Panorama

Prozess beginnt nach vier Jahren Wer ist verantwortlich für den Brückeneinsturz von Genua?

Schon lange vor dem Einsturz soll bekannt gewesen sein, dass es Schäden an dem Bauwerk gab.

Schon lange vor dem Einsturz soll bekannt gewesen sein, dass es Schäden an dem Bauwerk gab.

(Foto: REUTERS)

Am 14. August 2018 stürzt ein Viadukt der Autobahn 10 in Genua ein. In den Trümmern der "Ponte Morandi" sterben 43 Menschen, Hunderte Menschen, die darunter wohnten, werden obdachlos. 59 Angeklagte stehen dafür nun vor Gericht.

Die Bilder vom Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua vor knapp vier Jahren schockierten die Welt. 43 Menschen starben, als während starker Regenfälle die Fahrbahn brach und Autos und Lastwagen in die Tiefe stürzten. Jetzt beginnt der Prozess gegen mutmaßliche Verantwortliche, vor Gericht müssen sich 59 Angeklagte verantworten.

"Die Trauer ist noch heute unendlich groß", sagt Egle Possetti. Die 57-Jährige verlor bei der Katastrophe am 14. August 2018 ihre Schwester Claudia, ihren Schwager Andrea, ihren Neffen Manuele und ihre Nichte Camilla. "Meine Schwester war so glücklich, sie hatte Andrea wenige Tage vor dem Unglück geheiratet, sie waren gerade von ihrer Hochzeitsreise in die USA zurückgekehrt", erzählt die Vorsitzende eines Komitees der Hinterbliebenen.

"Die schrillen Schreie der Menschen, die Leichen und die völlig plattgedrückten Autos werden mir für immer im Gedächtnis bleiben", erinnert sich Federico Romeo, der Bürgermeister des nördlichen Stadtteils von Genua, an den Tag der Katastrophe. Diese offenbarte in ungeahnter Brutalität den desolaten Zustand der Verkehrsinfrastruktur in Italien.

Opfer fühlen sich im Stich gelassen

Das Unternehmen Autostrade per l'Italia (ASPI), das fast die Hälfte des italienischen Autobahnnetzes betreibt, wird beschuldigt, die Morandi-Brücke nicht instand gehalten zu haben. ASPI gehörte damals zur Atlantia-Gruppe der Familie Benetton. Die Familie verkaufte inzwischen ihren Anteil für acht Milliarden Euro an den Staat. Der ehemalige Chef von Atlantia, Giovanni Castelluci, ist einer der insgesamt 59 Angeklagten im Prozess.

Die Hinterbliebene Possetti rechnet nicht mit einer schnellen Verurteilung. "In Italien sind Prozesse langwierig und gehen leider für die Opfer oft nicht gut aus", sagt sie. "Wir haben uns vom ersten Tag an im Stich gelassen gefühlt, monatelang haben wir von niemandem etwas gehört."

Ganz in der Nähe von Brückenpfeiler Nummer neun, der bei dem Unglück einstürzte, spielen jetzt Kinder Fußball. Bald soll hier ein Park zum Gedenken an die Opfer angelegt werden. Im August 2020 wurde die neue Brücke eingeweiht. Der Fluss, über den sie führt, ist derzeit ausgetrocknet.

Bedürfnis nach Gerechtigkeit

Im Stadtteil Certosa nahe der Brücke hängen an vielen Häusern Schilder mit der Aufschrift "Zu verkaufen". Über ein Jahr lang war das Viertel vom Rest der Stadt abgeschnitten, weil die Straßen wegen des Wiederaufbaus der Brücke gesperrt waren. "Die alteingesessenen Geschäfte haben fast alle geschlossen", sagt Massimiliano Braibanti, Leiter einer lokalen Nachbarschaftsinitiative. Auch die Immobilienpreise seien gesunken. Eine 100-Quadratmeter-Wohnung sei für weniger als 20.000 Euro zu haben, sagt Braibanti.

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Der bevorstehende Prozess ist allen Italienern wichtig, Hinterbliebenen wie Giorgio Robbiano besonders: "Ich habe das Bedürfnis nach Gerechtigkeit und möchte wissen, wer für den Tod meines Bruders, meines Neffen, meiner Schwägerin und so vieler anderer verantwortlich ist", sagt der 45-Jährige. "Ich will, dass sie sich für ihre Taten verantworten müssen." Robbianos jüngerer Bruder war mit seiner Frau Ersilia und dem achtjährigen Sohn Samuele auf dem Weg zum Haus des Vaters, um dort Geburtstag zu feiern, als sie in die Tiefe stürzten.

"Sie sind wegen einer Brücke gestorben, die nie gewartet wurde, um mehr Profit zu machen", sagt Robbiano. Sein Vater sei im vergangenen Jahr gestorben. "Er ist nie über den Schmerz hinweggekommen", sagt Robbiano. "Und leider wird er nie die Gelegenheit haben, dem Menschen, der seinen Sohn und seinen Enkel getötet hat, in die Augen zu sehen."

Quelle: ntv.de, Brigitte Hagemann, AFP

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