Panorama

Timo Ulrichs im Interview "Wir müssen weiter vorsichtig sein"

Mit ein bisschen Abstand kann - wie hier im Berliner Tiergarten - nicht viel passieren.

Mit ein bisschen Abstand kann - wie hier im Berliner Tiergarten - nicht viel passieren.

(Foto: dpa)

Der Sommer ist da, die Inzidenz sinkt - der Freude darüber schließt sich Epidemiologe Ulrichs im ntv-Interview auch an. Dennoch mahnt er zur Vorsicht. Mit Blick auf eine mögliche vierte Delta-Welle im Herbst ruft Ulrichs zudem dazu auf, den zweiten Impftermin im Sommer dringend auch wahrzunehmen.

ntv: Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz liegt unter 25. Ist das Grund zur Freude oder sollte man auf die Euphorie-Bremse treten?

Epidemiologe Timo Ulrichs ist Professor für Medizin, Mikrobiologie und Katastrophenhilfe an der Akkon-Hochschule in Berlin.

Epidemiologe Timo Ulrichs ist Professor für Medizin, Mikrobiologie und Katastrophenhilfe an der Akkon-Hochschule in Berlin.

(Foto: ntv)

Timo Ulrichs: Das ist auf jeden Fall Grund zur Freude und auch das, was wir erwarten. Im Sommer war es ja auch letztes Jahr so, dass das dann eher runterging und auch unten geblieben ist trotz einzelner Ausbrüche. Das werden wir jetzt ziemlich sicher auch so erleben. Aber wir müssen ein bisschen vorsichtig sein, wenn weitere Virusvarianten aus dem Ausland nach Deutschland importiert werden. Damit wir nicht so etwas sehen wie jetzt zurzeit in Großbritannien.

All die Lockerung, die gute Laune, die geöffnete Biergärten und Geschäfte - kann uns das nochmal zurückwerfen?

Die Chance ist ziemlich groß, dass wir mit den ganzen Öffnungen stabil weitermachen können. Das gilt auch vor allen Dingen für die Schulöffnung. Und solange man sich hauptsächlich im Freien trifft, kann man auch ganz sicher sein, dass da nichts Schlimmes mehr passiert.

Ab heute ist die Impfpriorisierung aufgehoben, aber der Impfstoff ist weiter knapp. Glauben Sie, dass das mit der Aufhebung eine gute Idee ist?

Als das angekündigt worden ist, dachte man, man hätte Anfang Juni so viel Impfstoffdosen, dass das nicht mehr der Flaschenhals sein würde. Aber es gab ja dann noch weitere Lieferverzögerungen gerade auch bei Biontech, sodass jetzt immer noch eine relative Impfstoffknappheit herrscht. Das ist jetzt eine Lage, aus der wir hoffentlich bald rauskommen - eher innerhalb von Wochen als von Monaten.

Hätte man die Aufhebung der Priorisierung nicht einfach verschieben müssen?

Es ist ja sowieso schon immer in der Verantwortung der Hausärztinnen und Hausärzte, so zu impfen, dass die Reihenfolge sinnvoll ist - eben nach eigenem Ermessen. Sie kennen ihre Patientinnen und Patienten am besten und wissen, wer sinnvollerweise zuerst zu impfen ist. Man hat die Priorisierung eigentlich verlagert auf die Praxen. Das ist auch in Ordnung so. In den anderen Bereichen, also in den Impfzentren bei den Betriebsärztinnen und -ärzten, können dann alle Altersgruppen gleichermaßen geimpft werden.

Die Delta-Variante, die früher ja indische Variante genannt wurde, ist laut britischem Gesundheitsminister um 40 Prozent ansteckender. Wie gefährlich ist die Delta-Variante?

Wir haben so eine ähnliche Situation wie damals, als sich die sogenannte britische Variante oder Alpha-Variante ausgebreitet hat. Das war im Winter, Anfang Frühjahr. Da waren die äußeren Bedingungen noch sehr ungünstig. Das hat wohl auch mit dazu beigetragen, dass wir von der zweiten gleich in die dritte Welle reingeraten sind. Jetzt sehen wir so etwas Ähnliches, das ist gerade in Großbritannien ganz gut zu beobachten. Dort nehmen jetzt die Fallzahlen wieder leicht zu. Es kann aber gut sein, dass mit dem Durchimpfen und der Situation jetzt in den Frühling und Sommer hinein sich diese neue Variante nicht mehr so stark ausbreiten wird.

Befürchten Sie für den Herbst, dass sich die Delta-Variante nochmal ausbreiten könnte?

Nach den Erfahrungen des letzten Herbstes sind saisonal wieder Zunahmen zu erwarten. Das würde dann aber diejenigen betreffen, die noch nicht geimpft sind. Wenn wir die anderen Maßnahmen wie Abstands- und Hygieneregeln einigermaßen durchhalten, dann sollte diese Welle nur sehr klein und gut kontrollierbar sein. Aber es ist eben etwas, das wir durchaus ernst nehmen sollten.

Weiß man denn heute schon, ob die Impfungen gegen die Delta-Variante schützen?

Ja, da gibt es erste Daten, die zeigen, dass mit einem vollständigen Immunschutz, also nach der zweiten Impfung, das gar nicht so schlecht aussieht. Die Vakzine wirken allerdings etwas weniger als bei den anderen Varianten. Deswegen ist es wichtig, dass sich jeder und jede auch die zweite Impfung holt, sodass man da wirklich ganz sicher sein kann. Dann reicht das aus, um auch diese Variante gut zu kontrollieren.

Mit Timo Ulrichs sprach Doro Steitz

Quelle: ntv.de

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