RKI-Vize Schaade im Interview "Müssen nachdenken, wo wir Schrauben etwas andrehen können"
14.08.2020, 18:01 Uhr
RKI-Vize Schaade mahnt die Bevölkerung, weiter diszipliniert zu sein.
Die Infektionszahlen steigen wieder. Etwa jeder dritte Fall entfällt inzwischen auf Reiserückkehrer. Für weitere Lockerungen der Beschränkungen sieht RKI-Vize Schaade keinen Raum. Ein Lichtblick sind die Erkenntnisse einer neuen Antikörper-Studie.
ntv: Herr Professor Schaade, bevor wir auf die Studie zu sprechen kommen, lassen Sie uns kurz nach Bayern schauen, auf die Testpanne. Wie sehr besorgt Sie das? Und was bedeutet das für unser Infektionsgeschehen?
Lars Schaade: Wir als Robert-Koch-Institut sind natürlich daran interessiert, ein möglichst vollständiges Datenmaterial zu haben. Wie viele Tests werden durchgeführt? Wie viele davon sind positiv? Die Aufgabe für uns als RKI ist es, diese Zahlen zu sammeln. Und wenn die Zahlen unvollständig sind, dann ist das nicht gut für das Gesamtbild, keine Frage. Auf der anderen Seite habe ich auch ein gewisses Verständnis dafür, dass in den ersten Tagen eines neuen Verfahrens diese Zahlen und Daten nicht von Anfang an reibungslos fließen.
Lassen Sie uns auf die Studie schauen, die Sie heute in Kupferzell vorgestellt haben. Der Ort war ja einer der ersten Corona-Hotspots des Landes. Was hat die Studie an Erkenntnissen zutage gebracht?
Da sind einige Erkenntnisse, die sehr interessant sind. Zum Beispiel, wie viele Personen sich tatsächlich mit dem Virus infiziert haben. Das sind etwa acht Prozent und damit viermal mehr, als man vorher aus den Meldestellen wusste. Auf der anderen Seite ist es eben auch nicht der Großteil der Bevölkerung, der sich, obwohl Kupferzell schwer betroffen war, infiziert hat, sondern nur etwas unter zehn Prozent. An anderen Orten mit vielen Infektionsquellen können es möglicherweise auch etwas mehr gewesen sein. Das heißt: Auch wenn das Geschehen heftig ist, lohnt es sich immer noch, Maßnahmen zu ergreifen. Denn der Großteil der Bevölkerung ist nicht infiziert. Und diese Maßnahmen funktionieren, denn das Infektionsgeschehen hier in Kupferzell ist wenige Wochen später zum Erliegen gekommen.
Lassen Sie uns einmal deutschlandweit auf das Infektionsgeschehen blicken. Die Zahlen steigen momentan wieder relativ rasant an. Das liegt mit Sicherheit auch an Reiserückkehrern. Glauben Sie, dass wir zu früh zu viele Lockerungen erlaubt haben?
Das ist eine schwierige Frage. Die Reiserückkehrer sind im Moment natürlich ein Problem. Etwa 30 Prozent der Fälle, die wir zurzeit gemeldet bekommen, sind von Reiserückkehrern. Das zeigt aber auch, dass die Mehrheit der Übertragungen in Deutschland liegt. Auch hier müssen wir entsprechend reagieren. Es war ja erklärtes Ziel, die Maßnahmen so weit zurückzunehmen, dass ein möglichst gutes gesellschaftliches Leben wieder möglich ist und die Virusinfektionen trotzdem unter Kontrolle bleiben. Eine Maßnahme oder Lockerung muss man daher Schritt für Schritt durchführen. Das hat die Politik über viele Wochen sehr erfolgreich getan.
Droht uns denn ein zweiter Lockdown?
Ich denke, wir müssen zumindest zur Kenntnis nehmen, dass der Punkt für mehr Lockerungen klar überschritten ist. Wir haben wieder diese Übertragung, und wir müssen auch darüber nachdenken, an welchen Stellen wir die Schrauben etwas andrehen können, sodass das gesellschaftliche Leben möglichst wenig beeinträchtigt ist. Aber diesen überschüssigen Effekt, den wir jetzt mit der Zunahme der Fallzahlen sehen, können wir wieder einfangen. Das Allerwichtigste ist, dass die Bevölkerung mitmacht, Masken trägt, Kontakte reduziert, sich bei Festen und Veranstaltungen zurückhält. Wenn wir alle gemeinsam daran arbeiten und erfolgreich sind, dann bleibt uns ein sogenannter zweiter Lockdown hoffentlich erspart.
In einigen Bundesländern hat die Schule wieder begonnen und man schaut bereits langsam wieder in Richtung Herbstferien. Glauben Sie, es besteht die Gefahr, dass gegebenenfalls weitere Reisebeschränkungen erhoben oder Grenzen geschlossen werden müssen? Und entscheiden das Sie als RKI?
Das RKI entscheidet das nicht. Das RKI wertet die Daten aus, analysiert sie und stellt sie der Politik, teilweise auch begleitet von Empfehlungen, zur Verfügung. Die Politik entscheidet dann die Maßnahmen. Auf welcher Ebene diese greifen, ist festgelegt in Deutschland. Maßnahmen an den Grenzen entscheidet im Wesentlichen der Bund. Wenn es um den Infektionsschutz geht, entscheiden die Länder, auch wenn es da Überschneidungen gibt. Quarantäneregeln zum Beispiel müssen die Länder am Ende anordnen und auch umsetzen. Selbst wenn der Bund sich vielleicht wünscht, dass Quarantäne durchgeführt wird, ist das Aufgabe der Länder.
Mit RKI-Vize Lars Schaade sprach Sarina Sprengelmeyer.
Quelle: ntv.de