Panorama

Sachsen rüstet sich für neue Rekordstände Bitterfeld nach Deichbruch akut bedroht

Viele Menschen sind bereits in Notunterkünften

Viele Menschen sind bereits in Notunterkünften

(Foto: dpa)

Die Hochwasserexperten rechnen fieberhaft, doch die Pegel steigen rasant und machen viele Vorhersagen zu Makulatur. Die Menschen in Sachsen und Sachsen-Anhalt bereiten sich auf dramatische Tage bevor. Noch immer kommen aus Tschechien neue Wassermassen heran, in Dresden und Bitterfeld drohen neue Pegelhöchststände, die noch über den Rekordmarken von 2002 liegen könnten. Vorsorglich wird der Strom abgeschaltet, Bauarbeiten ruhen, Ämter schließen ihre Pforten. Immer mehr Menschen müssen ihre Häuser räumen. Die Kanzlerin besucht die Hochwasserregionen und verspricht schnelle Hilfe für die Betroffenen.

Das Hochwasser an der Elbe wird nach Einschätzung des sächsischen Innenministeriums wahrscheinlich ähnlich dramatische Ausmaße wie 2002 annehmen. "Wir rechnen mit einem Pegelstand von neun Metern plus X", hieß es im Innenministerium in Dresden. Bedroht seien neben der Landeshauptstadt Dresden alle Ortschaften entlang des Stroms. Bevölkerung und Behörden müssten sich auf eine vergleichbare Situation wie beim Hochwasser vor elf Jahren einrichten. "Wir sind auf eine langanhaltende Situation vorbereitet." Gegen 14.00 Uhr stand der Pegel in Dresden bei 7,61 Metern. 2002 war die historische Altstadt von Dresden überflutet worden. Damals war ein Pegelstand von 9,40 Metern erreicht worden.

Vorsorglich wurden die Bauarbeiten an der Dresdner Waldschlösschenbrücke gestoppt. Die Baustelle sei gesichert, das Bauwerk selbst nicht in Gefahr, sagte Stadtsprecher Kai Schulz. Schäden könnten nur wegen des Treibguts entstehen, das an die Pfeiler getrieben werde. Der anschwellende Fluss umspült bis in die Elbauen hinauf die Brückenfüße. Es ist der erste Flut-Härtetest für die Konstruktion, die mittlerweile nahezu komplett das Wasser überspannt. Mit dem Bau wurde lange nach der Flutkatastrophe von 2002 im November 2007 begonnen. Das Oberlandesgericht stellte wegen der drohenden Stromabschaltung seinen Dienstbetrieb ein, bis Montag finden keine Verhandlungen statt.

Merkel sichert Hilfe zu

Bundeskanzlerin Angela Merkel informierte sich am Mittag in Pirna bei Dresden über den Stand der Schutzvorkehrungen. Wie Bayern sagte sie auch Sachsen Hilfen des Bundes zu. Zu jedem Euro, den die Landesregierung ausgebe, werde der Bund einen Euro drauflegen. Bei einem Besuch im niederbayerischen Passau hatte Merkel erklärt, der Bund habe als Soforthilfe 100 Millionen Euro bereitgestellt. "Wir haben für so viele Dinge Geld, ich denke, gerade in dieser Notsituation werden wir auch Mittel und Wege finden, um den Menschen zu helfen", sagte sie. "Vor allem geht es darum, dass wir jetzt unbürokratisch auszahlen."

Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich kündigte ein 30-Millionen-Euro-Sofortprogramm für Betroffene der Hochwasserkatastrophe an. Das Geld wird den Bürgermeistern zur Verfügung gestellt und soll den Opfern von diesem Donnerstag an ausgezahlt werden. Laut Tillich ist es eine Hilfe für Menschen, "die keine trockenen Sachen mehr haben und bei denen die Waschmaschine nicht mehr funktioniert".

Moldau verschärft die Lage

Zusätzlich zu den heftigen Niederschlägen wird die Elbe mit den großen Wassermassen der Moldau aus Tschechien gespeist. Das Zentrum der Porzellanstadt Meißen meldete bereits Land unter. Wegen des noch immer steigenden Hochwassers will die Stadt einzelne Stromleitungen vom Netz nehmen. "Die Vorbereitungen laufen schon", sagte Oberbürgermeister Olaf Raschke. Wenn die Elbe wie erwartet anschwelle, sei das notwendig. Am Morgen wurde ein Pegelstand von 8,06 Meter gemessen. Das Wasser stieg danach weiter an, Bewohner wurden in Sicherheit gebracht. Vor allem das Theater der Stadt machte den Helfern Sorgen. Dort lief das Foyer voll. Falls das Wasser die Decke erreicht, würden die nach dem Hochwasser 2002 sanierten Bereiche wieder zerstört.

Bei Pegau im Landkreis Leipziger Land wurde ein Damm aufgegeben. Der Damm Nepperwitz brach auf mehreren Metern, der Ort wurde geräumt. Ein weiterer Damm droht zu brechen. Rund 300 Bundeswehrangehörige helfen dort bei der Deichsicherung, um das Wasserwerk Canitz zu schützen. Im Freistaat sind weit über 9000 Helfer ununterbrochen im Einsatz. Neben Feuerwehrleuten, Polizisten und Mitarbeitern des Technischen Hilfswerks sind auch Soldaten der Bundeswehr präsent.

Passau kann hoffen

In den Hochwassergebieten im bayerischen Passau zeichnet sich unterdessen eine Entspannung ab. Der Wasserstand fiel bis zum Mittag verglichen zum Höhepunkt um gut einen Meter auf 11,90 Meter. Der Hochwasserscheitel war gestern Abend mit 12,89 Metern erreicht worden - ein Rekordwert seit Jahrhunderten. Helfer von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk und Soldaten der Bundeswehr unterstützen die Aufräumarbeiten der Passauer in der Innenstadt. Das Trinkwasser bleibt aber vorerst noch in der gesamten Stadt abgestellt. Auch der Strom bleibt in einigen überfluteten Straßen weg.

Auch wenn sich die Lage in Passau allmählich entspannt, verschärft sich andernorts in Bayern die Lage. Für den Bereich Straubing bis oberhalb Passau soll sich den Behörden zufolge die Hochwasserlage noch einmal verschlimmern. Nach Angaben des bayerischen Innenministeriums werden derzeit im Landkreis der Donaustadt Deggendorf Häuser und Wohnungen evakuiert. Dort wird in der Nacht der Scheitelpunkt des Hochwassers bei 8,44 Metern erwartet. Das wäre demnach dort der höchste jemals gemessene Wert. Bei Winzer brach ein Damm. Wenige Stunden später überwanden die Fluten einen Damm an der Mündung der Isar in die Donau.

Höchster Alarm in Sachsen-Anhalt

Auch in Sachsen-Anhalt verschärft sich die Hochwasserlage deutlich. In Bitterfeld werden rund 10.000 Menschen vorsorglich evakuiert. Es wird damit gerechnet, dass das Wasser bis in die Innenstadt vordringt. Zuvor waren bereits ein Krankenhaus und ein Pflegeheim geräumt worden. In Bitterfeld gehen die Behörden davon aus, dass das Wasser sogar noch höher als 2002 steigen kann.

Es sei wegen vieler Unbekannter nicht klar, wann und wie stark Wasser aus dem Goitzschesee in die Stadt eindringe, teilte der stellvertretende Landrat des Landkreises Bitterfeld-Wolfen, Bernhard Böddeker, mit. Die Gefahr sei derzeit besonders groß, weil im sächsischen Löbnitz ein Deich gebrochen sei und sehr viel Wasser in einen See direkt neben dem Goitzschesee fließe. Helfer versuchen beide Seen, mit einem Kanal zu verbinden, um Entlastung zu schaffen. Den Chemiepark von Bitterfeld hat die Bundeswehr mit Sandsäcken und Paletten gesichert.

Der Ort Jeßnitz im Landkreis Anhalt-Bitterfeld ist völlig von der Außenwelt abgeschlossen. Von dort und auch aus weiteren Orten mussten Tausende Menschen in Sicherheit gebracht werden. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff ordnete die Bildung eines Krisenstabs der Landesregierung an. In Magdeburg wurde Katastrophenalarm ausgelöst. Nach derzeitigen Prognosen wird an der Strombrücke die Marke von 6,90 Metern erreicht. Normal sind dort knapp zwei Meter. Bei der Flut 2002 stand der Pegel bei maximal 6,72 Metern. 30.000 Sandsäcke zur Sicherung von Deichen und zum Errichten von Wällen sind gefüllt und 22.000 bereits verbaut.

In Dessau-Roßlau drückt die Rossel in die Innenstadt. Hier warten die Helfer dringend auf Pumpen aus den Niederlanden, die noch im Laufe des Tages eintreffen sollten.

In Halle ist die Lage nach Angaben eines Stadtsprechers bereits "dramatisch". Auch dort wurde der Katastrophenfall festgestellt. Die Saale hat die Marke von 7,50 Metern überschritten. Hunderte Einsatzkräfte kämpfen mit Hilfe der Bundeswehr um die Deiche. "Die Dämme sind sehr aufgeweicht", sagte der parteilose Oberbürgermeister Bernd Wiegand. Mit Sandsäcken wird versucht, den Gimritzer und den Passendorfer Damm zu stützen. "Wir gehen derzeit davon aus, dass wir die Dämme halten können. Die Frage ist nur, wie lange", sagte Wiegand.

Keine Besserung in Thüringen

In Thüringen gilt vor allem an der Saale und der Weißen Elster teils die höchste Alarmstufe. Der kleinen Ort Ziegenrück steht dort im Fokus der Aufmerksamkeit. Grund: Aus der Bleichlochtalsperre müssen etwa 200 Kubikmeter Wasser pro Sekunde abgelassen werden. Die Talsperre drohte überzulaufen. Der steigende Pegelstand der Saale hatte das Energie-Unternehmen Vattenfall als Pächter der Talsperre zu dieser Maßnahme gezwungen. Damit steigt die Gefahr der Überflutung von Ziegenrück. Der Ort kann nur 120 Kubikmeter Wasser pro Sekunde verkraften. Die Anwohner wurden aufgerufen, eiligst ihre Habseligkeiten in Sicherheit zu bringen. Noch am Vortag hatte ein Vattenfall-Sprecher dementiert, dass das Wasser aus der Talsperre abgelassen werden muss. Die Hochwasserdaten hatten am Montag noch positiver ausgesehen. Das Innenministerium hatte zuvor sinkende Pegelstände im ganzen Land vermeldet. Im ganzen Freistaat sind Gummistiefel und Wasserpumpen ausverkauft.

In den Kreisen Greiz, Altenburger Land und der Stadt Gera konnte der Katastrophenalarm bis Mittag zwar noch nicht aufgehoben werden. Die Krisenstäbe rechnen aber damit, dass sich die Lage weiter entspannen wird.

Brandenburg füllt Sandsäcke

Nach den südlichen Bundesländern bereitet sich jetzt auch das nördlichere Brandenburg auf die Hochwasserwelle vor. In den vergangenen 24 Stunden sind die Pegelstände der Flüsse dort erheblich gestiegen. Vor allem an der Elbe und der Schwarzen Elster laufen die Vorbereitungen zur Bekämpfung von Wassermassen an. In Herzberg, im Jahr 2002 wochenlang von Hochwasser bedroht, werden vorsorglich Sandsäcke gefüllt. Auch Mühlberg an der Elbe droht die höchste Alarmstufe 4. An der Oder, die 1997 beim dortigen sogenannten Jahrhunderthochwasser besonders betroffen war, gibt es bisher dagegen keine Probleme.

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums sind derzeit 4000 Kräfte des Bundes im Hilfseinsatz - darunter mehr als 1000 Soldaten. Einen Lichtblick gibt es auch: Meteorologen rechnen damit, dass der Regen in den kommenden Tagen fast überall nachlässt.

Tschechien schickt die Flut

Auch im Ausland löst das Hochwasser katastrophale Zustände aus. In Österreich sind weiterhin viele Zugverbindungen gesperrt, Innenstädte stehen unter Wasser. In der Slowakei stellt sich die Hauptstadt Bratislava auf die nahende Donau-Flutwelle ein. Der slowakische Wetterdienst rief die höchste Warnstufe aus. Der Schiffsverkehr auf der Donau ist eingestellt.

Derweil bahnt sich das Hochwasser in Tschechien seinen Weg in Richtung der deutschen Grenze. Die Moldau erreichte in der Hauptstadt Prag ihren Scheitelpunkt, während die Wassermassen weiter nach Norden ziehen. Am Abend werden die Überschwemmungen in Usti-nad-Labem erwartet. Die an der Elbe gelegene Industriestadt mit 100.000 Einwohnern liegt rund 30 Kilometer vor der deutschen Grenze. Die Moldau ist ein Nebenfluss der Elbe.

Mehrere Chemiefabriken in der Region hatten bereits am Montag als Vorsichtsmaßnahme ihren Betrieb eingestellt. Darunter ist die Fabrik Spolana in Neratovice, 20 Kilometer nördlich von Prag, aus der bei der Überschwemmungskatastrophe 2002 Dutzende Tonnen Flüssigchlor in die Elbe gelangt waren.

Durch die schweren Überschwemmungen sind in Tschechien bereits sieben Menschen ums Leben gekommen. Zwei Menschen starben in Österreich, ein weiterer in der Schweiz.

Quelle: ntv.de, sba/dpa/AFP

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