Banges Warten in Schweizer Alpen Schuttberg im Lötschental hält Wassermassen bisher stand
30.05.2025, 11:04 Uhr
Die Wassermassen werden ins Tal fließen, daran gibt es keinen Zweifel.
(Foto: picture alliance/dpa/Maxar Technologies/AP)
Im Lötschental im Süden der Schweiz bleibt die Lage angespannt. Nach dem Gletscherabbruch staut sich das Flüsschen Lonza und bildet einen See. Brechen die Wassermassen ins Tal? Aktuell entwickelt sich das Szenario "ziemlich günstig".
In der Schweiz richten sich nach einer nervenaufreibenden Nacht im Katastrophengebiet des Gletscherabbruchs alle Augen auf den entstandenen Stausee hinter dem Schuttkegel. Es steht fest, dass die Wassermassen sich einen Weg ins Tal bahnen werden. Ungewiss ist, ob das geordnet oder chaotisch abläuft. Die erste Prognose der Behörden im Kanton Wallis erwies sich als falsch: Sie hatten gemutmaßt, dass der künstliche See im Lötschental "in den frühen Morgenstunden" überlaufen würde. Bisher hält der Schuttberg den Wassermassen jedoch stand. Stattdessen fließt das Wasser offenbar durch das Geröll durch und ab: Am Vormittag hat sich im Geröll ein Fluss gebildet, der "größer und größer wird", wie ntv-Reporter Yannik Seeber berichtet.
Der Kantonsgeologe Raphaël Mayoraz bezeichnet das Szenario beim Westschweizer Fernsehen RTS als "ziemlich günstig": "Das Wasser beginnt sich seinen Weg durch die 2,5 Kilometer lange Ablage zu bahnen", sagt er. "Je mehr Wasser sich seinen Weg durch Schuttmassen bahnt, desto geringer ist die Katastrophengefahr eines plötzlichen Ausbruchs."
Gigantische Fels-, Eis- und Geröllmengen blockieren seit dem Gletscherabbruch am Mittwoch das Bett des Flüsschens Lonza. Das Wasser hat sich zu einem See gestaut. Der Wasserstand stieg zeitweise um 80 Zentimeter bis drei Meter in der Stunde.
Die Gefahr ist nicht gebannt. Die Kante des meterhohen Eis-, Fels- und Geröllbergs sei fast erreicht, sagt der Katastrophenstab nach wie vor. Der See werde überwacht, heißt es.
Schnellstmögliche Flucht vorbereiten
Im Verlauf des Tages sollen Fachleute einen weiteren Aufklärungsflug unternehmen, um neue Informationen zu erlangen. Der Führungsstab bilanziert: Die Gefahr einer Flutwelle und vor allem möglicher Erosionen sei noch immer hoch.
Zwei Gemeinden weiter unten sind Bewohner aufgerufen, das Nötigste zu packen. "Wir fordern die Bewohner auf, persönliche Vorbereitungen zu treffen, um innert möglichst kurzer Zeit die Wohnungen verlassen zu können", teilen die Gemeinden Steg-Hohtenn und Gampel-Bratsch auf ihrer Webseite mit. Die Menschen sollen bei einer Flutwelle oder Gerölllawine innerhalb kürzester Zeit zur Flucht bereit sein. Sie werden unter anderem über die Notfall-App Alertswiss auf dem Laufenden gehalten.
Kein Eingreifen möglich
Talbewohner, Katastrophenhelfer und die herbeigerufenen Armeeangehörigen müssen allerdings tatenlos zusehen, wie sich die Lage zuspitzt. Es ist keine Option, Furchen für einen geordneten Ablauf des Wassers in den Schuttpegel zu fräsen.
"Unternehmen können wir leider wenig, weil die Sicherheitslage vor Ort es nicht zulässt, dass wir mit schweren Maschinen eingreifen können", sagte Christian Studer von der Dienststelle Naturgefahren des Kantons Wallis im Schweizer Fernsehen. Es gebe mehrere Gefahrenquellen: Der Schuttberg ist instabil, weil er aus Felsbrocken, losem Schutt und Gletschereis besteht, das schon teils geschmolzen sein dürfte. Weder Menschen noch Maschinen wären darauf sicher.
Gleichzeitig drohen von beiden Seiten des Tals weitere Rutschungen: An der ursprünglichen Abbruchstelle am Kleinen Nebelhorn können immer noch mehrere Hunderttausend Kubikmeter Gestein abstürzen. Zudem wurden bei dem Gletscherabbruch Geröll und Schuttmassen über den Talboden hinweg und auf der gegenüberliegenden Hangseite hochgeschoben. Auch sie könnten als Gerölllawine wieder abrutschen.
Staubecken vorsichtshalber geleert
Die Behörden können sich zurzeit nur mit der Gefahrenbeurteilung und organisatorischen Maßnahmen befassen, sagte Studer. "Wir können sicherstellen, dass sich möglichst keine Personen in einem gefährdeten Gebiet aufhalten." Zudem wurde ein weiter unten bei Ferden an der Lonza gelegener Stausee vorsichtshalber geleert, um als Auffangbecken zu dienen.
Studer spricht aber auch das Schreckensszenario an, das zwar unwahrscheinlich, aber möglich ist: "Das "worst case"-Szenario ist, dass plötzlich entgegen den aktuell als eher realistisch eingeschätzten Szenarien viel mehr Wasser und Geschiebe kommt, das das Staubecken Ferden nicht mehr zu schlucken vermag", sagte er. Einzelne Häuser entlang des Flussbettes wurden geräumt.
Quelle: ntv.de, chr/mau/dpa