Panorama

Ein Albtraum wurde wahr Lawinen-Desaster von Galtür

Rettungsmannschaften durchsuchen am 24. Februar 1999 nach der Lawinenkatastrophe in Galtür Trümmer und Schnee nach Verschütteten.

Rettungsmannschaften durchsuchen am 24. Februar 1999 nach der Lawinenkatastrophe in Galtür Trümmer und Schnee nach Verschütteten.

(Foto: picture alliance / epa apa Minic)

Das Jahr 1999 hatte schon schlecht begonnen: Fast 50 Menschen hatte der weiße Tod in den Alpen in den ersten Wochen des Jahres bereits gefordert. Doch dann, am Nachmittag des 23. Februar, geschieht das Unfassbare: Eine Lawine von bis dahin ungeahnten Ausmaßen stürzt mit unglaublicher Wucht auf das kleine Bergdorf Galtür am Ende des Paznautals in Tirol nieder. Nur 24 Stunden später geht eine zweite Lawine im benachbarten Valzur nieder. Die Folgen sind verheerend. Insgesamt 38 Tote, darunter 22 deutsche Urlauber, mehrere Gebäude zerstört, Autos unter meterhohen Schneemassen verschüttet.

Ungeheure Schneemassen

Die ungeheuren Schneemassen, die über eine Distanz von rund 1000 Metern auf das 800-Seelen Dorf zurasen, reißen alles mit sich, was im Weg steht. Gegen 16.15 Uhr weicht das laute Grollen der Lawine einer kaum weniger fürchterlichen Stille. Das Bild, das sich den überlebenden im "Winkl", dem westlichen Teil von Galtür, bietet, ist grauenvoll. Chaos herrscht dort und Verwüstung, berichten erste Augenzeugen. Hotels und touristische Einrichtungen wie das "Haus Litzner" oder das "Iglu" sind verschwunden oder dem Erdboden gleichgemacht, weitere Häuser schwer beschädigt, die neue Siedlung des Ortes teilweise zerstört.

Ein halbes Dutzend großer Häuser - nur 150 Meter von der alten Dorfkirche entfernt - sind zermalmt. Die Dörfler und die rund 2000 Touristen, die trotz der großen Lawinengefahr in der Alpenregion geblieben waren, sind geschockt. Das zerstörte Areal ist mindestens so groß wie sieben Fußballfelder. Aus dem Gemenge aus Steinen und Schnee ragen Hunderte zerborstener Holzbretter, viele Matratzen und auch ein Plüschtier hervor.

Suche nach Überlebenden

Die Menschen in Galtür, die vom Tourismus leben, zögern nicht. Sie sind ganz auf sich allein gestellt. Denn schon seit einer Woche ist das Dorf von der Außenwelt praktisch abgeschnitten. Eine große Lawine versperrt die Zufahrt. Alle Dorfbewohner sind zur Unglücksstelle geeilt, um in dem gigantischen Lawinenkegel nach Überlebenden zu suchen. Mehr als 50 Menschen hat die Lawine unter sich begraben. Schon etwa eine Stunde nach dem Lawinenabgang können die verzweifelt grabenden Helfer zehn Verschüttete bergen, einige davon lebensgefährlich verletzt. Rettungsmannschaften von außerhalb, die mit trainierten Lawinenhunden auf ihren Einsatz warten, müssen tatenlos zusehen. Dichtes Schneetreiben und die hereinbrechende Nacht erlauben ihren Einsatz erst am nächsten Morgen.

"Der Hang galt als nicht gefährlich. Nach unserer Einschätzung hätte eine etwaige Lawine nie die Häuser jenseits der Straße gefährden dürfen", sagt später ein Mitglied der österreichischen Lawinenkommission bei der ersten Ortsbesichtigung. Ein tragischer Irrtum für die Opfer von Galtür und im benachbarten Valzur. "Seit dem 15. Jahrhundert hat es hier im Ort nie eine Lawine gegeben", bekräftigt Galtürs damaliger und noch immer amtierender Bürgermeister, Anton Mattle, zehn Jahre nach der Katastrophe. Ja, bestätigt er entsprechende Berichte, "In den sechziger Jahren gab es schon mal eine Lawine im Ort, aber an anderer Stelle und erheblich kleiner".

Vorwürfe, in Galtür sei das Lawinenschutzgebiet aus Geldgier fahrlässig mit Hotels verbaut worden, weisen Mattle und offizielle Stellen zurück. Die Staatsanwaltschaft stellt 2001 alle Ermittlungen ein. Das Unglück von Galtür und Valzur - konstatiert ein schweizer Gutachten - war ein "nicht vorhersehbares Naturereignis".

Trauma ist überwunden

Doch zehn Jahre nach dem Desaster hat die Bevölkerung von Galtür das Trauma des 23. Februar 1999 überwunden. Der Wiederaufbau ist längst vollendet. "Schon ein Jahr nach dem Unglück waren die ersten Sicherungsmaßnahmen abgeschlossen", erzählt Bürgermeister Mattle wenige Tage vor dem zehnten Jahrestag des Unglücks. Zusätzliche, mehrere hundert Meter lange und bis zu 19 Meter hohe Schutzwälle am gefährdeten Hang ihres "Hausbergs" haben der Bevölkerung die Angst genommen. Vor fünf Jahren wurde das in eine der großen Schutzmauern integrierte "Alpinarium" eröffnet, das zum Gedenken an die Opfer errichtet wurde.

Auch der Fremdenverkehr, praktisch der einzige Gewerbezweig in dieser abgelegenen Gegend, hat sich nach fünf schweren Aufbaujahren wieder erholt. "Zurzeit sind hier alle Hotels und Pensionen ausgebucht", freut sich Mattle heute. Die Wunden die die Katastrophe in Galtür hinterließ, sind also verheilt. Doch die Opfer sollen nicht vergessen werden. "Wir werden auch in diesem Jahr die Angehörigen der 38 Opfer zum Gedenken am 23. Februar einladen", kündigt der Bürgermeister an. Denn das Lawinendesaster hat bei der Bevölkerung einen tiefen Eindruck hinterlassen. "Wir sind nach der Katastrophe kleiner geworden", meinte der Sprengelarzt und Galtür-Ehrenbürger Walter Köck schon vor fünf Jahren: "Wir haben gemerkt, dass wir nie Herr über die Natur sein werden."

Quelle: ntv.de, Christian Fürst, dpa

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