Politik

Mubarak verspricht Verfassungreform Ägyptens Armee erklärt Gewaltverzicht

Friedlich, Seite an Seite: Eine ägyptische Mutter umarmt ihren Sohn, der in der Armee dient. Die Militärführung hatte ihre Zurückhaltung bekannt gegeben.

Friedlich, Seite an Seite: Eine ägyptische Mutter umarmt ihren Sohn, der in der Armee dient. Die Militärführung hatte ihre Zurückhaltung bekannt gegeben.

(Foto: dpa)

Die ägyptische Armee wird nicht in den Konflikt zwischen Präsident Mubarak und seinen Gegnern eingreifen. "Wir werden keine Gewalt gegen die Bürger einsetzen", erklärt das Militär. Für Dienstag hat die Opposition zu einem "Marsch der Millionen" aufgerufen. Die Proteste zeigen erste Wirkung: Die Regierung kündigt eine Verfassungsreform an.

Eine Woche nach Beginn der Proteste bahnt sich in Ägypten eine neue Machtprobe an. Mit einer Millionendemonstration will die Opposition Staatschef Husni Mubarak in die Knie zwingen. Die Bewegung unter Führung der "Bewegung 6. April" und Friedensnobelpreisträger Mohamed el-Baradei plant für Dienstag einen Generalstreik und einen "Marsch der Million" in der Hauptstadt Kairo und der zweitgrößten Metropole Alexandria. Das Militär signalisierte der Opposition, dass es nicht auf friedliche Demonstranten feuern werde.

Gegen den Autokraten: Präsident Mubarak wird von einigen Demonstranten mit Adolf Hitler verglichen.

Gegen den Autokraten: Präsident Mubarak wird von einigen Demonstranten mit Adolf Hitler verglichen.

(Foto: Reuters)

"Wir erkennen die Legitimität der Forderungen der Bürger an", hieß es in der Erklärung der Militärführung. "Wir werden keine Gewalt gegen die Bürger einsetzen." Die Meinungsfreiheit sei allen Bürgern garantiert, die friedliche Mittel einsetzten, hieß es. "Die Präsenz der Armee in den Straßen ist zu eurem Schutz und um eure Sicherheit und euer Wohlbefinden zu garantieren." Die Armee rief die Bevölkerung auf, von Sabotageakten abzusehen, da diese die Sicherheit sowie das öffentliche und private Eigentum verletzten. Auch in Tunesien hatte die Armee im Gegensatz zur Polizei bei den Protesten gegen das Regime Ben Ali Zurückhaltung geübt und damit die Achtung der Menschen gewonnen und den Umsturz überhaupt erst möglich gemacht.

Regime stoppt Zugverkehr

Der Generalstreik solle so lange dauern, "bis unsere Forderungen erfüllt werden", sagte Oppositionsvertreter Mohammed Waked. Als Reaktion auf die Ankündigung wurde der gesamte Zugverkehr im Land eingestellt, wie das Staatsfernsehen berichtete. Die Opposition in Alexandria beschloss daraufhin, am Dienstag zusätzlich zum Protestmarsch in Kairo auch in Ägyptens zweitgrößter Stadt einen "Marsch der Million" zu organisieren.

Zentraler Ort des Protests: Auf dem Tahrir-Platz versammelten sich erneute tausende Demonstranten.

Zentraler Ort des Protests: Auf dem Tahrir-Platz versammelten sich erneute tausende Demonstranten.

(Foto: dpa)

In Kairo forderten bereits am Montag wieder Zehntausende Menschen auf dem zentralen Tahrir-Platz den Rücktritt des 82-jährigen Mubarak. Dort waren zwar Soldaten aufgezogen, doch auch mehrere Stunden nach Beginn des Ausgangsverbots um 15.00 Uhr griffen sie nicht ein. Die Generäle haben bislang den Aufstand nicht niederschlagen lassen; sie haben sich aber auch nicht gegen Mubarak gestellt. Der Präsident hat sich um den Schulterschluss mit dem Militär bemüht und wichtige Regierungsposten mit Angehörigen der Streitkräfte besetzt.

Friedensnobelpreisträger el-Baradei bekräftigte am Montag seine Führungsanspruch innerhalb der Oppositionsbewegung. Angehörige der Opposition erklärten jedoch, in dieser Frage gebe es Differenzen. El-Baradei will in eine Regierung der nationalen Einheit neben einem Vertreter der Muslimbruderschaft zwei Richter, einen Militär und diverse Oppositionspolitiker holen.

Muslimbrüder wollen Mubaraks Sturz

Die einflussreiche Muslimbruderschaft rief die Ägypter auf, ihre Proteste bis zum Sturz Mubaraks fortzusetzen. Zugleich lehnte die islamistische Bewegung Mubaraks umgebildete Regierung "komplett" ab, da sie "nicht dem Willen des Volkes" entspreche. Bei den seit Dienstag vergangener Woche andauernden Protesten in Ägypten wurden bislang mindestens 125 Menschen getötet und tausende verletzt. Die Sorge vor Instabilität im Nahen Osten belastete auch die Aktienbörsen weltweit. Erstmals seit fast zweieinhalb Jahren stieg der Ölpreis wieder über die Marke von 100 Dollar je Barrel.

Durchhaltewillig: Die Demonstranten in Kairo wollen bis zum Sturz Mubaraks durchhalten.

Durchhaltewillig: Die Demonstranten in Kairo wollen bis zum Sturz Mubaraks durchhalten.

(Foto: dpa)

Mubaraks neuer Regierungschef, Ahmed Schafik, den der Staatschef zuvor mit Reformen beauftragt hatte, stellte am Montag seine neue Regierung vor. Als Zugeständnis an die Demonstranten wurde Innenminister Habib el Adli, der für die Unterdrückung der Opposition verantwortlich gemacht wird, durch den Polizeigeneral Mahmud Wagdi abgelöst. Auch mehrere Mubaraks unbeliebtem Sohn Gamal nahestehende Minister wurden ersetzt. Dafür blieben jedoch zahlreiche langjährige Gefolgsleute Mubaraks im Kabinett. So übernimmt Verteidigungsminister Mohamed Hussein Tantawi zusätzlich das Amt des Vize-Regierungschefs. Ahmed Abul Gheit bleibt Außenminister. Neuer Finanzminister ist Samir Mohamed Radwan. Mubarak hatte bereits am Freitag Geheimdienstchef Omar Suleiman zu seinem Stellvertreter und Luftfahrtminister Ahmed Schafik, einen Ex-Luftwaffenkommandeur, zum Regierungschef ernannt.

Verfassungsreform und Wahlwiederholung

Suleiman kündigte einen Dialog mit allen politischen Parteien, eine Verfassungsreform sowie eine Wiederholung der umstrittenen Parlamentswahl in einem Teil der Wahlbezirke an. Präsident Mubarak wünsche einen Dialog mit allen politischen Kräften über eine Reform der Verfassung, sagte er in einer Fernsehansprache. In den Bezirken, in denen Kandidaten das Ergebnis der Wahl vom vergangenen November vor Gericht angefochten hatten, solle binnen weniger Wochen neu gewählt werden. Damit geht die politische Führung auf zwei wichtige Forderungen der Opposition zumindest ansatzweise ein. Zur zentralen Forderungen aller Oppositionsgruppen nach einem Rücktritt Mubaraks sagte der bisherige Geheimdienstchef nichts.

Mohamed el-Baradei kündigt den "Wandel" an.

Mohamed el-Baradei kündigt den "Wandel" an.

(Foto: AP)

Von der Regierungsumbildung ließ sich die Opposition nicht beruhigen - im Gegenteil. "Sie vergeuden nur ihre Zeit", sagte ein Demonstrant. "Der Kopf des Regimes, Mubarak, muss weg." Ein anderer empörte sich: "Das ist doch alles Unsinn. Unsere Forderung ist klar: Wir wollen, dass Mubarak und seine Leute abhauen. Alles andere ist nicht genug." Auf Transparenten forderten die Demonstranten die Soldaten auf, sich den Protesten anzuschließen und den Präsidenten zu stürzen: "Die Armee muss sich zwischen Ägypten und Mubarak entscheiden."

EU fordert "freie Wahlen"

Die EU-Außenminister riefen die ägyptische Regierung auf, in mehreren Schritten einen "geordneten Übergang" hin zu "freien und fairen Wahlen" einzuleiten. In EU-Kreisen hieß es, die Minister seien sich uneins gewesen, ob Mubarak zurücktreten oder ob er die Gelegenheit für einen geordneten Übergang haben müsse. Außenminister Guido Westerwelle betonte, wer in Ägypten regiere, sei allein Entscheidung des ägyptischen Volkes. Die EU könne nur den Prozess der Demokratisierung unterstützen, aber nicht darüber entscheiden, wer regiere.

Zurückhaltende Kontrolle: Die Armee ist überall präsent, greift nicht ein.

Zurückhaltende Kontrolle: Die Armee ist überall präsent, greift nicht ein.

(Foto: AP)

Auch US-Präsident Barack Obama hatte am Sonntag zu einem "geordneten Übergang" in Kairo aufgerufen. Unterdessen enthüllte die Zeitung "Haaretz", dass Israel in einer geheimen Mitteilung den Westen offenbar zur Unterstützung der ägyptischen Regierung aufforderte.

Kanzlerin Angela Merkel und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, die in Jerusalem berieten, befürchteten, durch die Unruhen in Ägypten könne die gesamte Region instabiler werden. Netanjahu sagte, die große Angst sei, dass sich in Ägypten die Lage genauso entwickeln könne wie in mehreren anderen Ländern - insbesondere dem Iran - hin zu einem radikal-islamischen Unterdrücker-Regime.

Deutsche Urlauber ausgeflogen

Derweil setzten zahlreiche Länder ihre Bemühungen fort, ihre Staatsbürger aus Ägypten auszufliegen. Auch mehrere hundert deutsche Ägypten-Touristen sind wohlbehalten auf dem Frankfurter Flughafen gelandet. Neben Ferienfliegern aus den Badeorten am Roten Meer hatte die Lufthansa auch zusätzliche Maschinen aus der Hauptstadt Kairo im Einsatz. Am Vorabend waren bereits in München deutsche Urlauber gelandet, die die Plünderungen und Ausschreitungen in Ägypten teilweise aus der Nähe erlebt hatten. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes reisen jedes Jahr 1,1 bis 1,2 Millionen Deutsche nach Ägypten. Zehntausende lebten dort, allein im Großraum Kairo seien es mehr als 5000 Deutsche.

Wegen der unsicheren Lage hatte die Bundesregierung ihre Reisehinweise verschärft. Das Auswärtige Amt gab aber weiter keine generelle Reisewarnung für Ägypten heraus. Die Fluggesellschaft Air Berlin setzt am Dienstag neben ihren regulären Flügen von den ägyptischen Badeorten nach Deutschland auch eine Chartermaschine von Alexandria mit Ziel Düsseldorf ein. Mehrere deutsche Reiseveranstalter sagten zudem Reisen in ägyptische Großstädte ab. Die ägyptische Fluggesellschaft Egyptair annullierte für die Zeit der Ausgangssperre von Montagnachmittag bis Dienstagmorgen all ihre Flüge.

Die Unruhen lähmen aber immer mehr Fabriken deutscher und internationaler Konzerne. Der Chemieriese BASF kündigte an, seine Produktion in Ägypten vorerst ruhen zu lassen. In den Werken von Daimler und BMW stehen die Bänder still. Der Chef des Energiekonzerns E.ON, Johannes Teyssen, warnte davor, einen Flächenbrand in den arabischen Ländern herbeizureden. Für Schiffe, die den strategisch wichtigen Suez-Kanal passieren, besteht derzeit nach Angaben aus der Versicherungsbranche keine Gefahr.

Quelle: ntv.de, tis/dpa/rts/AFP

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen