Politik

Notstand ausgerufen Abbas wirft Hanija raus

Am Bruderkrieg im Gazastreifen ist die Regierung der nationalen Einheit zerbrochen: Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat angesichts der fast vollständigen Machtübernahme der radikal-islamischen Hamas im Gazastreifen die Regierung aufgelöst. Ministerpräsident Ismail Hanija von der Hamas sei entlassen worden, teilte Abbas' Beraters Tajeb Abdel Rahim am Donnerstagabend in Ramallah mit. Wegen des von der Hamas geführten "kriminellen Krieges" sei zudem der Notstand ausgerufen worden, der auch für das Westjordanland gelte. Die Hamas wies die Erlasse als wertlos zurück und erklärte, Hanija sei weiter Ministerpräsident.

Rahim sagte, Abbas erwäge eine vorgezogene Parlamentswahl und erklärte weiter, der Präsident werde "zum Volk zurückkehren", wenn es die Umstände erlaubten. Die Hamas-Kämpfer, die am Donnerstag in Gaza zentrale Kommandostrukturen der Fatah eroberten, bezeichnete er als "verbotene Miliz". Weiter hieß es, Abbas habe die USA, Ägypten und Jordanien vorab über seine nächsten Schritte informiert.

Abbas' gemäßigte Fatah-Organisation hatte zuvor schwere Rückschläge bei den Kämpfen gegen die Hamas im Gazastreifen hinnehmen müssen. Die islamistische Hamas hatte nach sechstägigen Kämpfen den größten Teil des Gazastreifens unter ihre Kontrolle gebracht und sich zur Siegerin erklärt. Bei den Gefechten sind mehr als 100 Palästinenser ums Leben gekommen.

Die Fatah beherrscht dagegen weiter das Westjordanland. Die beiden Palästinenser-Gebiete sind durch Israel voneinander getrennt und befinden sind nun nicht mehr unter einer einheitlichen politischen Führung. Fatah und Hamas hatten die große Koalition erst im März geschlossen, um einen monatelangen blutigen Machtkampf der beiden rivalisierenden Organisationen zu beenden.

Bis Freitag soll auch Abbas' Palast fallen

Am Donnerstagabend fiel eine weitere zentrale Einrichtung der rivalisierenden Fatah-Bewegung in Gaza in die Hände der Hamas. Israelische Medien berichteten unter Berufung auf palästinensische Kreise, auch das Saraja-Verwaltungszentrum der Sicherheitskräfte sei von Hamas eingenommen. Die Kämpfer hätten dort zahlreiche Waffen, Fahrzeuge und Dokumente geplündert.

Damit blieb nur noch die von der Präsidialgarde geschützte Residenz des Palästinenserpräsidenten übrig. Hamas kündigte die Eroberung der letzten Fatah-Hochburg bis Freitag an.

Zuvor waren bereits drei der wichtigsten Fatah-Kommandozentralen an Hamas gefallen, im Süden übernahm sie die Kontrolle über Rafah und Chan Junis und damit auch über die Grenze zu Ägypten. Fatah-Sprecher und Augenzeugen berichteten, Hamas-Kämpfer hätten nach der Eroberung des Gebäudes der Präventiven Sicherheitskräfte sieben gefangen genommene Fatah-Mitglieder abgeführt und erschossen. Bei der Schlacht um das Gebäude sollen 14 Kämpfer und Zivilpersonen getötet und 80 verwundet worden sein. Insgesamt wurden bei den Kämpfen am Donnerstag 26 Menschen getötet, berichteten Krankenhäuser und Sicherheitskreise.

Die Hamas sprach in Rundfunkdurchsagen vom Ende einer Ära im Gazastreifen. "Die Ära der Gerechtigkeit und der islamischen Herrschaft ist gekommen", sagte ein Sprecher der Hamas-Miliz, Islam Schahawan. Hamas-Sprecher Abu Suhri bezeichnete den sich abzeichnenden militärischen Sieg über die Fatah als die "zweite Befreiung des Gazastreifens" nach dem israelischen Abzug vor zwei Jahren. Die Hamas-Miliz erklärte über Lautsprecher auf den Straßen, das Gebiet um das Hauptquartier sei nun "sicher" und "gesäubert". Zwei Fatah-Rundfunksender, Al Hurrija und Al Schahab, stellten nach Hamas-Drohungen den Sendebetrieb ein. Ein Dritter, die Stimme Palästinas, ging am Abend in Flammen auf. Er sendete von Ramallah im Westjordanland aus weiter.

Im Westjordanland nahmen palästinensische Sicherheitskräfte Dutzende Hamas-Aktivisten fest. Extremisten wurden in Dschenin, Nablus, Jericho, Ramallah und Betlehem festgenommen. Bewaffnete schossen einem Prediger der Hamas ins Bein, in Ramallah wurden drei Aktivisten von Fatah-Kämpfern verschleppt.

Friedenstruppe für Gazastreifen gefordert

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beriet über die Entsendung einer Friedenstruppe in den Gazastreifen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon teilte mit, Abbas habe ihn gebeten, eine solche Möglichkeit zu prüfen. Angesichts der Gewalt stellte die EU-Kommission ihre Zahlungen für humanitäre Hilfsprojekte im Gazastreifen ein.

Die Arabische Liga berief für Freitag eine Sondersitzung in Kairo ein und forderte die Palästinenser "im Namen aller Araber" auf, das Töten einzustellen. US-Außenministerin Condoleezza Rice telefonierte mit abbas und sicherte ihm die Unterstützung der USA zu.

Merkels Friedensappell

Bundeskanzlerin Angela Merkel appellierte eindringlich an die Palästinenser, die Kämpfe einzustellen. "Die Ereignisse der letzten Tage bedrücken uns", sagte die EU-Ratspräsidentin in ihrer Regierungserklärung zum bevorstehenden EU-Gipfel. Merkel hatte am Vorabend mit Abbas und dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert telefoniert. Wegen der immer kritischer werdenden Lage telefonierte sie am Donnerstagabend auch mit den Königen von Jordanien und von Saudi-Arabien, Abdullah II. und Abdallah.

Keine deutschen Truppen nach Gaza

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier äußerte sich skeptisch zur Stationierung vin Friedenstruppen. In der "Frankfurter Rundschau" schloss er auch langfristig eine europäische Beteiligung an einer solchen Truppe aus. Vorrang habe jetzt der Vermittlungsversuch, den Ägypten gestartet habe. Die USA appellierten an andere Länder in der Region, Abbas und gemäßigte Politiker zu unterstützen, die der Gewalt abgeschworen hätten.

Quelle: ntv.de

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