Krisentreffen nach Dioxin-Skandal Aigner will härtere Regeln
10.01.2011, 21:01 Uhr
Aigner verspricht härteres Durchgreifen.
(Foto: dpa)
Bundesverbraucherschutzministerin Aigner fordert Konsequenzen aus dem Dioxin-Skandal - und wiegelt zugleich ab: Von deutschen Agrarprodukten gehe keine Gefahr aus. Die Ministerin kritisiert die Aussage von Verbraucherschützern, wonach Pflanzenschutzmittel zur Verseuchung geführt hätten. Das Kieler Landwirtschaftsministerium stellt weiter deutlich erhöhte Dioxin-Werte fest: Eine Probe überschreitet den erlaubten Grenzwert um das 72-Fache.
Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner hat von der Futtermittelindustrie "konkrete Vorschläge" gefordert, wie weitere Dioxin-Fälle verhindert werden können. "Dieser Fall muss und er wird Konsequenzen haben", sagte die CSU-Politikerin nach einem Treffen mit Spitzenvertretern der Branche in Berlin.

Die Laborleiterin des Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES), Elke Bruns-Weller, zeigt 10 Mikroliter Endextrakt aus einer Probe von Eiern mit Spuren des Giftes Dioxin.
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Auf Basis der nun zu erarbeitenden Vorschläge aus der Branche werde sie über Veränderungen entscheiden. Ein Punkt werde auch die Frage der Zulassung von Betrieben sein. "Der entstandene Schaden ist immens", sagte Aigner. Nicht nur finanziell, sondern vor allem sei auch das Vertrauen der Verbraucher erschüttert. "Es gibt keinen Grund zur Panik, aber auch nicht zur Verharmlosung", betonte Aigner.
Der vom Bauernverband geforderte Hilfsfonds für betroffene Bauern spielte dem Vernehmen nach in den Gesprächen keine Rolle. "Es ist bisher ja auch kein Schaden entstanden", sagte ein Vertreter der Agrarwirtschaft. Die Sperrung von rund 5000 Höfen sei eine reine Vorsichtsmaßnahme gewesen. Mit Blick auf Befürchtungen im Ausland und erste Beschränkungen, sagte Aigner, es gehe keine Gefahr von den deutschen Agrarprodukten aus.
Die EU-Kommission hält Importverbote anderer Staaten von Eiern oder Fleisch aus Deutschland für überzogen. "Das sind übertriebene Reaktionen angesichts der aktuellen Lage in Deutschland", sagte der Sprecher von EU-Verbraucherkommissar John Dalli in Brüssel. Die Dioxinbelastung der Produkte bedeute "keine unmittelbare Gefahr" für Verbraucher. Südkorea blockiert seit Mitte vergangener Woche Schweinefleisch aus Deutschland. Nach Angaben der EU-Kommission hat das EU-Mitglied Slowakei dagegen kein vergleichbares Verbot ausgesprochen. Europäische Futterfett-Hersteller wollten am Montag in Brüssel mit der EU-Kommission tagen, um über die Trennung von Industrie- und Futterfetten in Produktion und beim Transport zu beraten.
Fungizide als Dioxin-Quelle?
Zu Angaben der Verbraucherschutzorganisation , Rückstände von Pflanzenschutzmitteln seien für die Dioxinfunde verantwortlich, sagte Aigner: "Ich will mich nicht an Spekulationen von selbst ernannten Experten beteiligen." Die Behörden arbeiteten mit Hochdruck daran, die Quelle zu finden.
Foodwatch hatte zuvor erklärt, die hohe Dioxinbelastung ergebe sich "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" aus dem Muster einer Futterfett-Probe, die von dem Partnerunternehmen des im Fokus der Ermittlungen stehenden Betriebs Harles und Jentzsch stammt. Die Organisation gab an, die Analyse der Dioxin- und Furanverbindungen in der Probe weise auf Rückstände einer Pentachlorphenol-Verbindung hin, wie sie als Pilzgift eingesetzt werde. In Deutschland darf Pentachlorphenol seit 1986 nicht mehr produziert und seit 1989 nicht mehr gehandelt und angewendet werden. Nach Angaben von Foodwatch wird es aber in Südamerika und Asien zum Beispiel als Pilzgift im Sojaanbau verwendet.
"Aigner schützt nur die Industrie"
Foodwatch-Chef Thilo Bode warf Aigner schwere Versäumnisse vor. "Frau Aigner deckt mit ihren Vorschlägen nur die Giftmischer in der Futtermittelindustrie, anstatt die offensichtlichen Sicherheitslücken im System zu schließen, wie es ihre Aufgabe wäre", kritisierte er.
Verbraucherschützer kritisieren, dass die Futtermittelbetriebe kaum kontrolliert werden. Nach Angaben des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure sind derzeit 2500 Kontrolleure für 1,1 Millionen Betriebe zuständig. Die konkreteste Forderung Aigners war bisher, künftig die Herstellung von technischen Fetten etwa für die Papierverarbeitung und von Futterfetten auf dem gleichen Gelände zu untersagen.
Meiste Höfe wieder freigegeben
Aufgrund der Verseuchung von Futterfetten der Firma Harles und Jentzsch aus dem schleswig-holsteinischen Uetersen und der zu ihr gehörenden Spedition Lübbe im niedersächsischen Bösel waren in den vergangenen Tagen vorsorglich 4700 landwirtschaftliche Betriebe gesperrt worden. Mittlerweile wurden die meisten Höfe wieder freigegeben; am Montagabend waren bundesweit noch 558 Betriebe geschlossen: In Niedersachsen blieben nach Angaben des Bundesverbraucherschutzministeriums 330 Betriebe weiter gesperrt, in Nordrhein-Westfalen 143 und in Schleswig-Holstein 62..
Das dioxionhaltige Futterfett des Unternehmens war als Vorprodukt an Tierfutterhersteller verkauft und dort in deren Waren gemischt worden, bevor es in Hühner-Legebatterien und Mastbetrieben verfüttert wurde. Die Aufsichtsbehörden beschlagnahmten und untersuchten Proben des Unternehmens. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Firma.
Neue Probe mit 72-fachem Dioxin-Wert
Am Montag teilte das Kieler Landwirtschaftsministerium mit, dass bei drei weiteren Proben deutlich erhöhte Dioxin-Werte festgestellt wurden. Eine Probe habe den erlaubten Grenzwert um das 72-Fache überschritten. Der Dioxingehalt haben bei fünf jetzt ausgewerteten Proben zwischen 0,57 Nanogramm (ng) bis 54,28 ng betragen. Der Grenzwert beträgt 0,75 ng. Damit sind jetzt 43 vom Ministerium zur Untersuchung gegebenen Futterfettproben der Uetersener Firma analysiert. In 15 Fällen wurde der zulässige Höchstgehalt an Dioxin unterschritten, in 28 Fällen aber überschritten.
Regressansprüche von mehr als 100 Mio Euro

Ein Silo auf dem Gelände von Harles und Jentzsch. Darauf der Spruch: "Power to the Bauer".
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Wie das Bielefelder "Westfalen-Blatt" berichtet, kommen auf den Verursacher der Dioxinverschmutzung nach ersten Schätzungen der Bundesländer weit mehr als 100 Millionen Euro Schadensersatzansprüche zu. Neben den betroffenen Landwirten wollen auch Bundesländer Regressansprüche in Millionenhöhe anmelden. Das hätten die Landwirtschaftsministerien von Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen angekündigt.
Allein eine Laboranalyse auf Dioxinrückstände koste zwischen 1000 und 1300 Euro, schreibt die Zeitung. Der Bauernverband habe die bisherigen Schäden auf 40 bis 60 Millionen Euro pro Woche beziffert. Die Staatsanwaltschaft Itzehoe prüfe im Rahmen ihrer Ermittlungen gegen Verantwortliche von Harles und Jentzsch, ob schon jetzt Gewinne und Vermögen des Unternehmens sichergestellt werden könnten.
SPD fordert Warnplattform
Die SPD fordert eine bundesweite Warnplattform für Lebensmittel. Unter www.lebensmittelwarnung.de, einer Website des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, sollten sich Verbraucher über betroffene Lebensmittel informieren können, heißt es in einem Forderungskatalog der SPD-Fraktion. Im aktuellen Dioxin-Fall um verunreinigtes Tierfutter stellen einzelne Landesministerien zwar Informationen zum Beispiel über betroffene Ei-Chargen ins Netz, es gibt aber bisher keine zentrale Plattform.
Zudem fordert die SPD-Fraktion, den Informantenschutz in der Lebensmittelbranche zu verbessern - etwa wenn Mitarbeiter die Behörden über Panschereien bei der Tierfutterproduktion informieren wollen. "Ohne einen Informantenschutz ist in diesem Kartell der Vertuscher nichts zu erreichen", sagte Fraktionsvize Ulrich Kelber. Die SPD will ihren Katalog am Dienstag bei einer Sondersitzung des Verbraucherausschusses des Bundestags zur Abstimmung stellen.
Quelle: ntv.de, hvo/AFP/dpa