Femizid im Gesetz, aber ...Italiens Frauen müssen sich alter Muster erwehren
Von Andrea Affaticati, Mailand
Italien nimmt 2025 Femizid als eigenen Straftatbestand in das Strafgesetzbuch auf. Das Gesetz "Nur ja heißt Ja" schafft es aber nicht durchs Parlament. Zu tief sind patriarchale Muster in der italienischen Gesellschaft verankert. Und auch die junge Generation ist nicht frei davon.
Es fehlte nur noch die Abstimmung im italienischen Senat, dann wäre auch das Konsensgesetz unter Dach und Fach gewesen. Eine Norm, die festlegt, dass es beim Sex die "freie und aktuelle Zustimmung" beider Partner geben muss. Wenn es sich einer der zwei mittendrin anders überlegt, muss das respektiert werden, ansonsten ist es Vergewaltigung.
Wäre das Gesetz verabschiedet worden, dann hätte es vermutlich Mitte Dezember gleichzeitig mit dem Femizidgesetz im offiziellen Amtsblatt gestanden. Der Femizid hat jetzt einen eigenen Paragrafen und der sieht für diese Taten lebenslange Haft vor.
Daraus wurde aber nichts, weil der Lega-Chef und Vizepremier Matteo Salvini die Abstimmung blockierte. Seine Begründung lautete, die Formulierung sei zu schwammig, könnte deswegen Anlass zu einer Flut von Anzeigen geben und die Gerichte in Bedrängnis bringen. Auch könnte es für Racheakte in zerrütteten Beziehungen missbraucht werden.
Die Opposition reagierte entrüstet, nicht zuletzt, weil sich Premierministerin Giorgia Meloni und die Chefin der Demokratischen Partei Elly Schlein ausnahmsweise über die Notwendigkeit dieser Maßnahme einig waren. Außerdem hatte die Abgeordnetenkammer das Gesetz einige Tage zuvor einstimmig verabschiedet. Jetzt heißt es, der Text werde verbessert und komme im Januar zur Abstimmung.
Was Frauen sollen
Die Frage, warum Salvini erst bei der Senatsabstimmung die Zweifel gekommen sind, ist müßig. Es könnte sich auch nur um eine Bosheit Richtung Meloni gehandelt haben. Nichtsdestotrotz erweckt vor allem seine Bemerkung über eventuelle Racheakte für überholt gehaltene Denkmuster. Zum Beispiel, dass man Frauen nicht trauen sollte, weil sie lügen. Hier zwei Beispiele.
Ein Prozess im Dezember 2023. Die Anwältin fragt die junge Frau, die Anzeige wegen Vergewaltigung erstattet hatte, warum sie beim erzwungenen Oralsex nicht zugebissen habe. September 2025: Ein Ehemann, der seine Frau fast totgeschlagen hatte, wird freigesprochen. Ausgelöst hatte diese Gewalt die Absicht der Frau, ihn zu verlassen. Die Richter ließen Güte walten und schrieben im Urteil, der Mann habe sich als "Opfer eines Unrechts gesehen", und deshalb müsse man ihm gegenüber "Verständnis aufbringen."
Die Begründung erinnert an den erst im Sommer 1981 aus dem Strafgesetzbuch gestrichenen "Delitto d'onore", den Ehrenmord. Laut jenem Gesetz konnte der Mann, der die Frau ermordet hatte, weil sie fremd gegangen war, mit einer milderen Strafe rechnen.
Wenn sie nicht will, soll sie sich weigern
Laut einer Studie des Italienischen Nationalen Instituts für Statistik (ISTAT) aus dem Jahr 2019 sind 39,3 Prozent der Bevölkerung der Meinung, eine Frau könne Sex verweigern, wenn sie wirklich nicht wolle. 23,9 Prozent sind wiederum der Meinung, Frauen könnten durch ihre Kleidung provozieren. 10,3 Prozent meinen, die Behauptung, sexuelle Nötigung erlitten zu haben, sei meist eine Lüge.
Angesichts solcher Vorfälle und Statistiken stellt sich die Frage, wie patriarchal die italienische Gesellschaft weiterhin ist: Eine Antwort liefert die Hilfsorganisation ActionAid mit ihrem MUPA, dem Museum des Patriarchats, das Ende November in Rom eingeweiht wurde und dann durch ganz Italien ziehen wird. "Das Patriarchat ist noch immer fester Bestand unserer Gesellschaft", erklärt Isabella Orfano ntv.de. Sie ist die Expertin von Frauenrechten von ActionAid. Außerdem bestätige das eine Studie, die zusammen mit einem Monitoring Institut in Pavia gemacht wurde.
In der Studie heißt es, "dass jeder dritte Mann seine finanzielle Machtausübung entschuldigt, jeder vierte seine verbalen und psychologischen Angriffe, und beinahe zwei von zehn Männern der Meinung sind, dass auch physische Gewalt ausgeübt werden darf." "Standpunkte, die generationsübergreifend von den Babyboomern bis hin zu den jüngeren vertreten werden", hebt Orfano hervor. Die Vorurteile werden im Museum plastisch dargestellt. Zum Beispiel über Spiele.
Auch Chiara Saraceno, emeritierte Professorin für Soziologie und ehemalige Forscherin am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin, sieht das Beibehalten solcher Muster in der jungen Generation. Zum Beispiel, wenn sie behaupten, eine Frau sei für den Übergriff selbst verantwortlich, weil ihr Outfit provozierend war. "Ich frage sie dann, was ihre Denkweise von der unterscheidet, die der Frau die Burka aufzwingt", bemerkt Saraceno im Gespräch mit ntv.de.
Zu dem Gesetz, dessen Verabschiedung Salvini fürs Erste gestoppt hat, bemerkt sie: "Ist doch paradox, dass man noch immer den Standpunkt vertritt, ein Mann könne doch mitten drin nicht aufhören. Ist das nicht ein Schwächegeständnis seitens der Männer?"
Bei allen noch bestehenden Mängeln sieht Saraceno aber auch Fortschritte. "Und das vor allem dank der Frauenbewegung, dem Generationenwechsel und einer Weltsicht, die heute viel offener ist." Leider ist die Gesellschaft, wie so oft, etwas weiter als die Politik und die jetzige Regierung sei keine Hilfe, wenn es darum geht, komplexe Themen anzupacken. Ein Beispiel sei die Leihmutterschaft. "Anstatt darüber zu diskutieren, wird sie einfach als Universaldelikt ins Strafgesetzbuch eingetragen."
In der Schule fast ein Tabu
Und auch das vorgesehene Schulfach zur Sexualerziehung soll strengen Regeln unterliegen. Angefangen damit, dass es dieses Fach erst ab der 6. Klasse geben darf und die Einwilligung der Eltern zwingend ist, die auch über den Lehrstoff informiert werden müssen. "Diese Regierung ist von der Angst besessen, man wolle die Kinder zu Transsexuellen erziehen, dass ein Mädchen eines Morgens aufwacht und ein Junge sein will, oder umgekehrt", fährt Saraceno fort.
Fabrizia Giuliani, Philosophin und seit 2022 Koordinatorin des technisch wissenschaftlichen Komitees zum Thema Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt wies in einer Radiodebatte auf den gesellschaftlichen Hintergrund hin, auf dem Italiens Geschichte fußt: "Wir entspringen einer Rechtswissenschaft, die ihre Wurzeln in der römischen Zivilisation hat. Und diese sah den Begriff 'sexuelle Gewalt' nicht vor."
Hinzu kommt die Kirche, die weiter einen großen Einfluss auf die italienische Gesetzgebung in diesem Bereich hat. So ist die künstliche Befruchtung bei gleichgeschlechtlichen Partnern verboten. Der ehemalige Premier und Lebemann Silvio Berlusconi soll einmal aus einer päpstlichen Audienz gekommen sein und erzählt haben, er habe dem Heiligen Vater versichert, nichts an dem bestehenden Familienrecht zu ändern. Daran hat sich nichts geändert.