Timo Ulrichs im ntv-Interview "Ungeimpft in der Pflege? Das ist nicht einzusehen!"
05.11.2021, 16:15 Uhr
"Ausbrüche wie zuletzt in Alten- und Pflegeheimen sollten nicht vorkommen in Zeiten, in denen wir das Instrument der Impfung haben", sagt Timo Epidemiologe Ulrichs.
Lassen sich Impfunwillige noch überzeugen? Es sei schwer durchzudringen, sagt Epidemiologe Timo Ulrichs zu ntv. Impfungen seien das beste Mittel, die Pandemie zu überwinden. Unverständlich ist ihm indes die Weigerungshaltung einiger Pflegekräfte. Hier brauche es ein Pflicht.
ntv: Die Zahlen steigen weiterhin dramatisch. Müssen wir nicht dringend irgendetwas tun?
Timo Ulrichs: Ja, in der Tat müssen wir etwas tun. So hoch haben wir das ja alle nicht so richtig erwartet. Wir hatten gehofft, dass jetzt schon die Durchimpfungskampagne wirksam würde, dass also die Zahlen nicht ganz so stark steigen würden. Jetzt müssen wir verhindern - das ist ja immerhin auch noch möglich - dass unser Gesundheitssystem in die Überlastung geht. Das bedeutet, die Maßnahmen stringent anzuwenden, die wir neu haben im Vergleich zu einem Jahr, nämlich impfen. Die besonders gefährdeten Alten gilt es, ein drittes Mal impfen. Hinzu kommen einschränkende Maßnahmen für die noch nicht Geimpften.
Das RKI hat seine Risikowarnung für Ungeimpfte auf sehr hoch eingestuft. Was bedeutet das eigentlich?
Das bedeutet, dass wir eine sehr hohe Virusaktivität verzeichnen. Das Virus breitet sich rasant aus, weil es sehr gute äußere Umgebungsbedingungen vorfindet: Die Menschen sind wieder alle zusammen, die Übertragung geht ganz leicht. Zudem findet das Virus noch Menschen, zu denen es hingehen kann. Das heißt, insgesamt ist das Risiko für einen Ungeimpften sehr hoch, eine Infektion zu bekommen und dann anteilig auch eine schwere Covid-19 Erkrankung zu entwickeln bis hin zur Krankenhauspflichtigkeit.
Glauben Sie, bei den Booster-Impfungen sollten zuerst die Ältere drankommen oder sollte man sie für alle freigeben?
Es wäre zunächst ganz gut, den Schwerpunkt auf die ganz Alten zu legen. Ausbrüche wie zuletzt in Alten- und Pflegeheimen sollten nicht vorkommen in Zeiten, in denen wir das Instrument der Impfung haben. Und deswegen wäre jetzt die dritte Impfung plus Impfung des Personals und ein Testverfahrens für die ganzen Besuchenden notwendig.
Ein zwölfjähriger Junge ist nach einer Impfung mit Biontech gestorben. Was sagt uns diese Meldung?
Das ist ein ganz tragisches Schicksal. Nach allem, was man weiß, hat dieses Kind auch schon Vorerkrankungen gehabt. Ob die Impfung tatsächlich Auslöser für den Tod war, das ist noch nicht ganz klar. Es ist ein Einzelfall. Deswegen bedeutet es nicht, dass die 12- bis 17-Jährigen besonderer Gefährdung ausgesetzt sind. Ganz im Gegenteil. Aber das hilft natürlich der betroffenen Familie gar nichts.
Versuchen Sie Menschen, die noch nicht geimpft sind, noch zu überzeugen? Oder denken Sie sich, dass hat sowieso keinen Zweck mehr?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Wir haben das auch in unserer unmittelbaren Umgebung. Natürlich weist man immer wieder darauf hin. Aber es gibt da tatsächlich nur noch ganz wenige Möglichkeiten, durchzudringen. Es bleibt aber das einzige Mittel, dass man wirklich noch mal ganz klar sagt: Die zugelassenen Impfstoffe sind sicher und es ist das Mittel der Wahl, um die Pandemie zu überwinden. Die Impfstoffe werden sehr gut vertragen und schützen auch sehr gut, bis zu 100 Prozent vor schweren Verläufen und Intensivpflichtigkeit bei Covid-19-Erkrankungen.
Warum ist die Impfpflicht in Deutschland ein so großes Tabu? Da traut sich keiner ran.
Schaut man sich die ganzen Ausbrüche trotz Impfungen in Alten- und Pflegeheimen an, würde man sagen: Ja, genau! Die schlechte Durchimpfungsrate beim Pflegepersonal und auch bei anderen, die eben mit den Alten und Kranken zu tun haben, verstehe ich auch überhaupt nicht. Das ist nicht einzusehen. Nötigenfalls, das machen andere Länder ja auch, braucht es dann die Impfpflicht. Man kann ja dann immer noch sagen, "ich lasse mich nicht impfen". Aber dann kann ich nicht in diesem Beruf arbeiten.
Mit Timo Ulrichs sprach Doro Steitz
Quelle: ntv.de