Kontrollen am Strand Salvini sagt den "Vucumprà" den Kampf an
17.07.2018, 16:31 Uhr
Die Polizei kontrolliert die Strandhändler nun häufiger.
(Foto: REUTERS)
Jeden Sommer klappert ein kleines Heer von Wanderhändlern Italiens Strände ab. Von Kopf bis Fuß bepackt, ähneln die meist aus Afrika stammenden "Vucumprà" wandelnden Trödelläden. Der Innenminister will ihnen jetzt das Handwerk legen.
Italiens Innenminister Matteo Salvini hat den illegalen Wanderhändlern an Italiens Stränden den Kampf angesagt. Am 1. Juli ist die Verfügung "Spiagge sicure" (übersetzt: sichere Strände) in Kraft getreten. Damit will er diesem kleinen Heer, das von Anfang Juni bis Ende August die Strände des Stiefels von Nord nach Süd mit seiner Ware abklappert, ein für alle Mal den Garaus machen. Denn eigentlich ist der Verkauf ohne die vorgesehene Zulassung schon seit mehreren Jahren gesetzlich verboten und die Strafen sind auch für die Kunden nicht ohne - sie gehen von 100 bis zu 7000 Euro.
Doch Gesetzhüter an den Stränden waren bis jetzt eher selten zu sehen. Die Kaufleute lamentieren schon seit Langem, dass die fliegenden Händler ihnen das Sommergeschäft vermasseln und hoffen jetzt auf Italiens starken Mann. Das ist Salvini ein Ansporn. Nach dem Kräftemessen mit der EU in Sachen Migranten will er auch hier liefern, zumal der Großteil der Händler aus Afrika kommt. Von einer Erhöhung der Geldstrafen hat er aber abgesehen.
Ein paar Millionen Euro hat er jedoch für einen massiveren Einsatz der lokalen Sicherheitskräfte vorgesehen. "Es wäre ja scheinheilig, höheres Bußgeld festzulegen, aber weiter nicht das nötige Personal für die Kontrollen zu haben", verkündete er. Ab diesem Jahr müssen sich auch diejenigen in Acht nehmen, die sich am Strand von Chinesen massieren oder tätowieren lassen sowie die Hausbesitzer, die den Illegalen oft zu horrenden Preisen Zimmer vermieten. Wobei es Salvini nicht um die unverschämten Preise geht, sondern um die "Mieter".
Ahmeds Revier ist in Marina di Vecchiano, ein Naturschutzgebiet mit einem kilometerlangen Strand. Seit sieben Uhr ist er auf den Beinen, hat seine Ware - Strandbälle, Sonnenbrillen und Hüte - von einem Lager in Pisa abgeholt und klappert seit zehn Uhr unter zunehmend brütender Hitze den Strand ab. Jetzt gönnt Ahmed sich im Schatten eines Sonnenschirms, auf einem der freien Liegestühle sitzend, eine kurze Rast. Die Kundschaft ist sowieso im Restaurant oder hat sich in die Ferienwohnungen zum Mittagessen zurückgezogen.
Billig-, aber auch falsche Markenware
Der 24-Jährige ist ein hochgewachsener Mann aus dem Senegal. Er sei ganz legal hier, beteuert er, mit einem Drei-Monate-Touristenvisum. Fotografiert will er aber nicht werden. Er wohne bei einem Cousin in Pisa. Dieser habe eine Aufenthaltsgenehmigung und sei als Wanderhändler im städtischen Handelsregister eingetragen. Dafür brauche man nur eine Steuernummer. Das stimmt, nur warum deswegen auch Ahmed ein legaler Arbeiter sein soll, bleibt ungesagt.
Er sei schon voriges Jahr hier gewesen. Mit dem, was er sich in den drei Monaten verdient, bezahle er die Universität in Dakar. Ahmed ist aufgeschlossener als die meisten seiner Kollegen und erzählt auch ein wenig. "Am Abend treffen wir uns in Pisa mit Landsleuten, die einen Stand gleich bei der Stadtmauer vor der Piazza dei Miracoli haben. Einige von uns schlafen dann den Sommer über auch bei ihnen." Ob gratis oder gegen Bezahlung, sagt er nicht. Überhaupt: Sobald man versucht, etwas tiefer zu bohren, das Wort "illegal" in den Mund nimmt oder nach der Herkunft der Ware fragt, wird auch er wortkarg.
Jeden Sommer setzt sich dieses kleine Heer von "Vucumprà" (sprich "Willste kaufen"), wie die Einheimischen sie nennen, in Bewegung. Die meisten kommen aus Nigeria oder dem Senegal. Sie sehen wie wandelnde Trödelläden aus, von Kopf bis Fuß bepackt. Was Hände, Arme und Schultern nicht mehr tragen können, ziehen sie selbst an. Zig Hüte stapeln sie wie bunte Türme auf ihren Köpfen. Meistens ist es Billigware: Strandspiele, Schwimmreifen, Brillen, Schmuck. Ab und zu sind aber auch Taschen, Polohemden und Sneakers bekannter Marken dabei, zum Großteil Imitate, jedoch nicht immer.
Die Arbeit verlangt es, dass sie kontaktfreudig sind. Und gleich, ob man sich kaufwillig zeigt oder nicht, einen Plausch versuchen sie immer. Am Ende gelingt es ihnen dann, einem etwas um- oder anzuhängen und wenn es nur ein buntes Bändchen ist. "Gratis, gratis" beteuern sie, wohl wissend, dass der Beschenkte am Ende doch ein paar Münzen zückt.
Steckt jemand dahinter?
Wer von ihnen illegal und wer legal ist, ist schwer zu sagen. Alle erzählen sie die gleiche Geschichte, als hätte man sie ihnen eingebläut. Doch von Ermittlungen, um eventuelle kriminelle Organisationen aufzudecken, die hinter diesen Männern stecken, weiß man nichts. Und versucht man von den örtlichen Sicherheitskräften Näheres darüber zu erfahren, heißt es, es würden regelmäßig Kontrollen in den Lagerhäusern durchgeführt. Mehr nicht.
Der Verdacht bleibt also bestehen. Nicht zuletzt, weil man glaubt, so etwas wie Anhaltspunkte dafür gefunden zu haben. Zum Beispiel in einem vollkommen verwahrlosten Ferienheim aus den 1930er-Jahren in Massa Marittima, einem Badeort in der Versilia nördlich von Vecchiano. Bis Mitte der 1970er-Jahre verbrachten die Kinder der Fabrikarbeiter aus Mailand und Turin hier ein paar erholsame Wochen am Meer. Als dann die Fabriken schlossen, war es auch um die Ferienheime geschehen, worauf man sie einfach verfallen ließ.
In das von Massa konnte man bis vor ein paar Jahren über Schlupflöcher im Zaun hinein. In den ehemaligen Schlafräumen lagen dutzende dreckige Matratzen, aus manchen Fenstern in den oberen Stockwerken sah man Wäsche hängen, aus einem anderen sah ein Mann den unerwünschten Besucher grimmig an. Die Löcher im Zaun wurden mittlerweile geflickt. Ob das die Illegalen auch vertrieben hat, ist schwer zu sagen, das Gestrüpp verstellt heute komplett den Blick.
Das Treffen mit Ahmed hat vor Salvinis Verordnung stattgefunden. Man wird sehen, ob und welche Auswirkungen sie haben wird. Sollten die Kontrollen aber wirklich strenger werden, könnten viele von den Vucumprà schon früher gehen, wenngleich nicht unbedingt zurück in die Ursprungsländer. Zumindest einige von ihnen werden sich auf den Weg zur Tomatenernte in die nördliche Region Emilia Romagna machen oder gleich Richtung Süden, also Kalabrien und Sizilien, wo im Winter auch die Orangen warten.
Quelle: ntv.de