Panorama

EHEC-Spur führt nach Lübeck Gesundheitsminister warnt

Eine EHEC-Bakterienkultur in Hamburg.

Eine EHEC-Bakterienkultur in Hamburg.

(Foto: dapd)

Woher stammt der EHEC-Erreger? Trotz neuer Spuren und Theorien tappen Wissenschaftler noch immer im Dunkeln. Nur so viel ist klar: Für Entspannung ist es zu früh. Gesundheitsminister Bahr ruft weiterhin zu Vorsicht auf, noch könne die Infektionsquelle aktiv sein. Der Direktor der Charité kritisiert indes das Robert-Koch-Institut und fordert eine bessere Informationspolitik.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr hat die Bürger wegen der EHEC-Infektionen zu anhaltender Vorsicht aufgefordert. "Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Infektionsquelle noch aktiv ist", sagte der FDP-Politiker den "Ruhr Nachrichten". "Wir müssen weiterhin wachsam sein." Es gebe weiterhin Neuinfektionen.

In Deutschland werden Tomaten vernichtet - die Nachfrage ist eingebrochen.

In Deutschland werden Tomaten vernichtet - die Nachfrage ist eingebrochen.

(Foto: dapd)

Es bleibe bei den bisherigen Empfehlungen, "vorsorglich auf den Verzehr von rohen Tomaten, Salatgurken und Blattsalaten, die insbesondere in Norddeutschland auf dem Markt sind, zu verzichten". Die üblichen Hygieneregeln im Umgang mit Obst und Gemüse böten den besten Schutz. Die Lebensmittelbehörden arbeiteten mit Hochdruck daran, die Infektionsquelle zu identifizieren, so Bahr.

Woher der EHEC-Erreger kommt, ist nach wie vor ungeklärt, sein Ursprung wird in Deutschland vermutet. Dies ergebe sich nach den Fallzahlen und der Herkunft der Fälle, sagte der Mikrobiologe Lothar Beutin vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Das Epizentrum sei der Hamburger Raum. "Entweder ist die Quelle noch nicht versiegt, oder es ist eine Mensch-zu-Mensch-Ansteckung wie bei einem Schneeballsystem im Gange", sagte Beutin.

Knatsch unter Wissenschaftlern

Unter führenden Wissenschaftlern brach inzwischen Streit über das Krisenmanagement aus. Der Ärztliche Direktor der Berliner Charité kritisierte die Arbeit des Robert-Koch-Instituts (RKI). Das Universitätsklinikum habe erst in dieser Woche Fragebögen für die Patienten bekommen, sagte Ulrich Frei dem "Tagesspiegel". "Das reicht nicht. Man hätte die Patienten interviewen sollen."

Es sei zudem nicht erkennbar, was das RKI erarbeite. "Wir brauchen eine bessere Informationspolitik", forderte Frei. Dass sich der EHEC-Erreger seit Anfang Mai ausbreite, außer Gurken aus Spanien aber keine mögliche Quelle ermittelt worden sei, mache ihn unruhig. Eine RKI-Sprecherin wies die Vorwürfe zurück. Das Institut habe nach Ausbruch des Darmkeims zügig reagiert, sagte sie dem "Tagesspiegel".

Spur führt nach Lübeck

Eine Mikroskopaufnahme von Bakterien am Bundesinstitut für Risikobewertung.

Eine Mikroskopaufnahme von Bakterien am Bundesinstitut für Risikobewertung.

(Foto: dpa)

EHEC-Patienten könnten sich indes nach einem Bericht der "Lübecker Nachrichten" in einem Restaurant der Hansestadt infiziert haben. Das berichtet die Zeitung unter Berufung auf das Kieler Verbraucherschutzministerium. Demnach wurde das Restaurant bereits von Experten des RKI und des BfR untersucht. Eine RKI-Sprecherin und ein Vertreter des Kieler Gesundheitsministeriums bestätigten, dass ein RKI-Team am Freitag in Lübeck war.

Den "Lübecker Nachrichten" zufolge hatten sich 17 Menschen in der Gaststätte mit EHEC infiziert. Der Mikrobiologe Werner Solbach sagte der Zeitung, das Restaurant treffe keine Schuld: "Allerdings kann die Lieferantenkette möglicherweise den entscheidenden Hinweis geben, wie der Erreger in Umlauf gekommen ist." Dem Blatt zufolge besuchten die Erkrankten das Restaurant zwischen dem 12. und dem 14. Mai. "Bemerkenswert ist, dass es sich bei den Erkrankten um Teilnehmer unterschiedlicher Gruppen handelt", so der Wissenschaftler.

Unter den Erkrankten ist auch eine Gruppe der Deutschen Steuer-Gewerkschaft (DSTG), wie der Bundesvorsitzende Dieter Ondracek bestätigte. Demnach infizierten sich acht Mitglieder einer Gruppe, die am 13. Mai das Restaurant besuchte. Vier von ihnen seien schwer erkrankt. Eine 48-Jährige aus Nordrhein-Westfalen sei an der Infektion gestorben, erklärte Ondracek. Solbach berichtete zudem von einem Kind aus Süddeutschland, das bei einer Familienfeier ebenfalls in dem Restaurant gewesen sei. "Bislang gab es nur vage Hinweise, wo, wann und was Erkrankte gegessen haben. Hier gibt es erstmals eine Gemeinsamkeit", hielt er fest.

Der Besitzer des betroffenen Restaurants "Kartoffel-Keller", Joachim Berger, sagte, in seinem Restaurant seien keine Erreger festgestellt worden. "Unsere Leute essen ja dasselbe. Und keiner von unseren Mitarbeitern ist krank." Sie äßen auch Salate und litten nicht unter Durchfall. Nach seinen Worten bezieht er sein Obst und Gemüse von einem Händler in Mölln in Schleswig-Holstein. Berger sagte, als die Meldung über die Erkrankungen gekommen sei, sei man "wie vor den Kopf geschlagen" gewesen. Das Verbraucher- und Agrarministerium von Schleswig-Holstein bestätigte den Fall, nicht aber die Zahl der Erkrankten. "Von einer heißen Spur zu sprechen, erschließt sich mir derzeit nicht", sagte ein Sprecher des Ministeriums.

RKI: Großveranstaltung kein Ausgangspunkt

Der Hamburger Hafengeburtstag ist für das RKI nicht der Ausgangspunkt der EHEC-Infektionen.

Der Hamburger Hafengeburtstag ist für das RKI nicht der Ausgangspunkt der EHEC-Infektionen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Unterdessen warten nun auch EU-Experten auf Testergebnisse aus dem Lokal. Das teilte die EU-Kommission in Brüssel mit. EU-Kommissar John Dalli bot an, Spezialisten nach Deutschland zu schicken. Sie könnten "den kompetenten deutschen Behörden" bei der Suche nach dem Ursprung der Infektion helfen - "Ergebnisse überprüfen und zu den fortlaufenden Untersuchungen beitragen, um die Identifizierung der Quelle zu beschleunigen". Dalli stehe seit Tagen in Kontakt mit den deutschen Ministern für Landwirtschaft und Gesundheit.

Großveranstaltungen sind nach Erkenntnissen des Robert Koch-Instituts kein Ausgangspunkt der EHEC-Welle. "Pressemeldungen, wonach EHEC-Infektionen mit Großveranstaltungen in Verbindung gebracht werden, decken sich nicht mit den Erkenntnissen des RKI und stehen im Widerspruch zu dem epidemiologischen Profil des Ausbruchs", teilte das Institut in Berlin mit. Das Magazin "Focus" hatte zuvor berichtet, der Hamburger Hafengeburtstag Anfang Mai könnte Quelle des aggressiven Darmkeims sein. Diese These werde beim RKI favorisiert, schrieb das Magazin.

Weiterer Anstieg der Infektionen

Bundesweit stieg die Zahl der EHEC-Infektionen am Wochenende weiter. Allein in Niedersachsen wurden 458 neue Fälle und Verdachtsfälle gezählt - 40 mehr als am Vortag.

Eine EHEC-Infektion kann zum hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) führen, an dem in Deutschland bereits 18 Menschen gestorben sind. In Deutschland leiden mindestens 520 Patienten an HUS. Insgesamt wurde bei rund 2500 Menschen in Deutschland eine EHEC-Infektion nachgewiesen oder es besteht der Verdacht darauf.

Auch US-Bürger infiziert

Aus Angst vor dem Darmkeim EHEC ordneten die USA verstärkte Kontrollen für Gemüse aus Deutschland und Spanien an. Die Nahrungsmittelaufsichtsbehörde FDA verhängte nach eigenen Angaben Importkontrollen für alle Lieferungen von Gurken, Tomaten und Salaten aus den beiden Ländern. "Jeglichem Produkt, das sich als verseucht herausstellt, wird die Einfuhr verweigert", erklärte der zuständige FDA-Vertreter David Elder.

Das US-Seuchenkontrollzentrum CDC teilte derweil mit, dass sich womöglich sechs US-Bürger mit dem Darmkeim infiziert haben. Bei den Verdachtsfällen handele es sich um vier Menschen, die kürzlich von Reisen nach Deutschland zurückgekommen seien, sowie um zwei in Deutschland stationierte US-Soldaten. Bisher gebe es noch keine bestätigten EHEC-Fälle unter US-Soldaten in Deutschland, betonte CDC-Sprecher Chris Braden. Bei zwei an Durchfall erkrankten Soldaten werde aber untersucht, ob es sich um EHEC-Fälle handele.

Erbgut identifiziert

Diese elektronenmikroskopische Aufnahme des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung zeigt EHEC-Bakterien.

Diese elektronenmikroskopische Aufnahme des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung zeigt EHEC-Bakterien.

(Foto: dpa)

Ein erster echter Erfolg im Kampf gegen den tödlichen Keim war Forschern aus Münster sowie aus Hamburg und China gelungen: Sie hatten das Erbgut des Bakteriums entziffert. Dag Harmsen vom Universitätsklinikum Münster sagte: "Wir erhoffen uns im Laufe der nächsten Woche Hinweise zur Verhinderung weiterer Infektionen."

Nach Informationen der Weltgesundheitsorganisation WHO ist der Erreger bisher in zwölf Ländern aufgetreten. Infektionen gebe es außer in Deutschland auch in Österreich, Tschechien, Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, Norwegen, Spanien, Schweden, Schweiz, Großbritannien und den USA. Von den meisten Patienten ist bekannt, dass sie zuvor in Deutschland waren.

WHO zweifelt am Ursprung

Derweil gibt die Organisation zu Bedenken, dass der Erreger seinen Ursprung eher im Fleisch als im Gemüse haben könnte. WHO-Experte Donato Greco erklärte der italienischen Zeitung "La Repubblica": "Der Erreger ist üblicherweise im Darm von Rindern zu finden und damit auch in rohem Fleisch wie Tartar oder schlecht gekochten Hamburgern." Er habe noch nie derart gefährliche Darmkeime auf Obst und Gemüse festgestellt.

Wäre Rindfleisch die Quelle für den gefährlichen Keim, könnte das auch mit der massiv Beigabe von Antibiotika in Tierfutter zu tun haben, sagte er. Dadurch seien die Bakterien zusätzlich resistent geworden.

Quelle: ntv.de, ghö/rts/dpa/AFP

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