soll genau untersucht werden. Dadurch erhoffen sich die Ermittler nähere Erkenntnisse zum Unfallhergang.
- In Deutschland ist es seit 1999 vorgeschrieben, in Reisebussen einen Sicherheitsgurt anzulegen.
- Voraussetzung dafür ist, dass ein Gurt vorhanden ist. Ebenfalls seit 1999 müssen Reisebusse mit Sicherheitsgurten auf allen Sitzplätzen ausgestattet sein.
- EU-weit gilt seit dem 9. Mai 2006 die Anschnallpflicht im Reisebus. Sie gilt generell für alle Fahrzeuge, sofern sie entsprechend ausgestattet sind.
- In der Schweiz wurde die Pflicht zum Gurt ebenfalls 2006 zum Gesetz.
Der Bus, der 2002 erstmals zugelassen wurde, gehörte der Busgesellschaft Toptours mit Sitz in Aarschot, in der belgischen Provinz Flämisch-Brabant. Die Gesellschaft habe einen "exzellenten" Ruf, sagte der belgische Staatssekretär für Verkehr, Melchior Wathelet. Bisher weise alles darauf hin, dass der Bus modern und aus der neusten Generation war. Er sei mit allen nötigen Sicherheitsvorkehrungen, also auch Gurten, ausgerüstet gewesen. "Wir haben alle Erinnerungen an unsere eigenen Busreisen. Ich war als Kind auch in solchen Wintersportferien, in denen wir uns frei im Bus bewegten", erzählte Wathelet. Nun werde einem bewusst, wie gefährlich das gewesen sei.
Kinder nicht angeschnallt?
Ein ADAC-Sprecher vermutet, dass einige Schüler möglicherweise nicht angeschnallt waren. Die hohe Zahl der Toten lasse das erahnen, sagte ADAC-Sprecher Andreas Hölzel der Nachrichtenagentur dpa. Für moderne Reisebusse gelte zwar eine EU-weite Gurtpflicht für Passagiere. "Dort, wo Gurte sind, sollen sie sich anschnallen, nur viele machen es einfach nicht." Oft sei das der Grund für die schlimmen Folgen eines Busunfalls. Der Fahrer müsse die Reisenden zwar über die Gurtpflicht informieren, könne aber nicht jedes Mal kontrollieren, ob sich alle daran hielten.
Mit Blick auf die starke Zerstörung des Unglücksfahrzeugs sagte Hölzel, bei so starken Deformationen helfe "dann auch der Gurt nichts mehr". Reisenden im hinteren Teil des Busses hätte ein Gurt aber möglicherweise das Leben retten können. "Das sind aber alles Spekulationen - man weiß nicht, wie viele angeschnallt waren." Busse seien eigentlich sehr sichere Verkehrsmittel.
Wenn Busfahrer Kinder an Bord hätten, bräuchten sie gute Nerven, sagte der ADAC-Sprecher. "Kinder sind einfach lebhafte Fahrgäste, da wird auch oft Gaudi gemacht und es geht laut zu." Häufig dröhne noch Musik durch den Bus. Außerdem seien Kinder auf einer Reise oft besonders aufgekratzt.
Der ADAC hatte den Schweizer Tunnel 2005 getestet und für gut befunden, sagte Hölzel. "Es ist ein moderner, breiter, gut beleuchteter Tunnel - insgesamt waren unsere Tester sehr zufrieden".
Schreckliches Bild
60 Feuerwehrleute, 15 Ärzte, hundert Sanitäter, zwölf Krankenwagen, acht Hubschrauber, drei Tieflader und drei Psychologen waren stundenlang im Einsatz. Rettungskräfte hätten die Seitenteile des zerquetschten Fahrzeugs aufschneiden müssen, damit die Opfer herausgeholt werden konnten, hieß es. Die Rettungskräfte berichteten von "schockierenden Szenen". Die Polizei sprach von einer "nie dagewesenen Tragödie". Der Tunnel wurde nach einer vorübergehenden Vollsperrung am Vormittag wieder für den Verkehr freigegeben.
Angehörige der Opfer wurden mit einem Militärflugzeug zum Unglücksort geflogen. Psychologen standen für ihre Betreuung bereit. Während einige einen erlösenden Anruf von ihrem Kind bekamen, war für andere immer noch unklar, ob ihr Sohn oder ihre Tochter eines der schwersten Busunglücke in der Schweizer Geschichte überlebt hatte.
Vor den Schulen der Kinder in Heverlee in der Nähe von Brüssel und in Lommel an der niederländischen Grenze versammelten sich am Morgen Mitschüler und Angehörige. Weinend lagen sich Menschen in den Armen. "Uns fehlen die Worte. Wir empfinden nur tiefe Trauer", sagte der Geistliche Dik De Gendt. "Einige Eltern wissen, dass ihre Kinder überlebt haben. Für andere gibt es keine Nachrichten", sagte ein Polizeisprecher. Noch am Montag hatten sich die Schüler aus Lommel per Online-Reisetagebuch aus ihren "Superferien" gemeldet. "Jawohl, liebe Daheimgebliebene, wir sind schon fast am Ende. Morgen ist schon der letzte Tag ..."
Bundeskanzlerin Angela Merkel drückte Di Rupo ihr Beileid aus. Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sprachen den Angehörigen der Opfer ihr Mitgefühl aus. "Es gibt keine entsetzlichere Dramen", sagte Sarkozy. Das schweizerische und das Europaparlament gedachte der Toten am Mittwoch mit einer Schweigeminute.
Quelle: ntv.de, sba/mli/AFP/dpa