Verschweigen und verschleiern Wie China seine Krisen löst
14.08.2015, 10:36 Uhr
Katastrophen wie in Tianjin beunruhigen Chinas Parteikader.
(Foto: imago/China Foto Press)
Peking hat Angst vor Aufständen. Deswegen professionalisiert das Regime das Management von Krisenfällen wie dem Chemieunfall von Tianjin: Nachrichten werden zurückgehalten, die Angehörigen von Opfern unter Druck gesetzt.
Das Regime mag keine Unglückstoten. Die machen das Regieren in der Volksrepublik China zu einer hochsensiblen Angelegenheit. Die Explosionskatastrophe auf dem nordchinesischen Hafengelände von Tianjin hat die Kommunistische Partei in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Die Tragödie schadet ihrem Image. Immer wenn bei solchen Katastrophen viele Opfer zu beklagen sind, schimpft und flucht die Bevölkerung über Korruption und Profitgier im Land. Die Wut richtet sich gegen die Genossen, die so gern als fürsorgliche Landesväter auftreten.
Doch Peking hat sein Krisenmanagement professionalisiert. Nachrichten werden bewusst gestreut und zurückgehalten, die Medien zum Diktat gerufen, die Angehörigen von Opfern unter Druck gesetzt. So geschah es nach dem Milchpulverskandal mit vielen toten Babys und nach dem Zugunglück in Wenzhou, nach dem Absturz von MH 370, nach der Massenpanik am Silvesterabend in Schanghai und erst kürzlich nach dem Schiffsunglück auf dem Jangtse. Immer das gleiche Muster. Beobachter glauben, dass es in Tianjin kaum anders zugehen wird.
Es gibt Hinweise, dass Korruption bei der jüngsten Katastrophe eine Rolle spielte. Demnach lagerte eine Firma hochgiftige Chemikalien in dem Hafendepot, obwohl sie wohl keine offizielle Genehmigung für diese Substanzen hatte. Eine chinesische Webseite, die das bestätigen könnte, ist von den Zensoren geblockt. Wenn diese Darstellung zutrifft, ist zu befürchten, dass die Öffentlichkeit niemals die Wahrheit über die Ursachen des Unglücks erfährt. Und auch nicht, wer alles von den Machenschaften wusste. Das ist ein makabres Spiel mit den Angehörigen, deren Gefühle hinter den Interessen der Staatsspitze anstehen müssen.
Ablenken von den wahren Problemen
Der Schutzschild der Partei wird immer dann hochgezogen, wenn eine Katastrophe das Land erschüttert. Peking ist getrieben von der Angst, dass sich die Wut ausbreiten könnte wie eine Grippe im Kindergarten. Denn was als Husten anfängt, könnte als Epidemie enden, an der das Regime zugrunde geht. Chinas sozialer Frieden steht auf wackeligen Beinen. Um kursierende Informationen im Zaum zu halten, werden die Debatten im Internet sofort streng überwacht. Es gilt nur noch die offizielle Lesart. Medien erhalten Anweisungen, sich bei der Berichterstattung eng an die Fakten zu halten, die von der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua herausgegeben werden.
Die Angehörigen klagen in solchen Fällen stets darüber, dass man ihnen Informationen verwehrt und sie teils tagelang im Dunkeln lässt über den Fortgang von Rettungs- oder Bergungsarbeiten. Nach dem Jangtse-Unglück Anfang Juni schlichen Dutzende Angehörige von Opfern durch die Wälder an den Ufern des Flusses entlang. Sie versuchten, so nahe wie möglich an das Schiffswrack heranzukommen. Das System hatte sie in sicherer Entfernung zum Unglücksort zurückgewiesen und ihnen die Bitte um Einzelheiten verwehrt. Informationen werden von den Ermittlern verschleiert, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von dem Vorfall abzulenken. Denn je länger sich Ermittlungen und Rettungsarbeiten in die Länge ziehen, desto mehr Menschen beschäftigen sich in der Zwischenzeit auch wieder mit anderen Dingen.
Misstrauen gegenüber Behörden
Jede offizielle Neuigkeit ist in Krisensituationen mit Vorsicht zu genießen, weil sie absichtlich falsch sein kann, um die Gemüter zu beruhigen. "Glaube immer das Gegenteil von dem, was die Partei sagt", scherzen die Chinesen gern. Das Misstrauen der Menschen gegenüber den Angaben der Behörden ist so groß, dass viele vermuten, dass die offiziellen Opferzahlen bei solchen Tragödien sogar nach unten gerechnet werden. Was der Staat verschleiern kann, verschleiert er, lautet eine weitverbreitete Meinung unter den Bürgern.
Dazu werden Opferfamilien voneinander getrennt und jede Initiative für gemeinsame Aktionen langfristig bekämpft. Angehörige früherer Katastrophen, die sich öffentlich wehren gegen diese Behandlung, berichten von Prügeln, die sie von Beamten bezogen hätten. Erst wenn sie aufgeben, dafür zu kämpfen, was sie als gerecht empfinden, lassen die Drohungen und Gängelungen gegen sie nach. Je nach Ausdauer der Betroffenen, dauern diese Auseinandersetzungen manchmal Jahre.
Quelle: ntv.de