Politik

Freihandelszone auf Krisenkontinent Afrika träumt

Das neue Hauptquartier der Afrikanischen Union in Addis Abeba ist eine Ansage.

Das neue Hauptquartier der Afrikanischen Union in Addis Abeba ist eine Ansage.

(Foto: picture alliance / dpa)

Krieg, Hungersnöte, Aids, Ausbeutung: Zehn Jahre nach ihrer Gründung verwaltet die Afrikanische Union einen Kontinent voller Krisen und Konflikte. Lieber würden sich die 54 Staatschefs einer glanzvollen Zukunft zuwenden. Doch auch international müssen sie sich ihr Gewicht erst noch erkämpfen.

In einem aus Glas und Stahl kommen die Staatschefs der Afrikanischen Union zu ihrem 19. großen Gipfel zusammen. Anfang des Jahres wurde es in Betrieb genommen, bezahlt haben es die Chinesen. Das allein sagt schon viel aus über Afrika im Jahr 2012. Auf der offiziellen Agenda des einwöchigen Gipfeltreffens in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba steht die wirtschaftliche Entwicklung der Staatengemeinschaft, das Fernziel lautet Wirtschaftsgemeinschaft und Freihandelszone – über die bereits bestehenden regionalen Wirtschaftsräume hinaus.

Muammar al-Gaddafi beschwor gerne sein "Afrikanertum" - und pumpte Milliarden in die AU.

Muammar al-Gaddafi beschwor gerne sein "Afrikanertum" - und pumpte Milliarden in die AU.

(Foto: REUTERS)

Doch auf einer Nebenagenda werden die AU die aktuellen Konflikte in Mali, im Sudan und in Nigeria wohl mehr beschäftigen als Zukunftsträume. Die 54 Staaten umfassende Union würde sich gerne einem Afrika der Zukunft zuwenden, die Probleme der Gegenwart vergessen. Das mag ignorant, selbstgefällig oder wirklichkeitsfremd erscheinen angesichts von Epidemien, bewaffneten Konflikten und Umweltproblemen vom Mittelmeer bis zum Kap der Guten Hoffnung. Doch vielleicht muss eine Afrikanische Union so agieren, um überhaupt etwas zu erreichen in diesem Chaos.

Gaddafi war Pate und Visionär der AU

Vor genau zehn Jahren wurde die AU erst gegründet. Der Jahrestag trifft zusammen mit einem Wendepunkt in der Geschichte der noch jungen Staatengemeinschaft: Ihr Gründer, Sponsor und Visionär, der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi, ist tot. Gaddafi war von der panafrikanischen Idee besessen. Auch viel Irrsinn war unter seinen Vorstößen, doch der nordafrikanische Staatschef, der seine Herkunft aus einem Beduinenstamm und sein "Afrikanertum" so gerne betonte, trieb die AU mit Geld, Initiativen und Gipfeln voran. Gaddafi hinterlässt als dominanter, von utopischen Gedanken getriebener Pate eine Lücke. Sein Fehlen könnte der AU aber auch ermöglichen, sich neu auszurichten.

Die AU löste 2002 die Organisation Afrikanischer Einheit (OAU) ab. Diese, in den 60er Jahren gegründet, galt als "Club der Diktatoren". Die OAU sollte einst die Folgen von Kolonialzeit und Apartheid überwinden und die Souveränität und territoriale Integrität der afrikanischen Staaten fördern. Die AU dagegen wurde auf Betreiben Gaddafis am Vorbild der Europäischen Union geschaffen. Neben einem Panafrikanischen Parlament verfügt die AU über ein gutes Dutzend an Unterorganisationen, vom Afrikanischen Gerichtshof bis zur Afrikanischen Zentralbank.

Ganz Afrika hat geringeres BIP als Deutschland

So durchdacht die Organisation selbst sein mag, so chaotisch geht es auf dem afrikanischen Kontinent zu. Die Idee einer Wirtschaftsgemeinschaft und Freihandelszone erscheint nicht nur wegen der geografischen Größe gewagt: Das ökonomische Gefälle zwischen den Staaten ist gewaltig, es mangelt an Infrastruktur und überhaupt an eigener Warenproduktion. Deren Entstehung wird abgewürgt durch die billigen Asien-Importe, die von Kairo bis Kapstadt die Konsum-Regale füllen. Das große Geschäft machen in Afrika immer noch Nicht-Afrikaner. Vor allem China sichert sich den Kontinent seit Jahren sowohl als Absatzmarkt als auch als billigen Rohstofflieferanten.

Einige positive Beispiele, hauptsächlich in Ostafrika, setzen sich zwar davon ab: Kenia, Tansania und Uganda werden bereits als "Afrikanische Tigerstaaten" gehandelt, weil sie Wachstumsraten von rund fünf Prozent aufweisen. Angola an der südlichen Westküste profitiert vom hohen Ölpreis und ist damit zu einigem Reichtum gekommen. Das einzige Schwellenland des Kontinents jedoch, Südafrika, wickelt 85 Prozent seines Handels mit Staaten außerhalb Afrikas ab. Und immer noch gilt: Ganz Afrika hat eine geringere Wirtschaftsleistung als zum Beispiel Deutschland.

Ungelöste Konflikte, interner Streit

Für China ist Afrika ein bedeutender Rohstoff- und Absatzmarkt - nicht nur für harmlose Konsumgüter, sondern auch für Waffen.

Für China ist Afrika ein bedeutender Rohstoff- und Absatzmarkt - nicht nur für harmlose Konsumgüter, sondern auch für Waffen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Hinzu kommen politische Faktoren. Die arabischen Staaten im Norden Afrikas befinden sich nach dem Arabischen Frühling in einer Umbruchphase mit ungewissem Ausgang. Die Folgen dieser Veränderungen strahlen bis in die Staaten der Sahelzone aus. Denn das Machtvakuum in Libyen nach dem Nato-Einsatz 2011 hat tausende Söldner aus Niger, Mali und dem Tschad und Millionen Waffen freigesetzt. Diese Staaten haben kaum Möglichkeiten, jenen Männern eine neue Beschäftigung anzubieten. In Mali haben zudem Kämpfer von "Ansar Dine" (Verteidiger des Glaubens) im Norden die Macht übernommen und zerstören die Kulturgüter von Timbuktu. Die Dschihadisten, die mit Al-Qaida im islamischen Maghreb kooperieren, profitierten von den Waffenlieferungen aus Libyen über die offenen Grenzen in der Wüste. Auch im Niger, im Tschad und sogar im fernen Sudan tummeln sich die ehemaligen Kämpfer und die Gewehre aus Gaddafis Waffenlagern.

Ungelöst ist der Konflikt zwischen Nord- und Südsudan, in Mali und Guinea-Bissau haben sich vor wenigen Monaten Militärs an die Macht geputscht. Der Bürgerkrieg in Somalia erlebt zwar gegenwärtig eine Ruhepause, beigelegt ist er jedoch nicht. Im ölreichen Nigeria verüben seit Monaten muslimische Fundamentalisten Anschläge auf Christen und ihre Einrichtungen. Auch im Kongo, in der Zentralafrikanischen Republik, in Uganda, dem Senegal und in Algerien ist die Lage nicht gerade stabil.

Ein ungandischer AU-Soldat kümmert sich um somalische Frauen und Kinder.

Ein ungandischer AU-Soldat kümmert sich um somalische Frauen und Kinder.

(Foto: Reuters)

Intern kämpfen die Wirtschaftsmacht Südafrika und die westafrikanische Regionalmacht Nigeria heftig um eine Vormachtstellung innerhalb der AU. Südafrikas Innenministerin Nkosazana Dlamini-Zuma will AU-Kommissionschefin werden, der wichtigste Posten in der AU. Im Moment hat Jean Ping aus Gabun das Amt inne. Im Januar hatten weder der Amtsinhaber noch Dlamini-Zuma die notwendige Zweidrittelmehrheit erringen können. Beide treten erneut an. Ping wird vor allem von den frankophonen und kleinen Ländern unterstützt, die eine Übermacht Südafrikas und mehr Einfluss von Staaten wie China und Indien fürchten. Diplomaten in Pretoria glauben, dass auch die EU und besonders Frankreich gegen eine südafrikanische AU-Führung sind.

Der Süden Afrikas leidet unterdessen weiter unter der höchsten Erkrankungsrate an Aids weltweit. Bis zu 20 Prozent der Bevölkerung sind in den südlichen Staaten mit HIV infiziert, die Lebenserwartung ist um mehrere Jahre gesunken – mit erheblichen Folgen für Gesellschaft und Wirtschaft. Große Teile des Kontinents leiden weiter unter Malaria-Epidemien, autokratischen und korrupten Regimen, Armut, Bildungsmangel, wiederkehrenden Hungersnöten und Desertifikation.

AU muss sich ihre Autorität noch erkämpfen

Doch die AU nun als wirkungslos und überflüssig zu verdammen, wäre arrogant. Die Ziele, die sich die Union gesetzt hat, sind in der Tat mehr als ehrgeizig. Mit großen Zukunftsvisionen wollen die Staaten Afrikas gegen ihr Image als Katastrophenkontinent ankämpfen. Gänzlich erfolglos war die Union bislang nicht. Gemäß dem Anspruch, afrikanische Probleme selbst in die Hand zu nehmen, gab es Militär-Einsätze der AU in Burundi, im Sudan und in Somalia. In verschiedenen Deklarationen wurden hehre Absichten immerhin einmal formuliert: So gibt es eine Konvention zur Bekämpfung von Korruption und eine Erklärung über Demokratie und gute Regierungsführung.

Das sind, gemessen an den Verhältnissen in vielen afrikanischen Staaten, bemerkenswerte Ansätze. Sie wurden mitunter konsequent verteidigt. Aktuell sind Mali, Guinea-Bissau und Madagaskar nach den gewaltsamen politischen Umbrüchen als Mitglieder suspendiert. Wegen des Grundsatzes, dass verfassungswidrige Regime-Wechsel durch Rebellionen oder Militärputsche abzulehnen sind, waren die meisten AU-Staaten gegen den Nato-Einsatz in Libyen.

Doch das kann nicht davon ablenken, dass die Union sich Gedanken machen muss, wie sie ihren Einfluss für die Zukunft sichern und ausbauen will. Noch immer wird sie nicht ernst genommen, wie der Nato-Einsatz in Libyen gezeigt hat. Kommissionspräsident Ping sagte einmal, es werde keine nachhaltigen Lösungen ohne afrikanische Eigenverantwortung geben.

Der Eingriff in Libyen von außen war in diesem Sinne ein Affront aus Sicht der Afrikaner, von denen Europa und die USA bei anderen Konflikten verlangen, diese doch bitte selbst zu lösen. Der Nato-Krieg untergrub nicht nur den Anspruch der AU, afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme anzubieten. Er offenbarte die fehlende Autorität der Staatengemeinschaft und ihre innere Zerrissenheit.

Quelle: ntv.de

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