Panorama

Altersgrenze gegen Scroll-SuchtStößt Australien eine globale Wende im Internet an?

20.12.2025, 15:07 Uhr
imageVon Aljoscha Prange
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Thema-Bildschirmzeit
In einer aktuellen Umfrage geben drei Viertel der 16- bis 18-Jährigen an, dass sie Freundinnen und Freunde haben, die sie für süchtig nach sozialen Medien halten. (Foto: picture alliance / photothek)

Tiktok, Instagram, Snapchat und Co sind für Jugendliche unter 16 Jahren in Australien ab jetzt tabu. Während in Deutschland über ähnliche Regeln diskutiert wird, ist man andernorts bereits einen Schritt weiter.

Mobbing, Cyber-Grooming, Doomscrolling; Bildschirmsucht, Konzentrationsprobleme, Depressionen: Kinder und Jugendliche sind im digitalen Raum und durch ständige Smartphone-Nutzung einer Vielzahl an Gefahren und Risiken ausgesetzt. Um sie besser zu schützen, führt Australien Anfang Dezember ein Social-Media-Verbot für alle unter 16 Jahren ein.

Neben Tiktok, Instagram und Facebook gilt die Alterssperre auch für Youtube, X, Snapchat und weitere Plattformen. Insgesamt zehn Plattformen setzt die Regierung in Canberra auf die Liste. Das Gesetz ist bislang weltweit einzigartig. Wie steht man in Deutschland und anderen Ländern zum australischen Modell?

Mehrheit der Deutschen für Altersgrenze

Laut einer repräsentativen Umfrage des Instituts Insa spricht sich mehr als die Hälfte der Deutschen für eine Altersbeschränkung bei sozialen Netzwerken aus. Demnach gaben 60 Prozent der Befragten an, ein solches Verbot zu befürworten. 24 Prozent sagten, sie seien gegen diese Regulierung, 10 Prozent war es egal. 6 Prozent machten keine Angaben oder wussten den Angaben zufolge nicht, wie sie sich positionieren sollten.

Nach "Bild"-Angaben befürworteten Anhängerinnen und Anhänger der Grünen (71 Prozent), der CDU (70 Prozent) und der SPD (69 Prozent) ein Verbot am stärksten. Zurückhaltender seien Wählerinnen und Wähler von AfD und FDP. Dort seien es jeweils 57 Prozent.

Bereits im September sagte Unionsfraktionschef Jens Spahn, dass in CDU und CSU über eine derartige Altersgrenze gesprochen werde. Spahn verglich soziale Medien mit harten Drogen: "Hirnforschern zufolge sprechen die Apps wie Instagram und Tiktok das Belohnungssystem im Hirn in etwa so an wie Heroin." Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und NRW-Innenminister Herbert Reul von der CDU sprechen sich für eine stärkere Regulierung bei Jugendlichen aus.

Während sich beim Koalitionspartner SPD sowie bei den Grünen viele den Unionsstimmen anschließen, kommt von der Bundesschülerkonferenz Kritik. "Die erste Lösung eines Bildungspolitikers kann nicht sein, wir verbieten irgendetwas. Die erste Lösung ist immer Bildung, also jungen Menschen Kompetenzen zu vermitteln", sagte Sprecher Quentin Gärtner.

Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), äußerte sich im Juni ebenfalls skeptisch, was ein Verbot angeht: "Ich sehe es als völlig unrealistisch an und ich glaube nicht, dass wir die Welt von heute und von morgen durch Verbote fernhalten."

Wie stehen Schüler zum Verbot?

Ähnlich fallen die Reaktionen am Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium in Münster aus. Dort hatte sich der WDR umgehört, um den Blick von Schülerinnen und Schülern auf den australischen Vorstoß einzufangen. Das Fazit: zwiegespalten. Einerseits sind sich viele des extremen Suchtfaktors sozialer Medien bewusst. Ein Verbot halten die meisten aber dennoch nicht für zielführend.

So auch der 14-jährige Keno. "Wenn ich mein Handy öffne und diese Apps sehe, lenkt das sehr stark ab. Sobald ich da draufklicke, verfalle ich in meine Sucht, die konzipiert ist, um uns Jugendliche zu fesseln. Wenn ich einmal da drin bin, komme ich schwer wieder raus", gibt er zu. Ein komplettes Verbot für Jugendliche findet er trotzdem übertrieben und plädiert stattdessen für Einschränkungen.

Auch der 15-jährige Henri sagt, er verstehe den Ansatz hinter dem Verbot. Letztlich könne es aber eher zu Empörung führen, als dass es Gute bewirke. Viel sinnvoller findet er stärkere pädagogische Aufklärung.

In Australien selbst wehren sich bereits erste Betroffene. Ein 15-Jähriger klagt vor dem Obersten Gerichtshof Australiens gegen das Verbot. Der Teenager argumentiert, die seit dem 10. Dezember geltende Regelung mache das Internet für junge Menschen gefährlicher und treibe sie zu riskanterem Verhalten. Es drohe eine soziale Spaltung zwischen Jugendlichen, die das Verbot umgehen, und jenen, die es einhalten.

Europa befürwortet australisches Modell

Zwar ist Australien das bislang einzige Land mit einer derartigen Altersgrenze. Doch stärkerer Jugendschutz und strengere Regulierung im Netz sind ein globaler Trend. So kündigte Dänemark im November ein Social-Media-Verbot für Kinder unter 15 Jahren an, wobei Eltern Kindern ab 13 Jahren den Zugang erlauben können. "Die sogenannten sozialen Medien leben davon, unseren Kindern Zeit, Kindheit und Wohlbefinden zu stehlen, und dem schieben wir jetzt einen Riegel vor", sagte Digitalisierungsministerin Caroline Stage Olsen. Eine Mehrheit der Parteien im Parlament kündigte an, den Plan zu unterstützen.

In Norwegen, Irland, Spanien, Frankreich und den Niederlanden werden ebenfalls ähnliche Schritte diskutiert - und im EU-Parlament. "Die Regeln der realen Welt müssen wir auch in die digitale Welt übertragen", sagte Manfred Weber, Chef der Europäischen Volkspartei und damit der größten Fraktion im Europaparlament, der "Augsburger Allgemeinen". Konkret spricht sich Weber für ein Zugangsverbot unter 13 Jahren und eine Pflicht zur elterlichen Zustimmung zwischen 13 und 16 Jahren aus.

Das Europäische Parlament stimmte erst kürzlich mit deutlicher Mehrheit für die Forderung nach einem EU-weiten Mindestalter. Der verabschiedete Bericht hat aber bislang keine bindende Wirkung.

Flickenteppich USA

In den USA haben bereits mehrere Bundesstaaten ähnliche Vorstöße gestartet. So wurde in Utah ein Gesetz verabschiedet, nach dem Minderjährige unter 18 Jahren die Zustimmung ihrer Eltern benötigen, um soziale Medien zu nutzen.

Floridas Gouverneur DeSantis unterzeichnete eine Novelle, die Kinder unter 14 Jahren gänzlich aus sozialen Netzwerken ausschließt. In Virginiaist die Nutzung für unter 16-Jährige auf eine Stunde täglich reduziert worden. Alles darüber bedarf der Zustimmung der Eltern. Ähnlich handhaben es Georgia, Tennessee und Louisiana.

Die Gesetze sind jedoch alle Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen darüber, ob sie gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung gemäß dem ersten Verfassungszusatz der USA verstoßen.

Sucht vs. Selbstregulierung

Dass es auch ohne Verbote, Regeln und Gesetze bei jungen Menschen Abwanderungstendenzen im Netz gibt, zeigt eine von der Postbank in Auftrag gegebene Studie. Demnach nutzen in Deutschland Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren die großen Social-Media-Plattformen weniger intensiv als noch vor einem Jahr. So büßten Instagram, Youtube, Whatsapp, Tiktok, Snapchat und Facebook an Reichweite ein. Nur Pinterest konnte leicht zulegen.

Instagram und Youtube werden der Studie zufolge von den Jugendlichen am meisten genutzt (jeweils 68 Prozent). Während der Dienst aus dem Meta-Konzern nur einen Prozentpunkt einbüßte, sank die Nutzung von Youtube um fünf Prozentpunkte. Noch größer waren die Einbußen bei Whatsapp: Hier ging die Nutzung von 73 auf 65 Prozent zurück. Deutliche Verluste musste auch Tiktok hinnehmen. Bei dem Dienst von Bytedance sank die Nutzung von 66 Prozent auf 54 Prozent. Facebook wird in dieser Altersgruppe nur noch von jedem fünften Nutzer verwendet (20 Prozent) - ein Prozentpunkt weniger als im vergangenen Jahr.

Trotzdem befürchten viele Jugendliche, dass ihre Freundinnen und Freunde abhängig von sozialen Medien geworden sind. Drei Viertel (75 Prozent) der 16- bis 18-Jährigen sagten, dass sie in ihrem persönlichen Umfeld Menschen haben, die sie für süchtig nach sozialen Medien halten. Junge Frauen nehmen diese Gefahr deutlich stärker wahr als junge Männer. Bei den Frauen liegt der Wert bei 82 Prozent, bei den Männern nur bei 68 Prozent.

Über die Hälfte (56 Prozent) sagten, dass sie schon mal einen abonnierten Kanal bei Facebook oder auf Youtube verlassen haben, weil dort aus ihrer Sicht zu viel Aggression, Hass oder Unwahrheiten verbreitet worden seien. Vier von zehn Nutzerinnen und Nutzern (41 Prozent) haben sogar schon mal ihr eigenes Profil bei einer Social-Media-Plattform aus diesen Gründen deaktiviert. Allerdings findet knapp die Hälfte der Befragten (48 Prozent) es auch gut, sich online mal aufregen zu dürfen. Dafür seien Social-Media-Kanäle gut geeignet.

Quelle: ntv.de

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