20 Tote, Geheimdienstchef gefeuert Ägypten greift Extremisten an
08.08.2012, 21:15 Uhr
Auch einige Tage nach den Anschlägen auf die ägyptischen Soldaten kehrt keine Ruhe ein an der Grenze.
(Foto: AP)
Die Lage im Grenzgebiet zwischen Ägypten und Israel droht zu eskalieren. Die Armee geht nun massiv gegen die Extremisten vor. Unterdessen greift Präsident Mursi durch. Er entlässt seinen Geheimdienstchef als Reaktion auf die Angriffe auf seine Grenzschützer.
Drei Tage nach dem tödlichen Angriff auf einen ägyptischen Grenzposten ist die Armee des Landes auf der Sinai-Halbinsel mit Luftangriffen und Bodentruppen gegen mutmaßliche Extremisten vorgegangen. Dabei wurden nach Angaben eines Armeevertreters und des Staatsfernsehen 20 gegnerische Kämpfer getötet.

Die 16 ägyptischen Soldaten wurden inzwischen beerdigt.
(Foto: dpa)
Laut Armeevertreter und Staatsfernsehen flogen Hubschrauber im Morgengrauen Angriffe in der Region um den Ort Tumah nahe des Grenzübergangs zum Gazastreifen in Rafah. Dabei wurden demnach 20 Extremisten getötet. Dagegen meldete die amtliche Nachrichtenagentur Mena, "terroristische Einheiten" hätten Aufklärungsmaschinen beschossen, diese aber verfehlt. Daraufhin seien Bodentruppen gegen die Angreifer vorgegangen und hätten eine "bestimmte Zahl von ihnen getötet".
Entsprechend der im Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel aus dem Jahr 1979 vorgesehenen Entmilitarisierung auf der Sinai-Halbinsel ist dort nur wenig Militär stationiert. Die Luftangriffe der ägyptischen Armee waren die ersten seit Jahrzehnten.
In einer im Staatsfernsehen verlesenen Erklärung bezeichnete die Armeeführung den Einsatz als "vollen Erfolg". Der seit Dienstagabend geführte Einsatz werde fortgesetzt. Ziel sei es, "die Kontrolle zu gewährleisten und die Sicherheit wieder herzustellen, indem die bewaffneten terroristischen Elemente auf dem Sinai angegriffen und vertrieben werden". Angaben zu Toten wurden nicht gemacht.
Sicherheitsvakuum
Es handelt sich um den schwerwiegendsten bewaffneten Konflikt in Ägypten seit dem Sturz des langjährigen Präsidenten Husni Mubarak im Februar 2011. Im Inneren und im Norden des Sinai herrscht ein Sicherheitsvakuum, das sich seit dem Mubarak-Sturz noch verstärkte.
Über Herkunft und Zugehörigkeit der sogenannten Dschihadisten (Religionskrieger) wird in Ägypten spekuliert. Das Militär machte dazu bislang nur Andeutungen. Demnach soll ein Teil von ihnen durch Schmugglertunnels aus dem Gazastreifen gekommen sein. Ägyptische Experten sehen aber vor allem neue einheimische, radikal-islamistische Strömungen am Werk.
In dem gesetzlosen Umfeld hätten sich demnach Gruppen von Dschihadisten etabliert, die sich an der extremistischen Ideologie und an den terroristischen Methoden der Al-Kaida orientieren. Der Zugang zu Waffen sei wiederum durch den Umsturz im Nachbarland Libyen erleichtert worden. Die zahlreichen Milizen, die während des Aufstands gegen das Gaddafi-Regime entstanden waren, hätten einen Teil ihres Kriegsgeräts an überregional operierende Waffenhändler verkauft.
Bei dem Angriff auf den Wachposten Karm Abu Salem (Hebräisch: Kerem Schalom) an der Grenze zu Israel waren am Sonntag 16 ägyptische Grenzschützer getötet worden. Für den Überfall machen Israel und Ägypten Palästinenser aus dem Gaza-Streifen und Islamisten vom Sinai verantwortlich. Während ein israelischer Verteidigungsvertreter das Vorgehen der ägyptischen Armee begrüßte, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin, Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sei "in großer Sorge". "Die Vorfälle bergen ein erhebliches Eskalationsrisiko."
Israel zufrieden, Deutschland besorgt
Als Reaktion auf den Angriff vom Sonntag versetzte Ägyptens Präsident Mohammed Mursi Geheimdienstchef Muwafi in den Ruhestand. Zum neuen Leiter ernannte er Mohammed Schehata. Entlassen wurde auch der Gouverneur der Provinz Nord-Sinai, wo sich der Angriff ereignete, sowie der Chef der Militärpolizei, wie Mursis Sprecher sagte.
Nach Angaben von Sicherheitsvertretern wurde auf der Sinai-Halbinsel ein kanadischer Staatsbürgers festgenommen, der verdächtigt wird, in den Angriff vom Sonntag verwickelt zu sein. Er habe einen ägyptischen Personalausweis eines anderen Mannes bei sich gehabt und Fotos von Militärfahrzeugen gemacht, hieß es.
Israel begrüßte das Vorgehen Ägyptens. Damit schaffe die Armee Ordnung auf dem Sinai, wie es ihre Pflicht sei, sagte der Sicherheitsberater der Regierung in Jerusalem, Amos Gilad, im israelischen Rundfunk. Seit dem Sturz von Machthaber Mubarak im vorigen Jahr klagt Israel über laxe ägyptische Sicherheitsvorkehrungen auf der seit dem Friedensvertrag entmilitarisierten Halbinsel. Der neue ägyptische Präsident Mohammed Mursi hat Israel zugesagt, den Sinai wieder unter die Kontrolle der Sicherheitskräfte zu bringen.
Angesichts der Gewalt auf dem Sinai rief Bundesaußenminister Guido Westerwelle Israel und Ägypten zu Zurückhaltung auf. Westerwelle äußerte in Berlin "große Sorge" über die jüngsten Angriffe. Dort bestehe ein "erhebliches Eskalationsrisiko". Der Minister appellierte nach Angaben eines Sprechers deshalb an alle Seiten, entschieden gegen Terror vorzugehen, aber auch umsichtig zu bleiben.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP