Panorama

"Ein Akt brutalster Gewalt" Was über den tödlichen Messerangriff in Solingen bekannt ist

Polizei und Rettungsdienste sind mit einem Großaufgebot am Tatort.

Polizei und Rettungsdienste sind mit einem Großaufgebot am Tatort.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Tat erschüttert die Menschen über die Region hinaus: Bei einer Messerattacke auf einem Fest in der Innenstadt von Solingen sterben am Freitagabend drei Menschen, weitere werden verletzt. Der Täter kann fliehen, die Fahndung läuft. Auch viele Stunden nach der Tat fehlen den Ermittlern noch entscheidende Informationen. Was bisher bekannt ist.

Was ist passiert?

Der Angriff ereignet sich am späten Abend um 21.40 Uhr auf einem Stadtfest zur 650-Jahr-Feier von Solingen mit dem Titel "Festival der Vielfalt". Es sollte eigentlich eine große Festmeile für die "kulturelle Vielfalt" Solingens werden, wie die Stadt auf ihrer Webseite schreibt. Ein bisher unbekannter Täter attackierte dort mehrere Menschen mit einem Messer. Polizeiangaben zufolge werden drei Menschen getötet, eine Frau und zwei Männer. Verletzt werden acht weitere Menschen, davon fünf schwer. Der Solinger Oberbürgermeister Tim Kurzbach erklärt auf der Facebook-Seite der Stadt, dass mehrere Verletzte noch "um ihr Leben" kämpften.

Das "Solinger Tageblatt" berichtet, einer der Mitorganisatoren des Stadtfestes sei nach dem Angriff auf die Bühne gekommen, um das Stadtfest auf dem Fronhof, einem Marktplatz in der Innenstadt von Solingen, abzubrechen. Die Besucher des Festes wurden aufgerufen, das Solinger Stadtzentrum zu verlassen. Der WDR berichtet, die Polizei habe Großalarm ausgelöst. Demnach waren Hubschrauber in der Luft, es gab "Absperrungen in der ganzen Stadt" und die Lage sei unübersichtlich.

Zelte von Polizei und Feuerwehr stehen am Tatort vor der Bühne auf dem Fronhof in der Solinger Innenstadt.

Zelte von Polizei und Feuerwehr stehen am Tatort vor der Bühne auf dem Fronhof in der Solinger Innenstadt.

(Foto: picture alliance/dpa)

Wer ist der Täter?

Der Täter war am Mittag weiterhin nicht identifiziert und nach Angaben der Behörden flüchtig. Die Polizei sucht mit einem Großaufgebot nach ihm und mahnt die Bevölkerung der Stadt zur Vorsicht. "Menschen im Innenstadtbereich sollen vorsichtig sein", sagte ein Sprecher der Düsseldorfer Polizei. "Wer eine verdächtige Person sieht, soll sofort den Notruf 110 wählen und diese nicht ansprechen." Die Polizei bat um Mithilfe der Bevölkerung. Auf ihrem Hinweisportal (https://nrw.hinweisportal.de/) könnten Hinweise zur Tat oder dem Täter abgegeben und Bild- oder Videomaterial hochgeladen werden.

Nach Informationen der "Bild"-Zeitung soll der Tatverdächtige ein südländisches Erscheinungsbild haben. Er ist demnach männlich, 20 bis 30 Jahre alt und 1,70 bis 1,75 Meter groß. Er habe eine sportliche Statur, einen dichten, kurzen Vollbart, sei schwarz gekleidet und habe eine Mütze aufgehabt, heißt es in dem Bericht. Jedoch weist die Polizei darauf hin, dass es eine offizielle Täterbeschreibung von dem mutmaßlichen Einzeltäter bisher nicht gebe. Am Abend bekannte sich die Terrororganisation Islamischer Staat zu dem Attentat und erklärte, der Täter sei ein "Soldat" des IS. Einen Beleg für die Aussage der Dschihadistengruppe gibt es nicht. Diese bekannte sich in einer Stellungnahme, die über die ihr nahestehende Medienagentur Amaq verbreitet wurde.

Auch Bildmaterial von dem Täter gebe es bisher nicht, sagte der nächtliche Einsatzleiter Thorsten Fleiß auf einer Pressekonferenz am Mittag. Es sei ein Hinweisportal geschaltet, es laufe "umfangreiches" Material ein. Die Auswertung laufe aber noch, "so dass wir im Moment noch kein gezieltes Bild vom Täter veröffentlichen können, weil wir es noch nicht gezielt zuordnen können". Wenn man ihn frage, ob Bildmaterial vom Täter vorliege, müsse er im Moment mit "Nein" antworten.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat vor der Verbreitung von Spekulationen und Gerüchten gewarnt. "Spekulationen über die Tat in Solingen verbieten sich", sagte der nordrhein-westfälische GdP-Chef, Michael Mertens, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Ich appelliere an alle, besonders an die Nutzer in den sozialen Medien, darauf zu verzichten, Gerüchte zu verbreiten."

Gibt es bereits Festnahmen?

Am Samstagabend nahm die Polizei eine Person in einer Flüchtlingsunterkunft in der Stadt fest. Tatzusammenhänge würden nun geprüft, sagte ein Polizeisprecher der Deutschen Presse-Agentur. "Wir haben Hinweise erhalten, und aufgrund dessen führen wir gerade polizeiliche Maßnahmen durch", hieß es zur Durchsuchung der Unterkunft. Auch ein Spezialeinsatzkommando sei im Einsatz gewesen.

Zuvor war bereits ein 15-Jähriger festgenommen worden. Das SEK hatte den Jugendlichen wenige Stunden nach der Tat in der Wohnung seiner Eltern überwältigt, berichtete die "Bild"-Zeitung. Zunächst war von einem 17-Jährigen die Rede, die Ermittler korrigierten das Alter in der Pressekonferenz allerdings auf 15 Jahre. Bei dem Festgenommenen handelt es sich dem "Spiegel" zufolge um einen Kirgisen, der in einer Flüchtlingsunterkunft lebt. Er verweigere die Aussage, heißt es in dem Magazin.

Allerdings betonten die Ermittler nach der Festnahme schnell, dass sie nicht davon ausgehen, dass es sich bei dem Jugendlichen um den Täter handelt. Gegen ihn stehe demnach nur die Nichtanzeige geplanter Straftaten im Raum. "Nach vorliegenden Zeugenaussagen soll eine bislang unbekannte Person kurz vor dem Angriff mit dem Jugendlichen über Absichten gesprochen haben, die zur Tatausführung passen würden", sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Markus Caspers. Ob diese Person der Täter ist, wissen die Ermittler nach eigenen Angaben noch nicht. Die Zeuginnen für das Gespräch hätten die Tat selbst nicht beobachtet. Bisher sei ein Täter noch nicht ermittelt.

Was ist das Motiv der Tat?

Die Hintergründe der tödlichen Messerattacke sind noch völlig unklar. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen stufte die Tat wegen des zielgerichteten Vorgehens des Täters schnell als Anschlag ein. "Wir gehen nach den Gesamtumständen davon aus, dass der Anfangsverdacht einer terroristisch motivierten Tat nicht ausgeschlossen werden kann", sagte Caspers bei der Pressekonferenz. Dies ergebe sich daraus, dass "kein anderes Motiv ersichtlich" sei. Die Opfer hätten "in keiner Beziehung zueinander gestanden".

Am Abend erklärte Terrororganisation Islamischer Staat für den Messerangriff in Solingen verantwortlich zu sein. Das geht aus einer Stellungnahme der Organisation hervor. "Der Angreifer auf die christliche Versammlung in der Stadt Solingen in Deutschland gestern war ein Soldat des Islamischen Staates und führte die Tat als Rache für die Muslime in Palästina und überall aus", heißt es laut IS-Medienagentur Amaq. Einen Beleg dafür, dass der IS tatsächlich hinter dem Angriff steckt, wird nicht gegeben. Auch ein Beweis für einen Kontakt zwischen IS und dem Attentäter wird nicht geliefert.

Wie wird nach dem Täter gefahndet?

An der Suche nach dem Täter sind zahlreiche Beamte aus ganz Nordrhein-Westfalen aber auch Bundesbehörden beteiligt. Ermittlungen finden den Behörden zufolge in ganz NRD und Deutschland statt. Es habe bereits Durchsuchungen gegeben.

Der Tatort wurde "weiträumig abgesperrt". Dort waren schwer bewaffnete Polizisten sowie Beamte der Spurensicherung in weißen Schutzanzügen zu sehen, wie eine AFP-Fotografin berichtete. Um den Angreifer zu finden, würden "sowohl Opfer als auch Zeugen befragt" sowie Videos und Bildmaterial ausgewertet, hieß es von der Polizei.

Wurde die Tatwaffe bereits gefunden?

Die Ermittler bestätigten auf der Pressekonferenz, dass ein oder mehrere Messer gefunden wurden. Zuvor hatte es Berichte gegeben, dass mindestens ein Messer in einem Mülleimer in der Solinger Innenstadt entdeckt und sichergestellt wurde. Ob es sich dabei tatsächlich um die Tatwaffe handelt ist jedoch noch unklar. Einsatzleiter Thorsten Fleiß sagte dazu: "Die Zuweisung des gefundenen Messers zur Tat kann ich nicht bestätigen." Es sei umfangreiches Beweismaterial gefunden worden, das nun ausgewertet werde.

Wie reagiert die Politik?

Mehrere Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker haben sich tief betroffen geäußert. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte den Anschlag ein "furchtbares Verbrechen" und "schreckliches Ereignis". Er sei "sehr bestürzt", schrieb Scholz auf X. "Der Täter muss rasch gefasst und mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Konsequenzen für den Angreifer gefordert. "Der Täter muss zur Rechenschaft gezogen werden", erklärte Steinmeier. Er rief zudem die Bevölkerung auf: "Stehen wir zusammen - gegen Hass und Gewalt." Zu dem Anschlag erklärte er weiter: "Die schreckliche Tat von Solingen erschüttert mich, sie erschüttert unser Land."

Bundesinnenministerin Nancy Faeser bezeichnete die Tat als "brutal" und "erschütternd". "Wir trauern um die Menschen, die auf furchtbare Weise aus dem Leben gerissen wurden", schrieb Faeser auf X. Sie sei in Gedanken bei den Familien der Getöteten und bei den Schwerverletzten. Vizekanzler Robert Habeck bezeichnete den Anschlag als "verdammenswert". Er wünsche den Hinterbliebenen der Getöteten "viel Kraft und Trost" und den Verletzten gute Besserung. "Es ist gut, dass die Polizei jetzt alles daran setzt, den Täter so schnell wie möglich zu finden", erklärte Habeck weiter. Außenministerin Annalena Baerbock sprach von einem "perfiden Anschlag", der sie zutiefst erschüttere.

Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst reagierte bestürzt. "Ein Akt brutalster und sinnloser Gewalt hat unser Land ins Herz getroffen", schrieb er auf X. "Ganz Nordrhein-Westfalen steht an der Seite der Menschen in Solingen, vor allem an der Seite der Opfer und ihrer Familien." Sein "großer Dank" gelte "den vielen Rettungskräften und unserer Polizei, die in diesen Minuten um Menschenleben kämpfen".

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Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul besuchte noch in der Nacht den Tatort. Der Täter habe offenbar "aus dem Nichts" wahllos auf Menschen eingestochen, sagte er ntv. Über das Motiv oder den Tatverdächtigen könne er noch nichts sagen. Sichtlich bewegt sprach Reul von einem "sehr schlimmen Ereignis".

"Es zerreißt mir das Herz, dass es zu einem Attentat auf unsere Stadt kam", schreibt Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach auf der Facebook-Seite der Stadt. "Heute Abend sind wir alle in Solingen in Schock, Entsetzen und großer Trauer." AfD-Co-Chefin Alice Weidel nennt die Tat einen "Terroranschlag". "Wir hoffen, der Täter wird so schnell wie möglich gefasst", schrieb Weidel weiter.

Quelle: ntv.de, gut/spl/dpa/AFP

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