OPCW-Mitbegründer zum Friedensnobelpreis "20 Prozent der Chemiewaffen sind noch da"
12.10.2013, 11:49 Uhr
In Den Haag befindet sich die Zentrale der Organisation.
(Foto: REUTERS)
Chemiewaffenexperte Trapp hat die Organisation für das Verbot chemischer Kampfstoffe seit Anfang der 1990er Jahre mit aufgebaut. 80 Prozent der weltweiten C-Waffen seien vernichtet, sagt er im Interview mit n-tv.de. Für die Zukunft sieht er noch viel Arbeit für die Organisation. Der Nobelpreis könnte dabei helfen.
n-tv.de: Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die OPCW soll ein Schub für die Abrüstung weltweit sein. Ist sie das?
Ralf Trapp: Ich sehe das auch so. Ich sehe es als Anerkennung der Arbeit, die von der OPCW über 16 Jahre geleistet worden ist. 80 Prozent der Chemiewaffen, die während des Kalten Krieges angesammelt worden sind, sind vernichtet worden. Es hat zwar länger gedauert als geplant und wir sind immer noch dabei. Aber man sollte das nicht kleinreden, 80 Prozent sind eine ganze Menge. Wir haben, neben der Vernichtung von Chemiewaffen, ein Kontrollsystem in militärischen Betrieben und in Betrieben der chemischen Industrie weltweit aufgebaut, das verhindert, dass neue Chemiewaffen gebaut werden.
Der Kalte Krieg ist vorbei – wie sehen die Aufgaben der OPCW in der Zukunft aus?
Die Verleihung des Friedensnobelpreises ist ein Wechsel auf die Zukunft. Die Aufgaben der OPCW sind nicht beendet. Es geht weiter mit der Vernichtung der verbliebenen chemischen Waffen. Im übrigen haben wir jetzt Syrien, das ja ein C-Waffen Programm hat oder hatte und es jetzt stillzulegen hat. Das ist eine neue und sehr komplizierte Aufgabe.
Ihre Organisation hatte sich bereits verkleinert, nachdem ein Großteil der Chemiewaffen der Welt nun vernichtet ist. Und jetzt kommt plötzlich dieser riesige Auftrag in Syrien, und das auch noch unter Bürgerkriegsbedingungen. Gab es überhaupt genug Personal für dieses Unterfangen?
Der Bürgerkrieg ist das entscheidende Problem. Die Größe der Organisation lässt sich relativ kurzfristig anpassen. Aber in Syrien haben wir es zum ersten Mal in der Geschichte damit zu tun, in einem Staat abzurüsten, in dem ein Bürgerkrieg tobt und in dem geschossen wird.
Die Aufgabe der OP CW ist eigentlich eine technische. Dennoch ist sie politisch hochbrisant und die Inspekteure müssen darauf vertrauen, dass das syrische Regime ihre Sicherheit gewährleistet. Könnte die große Aufmerksamkeit, die der OPCW durch die Verleihung des Nobelpreises zuteil wird, auch hier helfen?
Die Situation in Syrien wird der Preis kaum beeinflussen. Er wird aber politisch sehr wichtig sein im UN-Sicherheitsrat. Es bedarf der starken und massiven Unterstützung des Sicherheitsrates in Syrien. Die Sicherheit vor Ort ist ein großes Problem und die Abrüstung kann nur gelingen, wenn Opposition und Regierung das Verfahren unterstützen. Dafür braucht es unter Umständen auch Waffenruhen an bestimmten Stellen.
Bis Mitte 2014 soll der Abbau der syrischen Chemiewaffen beendet sein. Ist dann die Arbeit der OPCW in Syrien auch ganz beendet?
Im ersten Schritt ja, aber wie in allen anderen Staaten geht es dann natürlich noch weiter. Das Mandat der OPCW besteht nicht nur darin, dass bestehende C-Waffenvorräte vernichtet werden. Es besteht auch darin, dass keine neuen Chemiewaffen und Anlagen zu ihrem Bau hergestellt werden. Dazu führt die OPCW Kontrollen in der chemischen Industrie durch und holt Informationen über Handel mit chemischen Stoffen ein.
Was könnte nach Syrien noch kommen? Nur wenige Länder haben die Chemiewaffenkonvention noch nicht unterzeichnet. Wo auf der Welt muss neben den Routinekontrollen noch etwas getan werden?
Die Routineaufgaben darf man nicht unterschätzen, s ie werden mit der Zeit sogar immer wichtiger. Wissenschaft und Technik entwickeln sich weiter und damit die Rahmenbedingungen, unter denen man kontrollieren muss, ob Chemiewaffen hergestellt werden. Die Länder, die dem Chemiewaffenabkommen noch nicht beigetreten sind, sind unterschiedlich zu bewerten. Israel hat die Konvention gezeichnet, ist dem Vertrag aber noch nicht beigetreten. Ägypten ist ein zweites Land in der Region, das Chemiewaffen besitzt. Nordkorea ist einer der Staaten wo es Hinweise gibt. Das ist ein kompliziertes sicherheitspolitisches und regionales Problem. Dort zu arbeiten wäre genauso kompliziert wie in Syrien. Mit Burma und Angola hat die OPCW in den vergangenen Jahren intensiv gearbeitet und es ist zu erwarten, dass sie bald beitreten werden.
Wie sieht es mit den israelischen Waffen aus?
Wenn Israel C-Waffen hat und sie deklariert, dann muss es sie vernichten. Das sieht die Chemiewaffenkonvention ganz klar vor. Im übrigen gibt es die normalen Kontrollen in der Industrie. Selbst ein stillgelegtes Programm wäre meldepflichtig und die dazugehörigen Anlagen inspektionspflichtig.
Sie arbeiten seit über 20 Jahren für die Vernichtung von Chemiewaffen, haben die OPCW in ihren Anfängen mit aufgebaut. Wenn Sie persönlich Bilanz ziehen: Hat ihre Organisation genug erreicht?
Die OPCW hat eine ganze Menge erreicht. Natürlich nicht ganz so viel, wie geplant war, wie das mit Plänen eben so ist. Nach wie vor sind etwa 20 Prozent der gemeldeten Chemiewaffen noch zu vernichten, insbesondere in Amerika und Russland. Das muss schnellstens aufgehoben werden. Ansonsten hat sich aber viel geändert. Die gesamte sicherheitspolitische Einschätzung von Chemiewaffen heute ist eine andere als vor zehn Jahren.
Was sagen sie zu Kritikern, die lieber ein Gesicht mit einer Geschichte als Nobelpreisträger gesehen hätten, etwas die Pakistanerin Malala Yousafzai?
Ich kann das Argument verstehen. Es ist immer eine Abwägung für das Komitee, ob es eine Person oder eine Institution auszeichnet. Das hat immer eine Signalwirkung. Für die OPCW hat es eine Signalwirkung im Hinblick auf die Bedeutung von Abrüstung im Unterschied zur bloßen Rüstungskontrolle. So ein Preis setzt Prioritäten. Insofern ist beides gerechtfertigt. Wie man die Balance hinkriegt, das muss das Nobelkomitee selbst entscheiden.
Mit Ralf Trapp sprach Nora Schareika
Quelle: ntv.de