Bahn zahlt Schmerzensgeld 500 Euro - auch ohne Attest
22.07.2010, 16:01 UhrDie Deutsche Bahn bessert noch einmal nach und will ICE-Hitzeopfer nun auch unbürokratisch ohne ärztliche Bescheinigung entschädigen. Die Probleme mit den Klimaanlagen habe man weitgehend im Griff, versichert Bahnchef Grube, gegen den inzwischen Strafanzeige wegen des Verdachts auf fahrlässige Körperverletzung gestellt wurde. Die Bahnindustrie zeigt sich derweil empört über Schuldzuweisungen.
Bahnfahrgäste mit Gesundheitsproblemen durch überhitzte Züge sollen ohne ärztliches Attest 500 Euro Schmerzensgeld erhalten. Das sagte Bahnchef Rüdiger Grube nach einem Krisentreffen mit Bundestagsabgeordneten in Berlin. Grube war mit Mitgliedern des Verkehrsausschusses zusammengekommen. An dem Gespräch nahm auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) teil.
Bahnchef Grube sagte zu, dass sein Unternehmen die Klimaanlagen- Defekte mit voller Kraft bekämpfe. "Ich werde alles tun, um diese Herausforderung in den Griff zu bekommen." Der Unternehmenschef berichtete, dass es in den vergangenen Tagen kaum noch schlimme Hitzeprobleme gegeben habe. Grube zufolge will die Bahn die Probleme für den Kunden "wirklich zufriedenstellend" und "schnell spürbar" lösen. Dazu werde die Bahn alle 44 ICE-2 einer Generalüberholung unterziehen. Der Konzern prüfe derzeit, ob bei diesen umfangreichen Wartungen künftig auch immer die Klimaanlagen ausgetauscht werden sollten.

Verkehrsminister Ramsauer (l) will, dass die Bahn sowohl bei minus als auch bei plus 40 Grad - und auch dazwischen - gut fährt.
(Foto: dpa)
Ramsauer sagte nach dem Treffen in Berlin, er erwarte, „dass die Bahn bei minus 40 Grad genauso zuverlässig und gesundheitstauglich fährt wie bei plus 40 Grad und auch bei allen Temperaturen dazwischen“. Der Minister hatte auch schon Ausfälle von ICE-Zügen bei der extremen Kälte im vergangenen Winter kritisiert. Ramsauer kündigte an, im Zulassungsverfahren des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) für neue Züge sollten künftig die Klimaanlagen besser geprüft werden.
Bahnindustrie weist Schuld von sich
Die Probleme sollen laut Grube gemeinsam mit der Bahnindustrie gelöst werden. "Es geht nicht darum, wer was richtig oder falsch gemacht hat, sondern darum, Lösungen zu finden", sagte Grube. Gegenseitige Schuldzuweisungen machten keinen Sinn.

Gegenseitige Schuldzuweisungen machen keinen Sinn: Bahnchef Grube.
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Grube hatte zuvor gesagt, die Bahn habe von der Industrie bislang „fast nie Züge geliefert bekommen, die auch das geleistet haben, wofür wir bezahlt haben“.
Das wies der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie, Ronald Pörner, vehement zurück: „Die Hersteller liefern keinen Schund, keine Züge mit Systemfehlern.“ Gerade bei den jetzt beanstandeten Klimaanlagen habe die „Bahn selbst erklärt, dass kein systematischer Fehler, kein Konstruktionsfehler“ vorliege, sagte er der „Berliner Zeitung“.
300 Schmerzensgeld-Forderungen
Der Bahn machen die derzeit bei Teilen ihrer ICE-Flotte die hochsommerlichen Temperaturen Probleme: Die Klimaanlagen in ICE-2-Zügen sind nur für Temperaturen bis 32 Grad Celsius ausgelegt. Vor etwa zwei Wochen waren innerhalb weniger Tage bei heißem Wetter die Klimaanlagen in rund 50 ICE- und Intercity-Zügen ausgefallen. Fahrgäste - darunter Schüler - erlitten einen Hitzekollaps und mussten im Krankenhaus behandelt werden. Zu den Ausfällen führte offenbar, dass die Anlagen angesichts der Hitze zu lange unter Volllast liefen.
Bislang hätten sich etwa 300 Kunden an die Bahn gewandt, um das Schmerzensgeld von 500 Euro zu bekommen, berichtete Grube. Sollten medizinische Kosten entstanden sein, würden auch diese erstattet. Insgesamt wurden bislang nach Angaben des Konzerns 2200 Bahn-Kunden für die Probleme mit den Klimaanlagen entschädigt.
Grube verspricht unbürokratische Regelung
Die Bahn hatte das Schmerzensgeld am Mittwoch bekannt gegeben, zunächst aber auf ein ärztliches Attest bestanden. Dies hatten Verbraucherschützer und Politiker heftig kritisiert. Die bisher zugesagten Entschädigungen gelten unabhängig von der 500-Euro-Zusage: So hatte die Bahn Reisenden mit gesundheitlichen Problemen durch den Klimaanlagen-Ausfall einen Reisegutschein in Höhe von 150 Prozent des ursprünglichen Fahrpreises zugesagt. Andere Passagiere sollen einen Gutschein über 50 Prozent des Fahrpreises erhalten.
Ein Attest ist nun nicht mehr nötig. Grube sagte, Bedingung für das Schmerzensgeld sei aber weiterhin, dass die Fahrgäste „gesundheitliche Probleme“ durch den Ausfall von Klimaanlagen in ICE-Zügen erlitten hätten. Die Bahn machte allerdings keine Angaben, wie sie die Ansprüche überprüfen will, Betroffene sollen sich einfach an den Konzern wenden. „Wenn ein Kunde einen Anspruch hat, dann werden wir diesem Anspruch auch ganz schnell und unbürokratisch nachkommen“, versprach der Bahnchef.
Aufklärung steht in der Kritik
Der Fahrgastverband Pro Bahn nannte den Betrag von 500 Euro zu gering und kritisierte die Aufklärung der Hitze-Pannen. "Man wüsste gerne: was wurde hier gespart, wie viel wurde gespart und wo ist das Geld eigentlich hingekommen, das er uns jetzt wortreich verspricht, in den kommenden Jahren wiederzugeben", sagte Carl-Friedrich Waßmuth, Pressesprecher des Verbandes, bei n-tv. Verbraucherschützer kritisierten zudem, der Kreis der Empfänger sei zu klein.
Strafanzeige gegen Grube
Die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat inzwischen Bahn-Chef Grube wegen der Hitzepannen angezeigt. Es müsse geklärt werden, ob die Fahrgäste von der Deutschen Bahn ausreichend über den Ausfall der Klimaanlagen informiert worden seien, sagte der vzbv-Chef Gerd Billen den Dortmunder „Ruhr Nachrichten“.
Der vzbv habe Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Berlin wegen des Verdachts auf fahrlässige Körperverletzung gestellt, sagte Billen. „Die ein oder andere Familie wäre vielleicht nicht in den ICE eingestiegen, wenn sie gewusst hätte, dass die Klimaanlage nicht funktioniert“. Bahn-Kunden hätten ein Recht auf frühzeitige Information bei so gravierenden Problemen wie dem Ausfall einer Klimaanlage
Die Bahn ist seit den Hitze-Pannen massiv in der Kritik. Dabei geht es sowohl um technische Mängel an den Zügen als auch um die Reaktion des Unternehmens. Kritiker warfen der Bahn vor, sie habe anfangs versucht, die Ausfälle der Klimaanlagen herunterzuspielen.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP