Als Justizopfer weggesperrt Gustl Mollath kämpft um seine Rehabilitierung
07.07.2014, 08:53 Uhr
Schwarzgeldkonten, angebliche Wahnvorstellungen und allmächtige Richter: Der Fall Gustl Mollath ist einer der unglaublichsten Justizskandale der letzten Jahre. Jetzt startet das Wiederaufnahmeverfahren und Mollath kann hoffen.
Gustl Mollath teilte mit vielen Deutschen ein nahezu unerschütterliches Vertrauen in die Justiz. Doch nun ist dieses Vertrauen für immer dahin. Der etwas verschrobene Oldtimerrestaurator aus Nürnberg hat nicht einmal Punkte in der Flensburger Verkehrssünderkartei, als er in die Mühlen des Gesetzes gerät. Plötzlich ist er der Schwerkriminelle, der Wahnsinnige. "Von null auf hundert", sagt er, sei er zum Justizopfer geworden.

Die Grünpflanze, mit der Mollath die Psychiatrie verließ, hatte er aus Obstkernen selbst gezüchtet.
(Foto: dpa)
Vom 27. Februar 2006 bis zum 6. August 2013 verbringt Mollath 2717 Lebenstage in der geschlossenen Psychiatrie. Sein Vergehen: Er kann nicht ertragen, dass seine Frau zunächst in Diensten der Hypovereinsbank und später hinter deren Rücken für reiche Kunden Schwarzgeld in die Schweiz schafft. Über Jahre versucht er, seine Frau davon abzubringen, auch weil er für sie und sich selbst strafrechtliche Konsequenzen fürchtet. Tatsächlich bekommt Mollath strafrechtliche Folgen zu spüren, allerdings für etwas, für das er selbst es wohl am wenigsten erwartet hatte.
Die Ehe der Mollaths geht Anfang der 2000er Jahre in die Brüche. Seine Frau droht Mollath, sie werde ihn fertig machen, sollte er sie und die Bank anzeigen. Gegenüber einem Freund bezeichnet sie Mollath als "irre". Doch Gustl Mollath erstattet im Dezember 2003 Anzeige wegen Steuerhinterziehung, nennt über 80 Namen und Adressen. Allerdings sieht die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth wegen der "zu vagen Hinweise" keinen Handlungsbedarf.
Ein irrer Schläger und Reifenschlitzer?
Stattdessen wird nun gegen Gustl Mollath ermittelt, den seine Frau 2002 wegen eines angeblichen Briefdiebstahls angezeigt hat, später kommt der Vorwurf der Körperverletzung hinzu. Er soll sie im August 2001 gebissen, getreten und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben. Dass das ärztliche Attest, das die Taten belegen soll, erst mit monatelanger Verspätung ausgestellt wurde, kümmert niemanden.
Damit nicht genug, fordert Mollaths Frau, ihren Mann auf seinen Geisteszustand untersuchen zu lassen. Im August 2006 spricht das Landgericht Nürnberg ihn zwar wegen Schuldunfähigkeit frei, kommt aber gleichzeitig zu dem Urteil, Mollath sei gemeingefährlich und müsse in die Psychiatrie. In der Begründung wird die "Schwarzgeldverschiebung" als Teil eines "paranoiden Gedankensystems" bezeichnet. Dabei wurden Mollaths Angaben gar nicht geprüft. Seine Unschuldsbeteuerungen verhallen ungehört.
Mollath verschwindet in den geschlossenen Abteilungen der Bezirkskrankenhäuser Bayreuth und Straubing. Alle Versuche über Anträge, Briefe und sogar Verfassungsbeschwerden auf seine Lage aufmerksam zu machen, ändern an seiner Zwangsunterbringung nichts. Auch der Bundesgerichtshof verwirft seinen Revisionsantrag 2007. Hinter den Kulissen der Hypovereinsbank haben Mollaths detaillierte Anschuldigen jedoch durchaus Konsequenzen. 2011 wird ein interner Revisionsbericht aus dem Jahr 2003 veröffentlicht. Aus dem 17-Seiten-Dokument geht hervor, dass die Bank die von Mollath erhobenen Vorwürfe in vollem Umfang bestätigt sah und daraufhin personelle Konsequenzen zog. 2012 werden sogar Steuerstrafverfahren gegen einige Beteiligte angestrengt, doch alle in diesem Zusammenhang möglichen Straftaten sind bereits verjährt.
Versagen der Gutachter
Als schwierigen Menschen mit querulatorischen Zügen beschreibt ihn der Psychiater Hans Simmerl, der Mollath 2007 begutachtete. Simmerl ist der erste der psychiatrischen Sachverständigen, der Mollath persönlich untersucht. Alle anderen hatten ihr jeweiliges Wahnurteil auf die Aktenlage gestützt. Auch Hans-Ludwig Kröber, seit 1996 Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie an der Berliner Charité, wird Mollath nicht zu Gesicht bekommen, mit seinem Gutachten aber dafür sorgen, dass Mollath weitere fünf Jahre in der Psychiatrie bleiben muss. Wahrscheinlich wäre Mollath ohne die Psychiatriekarte im ersten Prozess nicht einmal zu einer Freiheitstrafe verurteilt worden, er war ein unbescholtener Bürger ohne Vorstrafen.
In einem ARD-Fernsehbeitrag, der seinen Fall aufgreift, fordert Mollath 2011: "Es muss gerecht zugehen für jeden, für mich, für andere." Doch es dauert noch bis zum November 2012, bis sich die Opposition im bayerischen Landtag mit ihrer Forderung Gehör verschaffen kann, den Fall Mollath noch einmal zu untersuchen. Nun kommt auch ein früherer Freund Mollaths zu Wort, der die Drohung der Ehefrau notiert hatte. Und der aussagt, dass Mollaths Frau auch ihm Schwarzgeldgeschäfte vorgeschlagen hatte.
Der wachsende politische Druck hat Folgen. Schließlich weist Bayerns Justizministerin Beate Merk die Regensburger Staatsanwaltschaft an, ein Wiederaufnahmeverfahren in Gang zu bringen. Schon seit Februar 2013 liegt ein Wiederaufnahmeantrag von Mollaths Anwalt Gerhard Strate vor. Am 24. Juli lehnt das Landgericht Regensburg die Wiederaufnahme des Verfahrens dennoch zunächst ab. Doch am 6. August 2013 kassiert das Oberlandesgericht Nürnberg diese Entscheidung und ordnet genau diese an. Mollath ist plötzlich innerhalb weniger Stunden ein freier Mann, er kann in der Psychiatrie kaum in Ruhe packen, wird geradezu rausgeworfen.
Seit seiner Freilassung ist Mollath bei Freunden untergekommen. Alles, was er besaß, hat er nach eigenen Angaben verloren. Sein Elternhaus ging 2007 im Zuge einer Zwangsversteigerung weit unter Wert an seine Ex-Frau. Den Antrag hatten die Hypovereinsbank und die geschiedene Frau Mollath gestellt
Indizienprozess über Geschehnisse 2001
Nun geht es für Mollath um nicht mehr oder weniger als um die komplette Rehabilitierung. Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens sind die Vorgänge aus dem Jahr 2001 und damit die Frage, ob Gustl Mollath wirklich seine Frau geschlagen und gewürgt hat. Ebenso soll geklärt werden, ob er tatsächlich die Autoreifen mehrerer Fahrzeuge zerstochen hat, so geschickt, dass die Luft erst nach und nach entwich, was erhebliche Unfallgefahren mit sich brachte. Im früheren Urteil von 2006 hatte es geheißen, Mollaths Frau habe "ohne Belastungseifer" ausgesagt. Diese Einschätzung könnte durch die mit einer eidesstattlichen Erklärung untermauerte Aussage über die gegen Mollath ausgesprochenen Drohungen erheblich ins Wanken kommen. Die Schwarzgeldvorwürfe sind hingegen nicht Teil des Verfahrens. Sie dürften jedoch insofern eine Rolle spielen, dass sie inzwischen als bewiesen gelten, was Mollaths Glaubwürdigkeit stärkt und die seiner Ex-Frau erschüttert.
Zur Sprache kommen könnten auch Ungereimtheiten, die im ersten Prozess zutage getreten waren, wie die Ausstellung des ärztlichen Attestes für die Ehefrau mit erheblicher Verspätung und durch einen anderen Arzt, als das Papier glauben machte. Letzten Endes wird es jedoch ein Indizienprozess, in dem Aussage gegen Aussage steht. Mollath wird dabei auch erneut psychiatrisch begutachtet. Zunächst sind 15 Verhandlungstage angesetzt. Mollath selbst erwartet keinen vollständigen Freispruch. Das System werde versuchen, "mir irgendwas anzuhängen, um sich selbst reinzuwaschen", sagt er dem Magazin der "Süddeutschen Zeitung".
Quelle: ntv.de