Wikileaks-Gründer sitzt seit einem Jahr fest Assange im Schatten
16.06.2013, 21:21 Uhr
Julian Assange und Ecuadors Außenminister in der Botschaft in London.
(Foto: REUTERS)
Bald ein Jahr lang sitzt Wikileaks-Gründer Julian Assange nun in der Botschaft Ecuadors in London fest. Er war dorthin geflüchtet, um sich der Auslieferung nach Schweden zu entziehen, wo ihm Vergewaltigung vorgeworfen wird. Am Montag will Ecuadors Außenminister Patiño in London mit seinem Amtskollegen Hague über den Fall reden.
Gemessen an Sonnentagen lag Julian Assange in den vergangenen zwölf Monaten nicht allzu weit hinter dem Rest der Londoner. Doch der sonnenverwöhnte Australier kommt seit einem Jahr kaum an die frische Luft. Deshalb ist sein Klagelied deutlich ausgeprägter als das der Mehrheit in der britischen Hauptstadt, die oft und gern über das Wetter jammert.
Am 19. Juni vergangenen Jahres flüchtete sich der Wikileaks-Gründer und einstige Vorzeige-Enthüller in einer spektakulären Aktion in die Botschaft Ecuadors in der Londoner Innenstadt. Er wollte sich der möglichen Auslieferung nach Schweden - und später vielleicht in die USA - entziehen. In Schweden wird er verdächtigt, Sexualstraftaten begangen zu haben. Seit einem Jahr hat Assange die Vertretung nicht mehr verlassen. Am Montag will der ecuadorianische Außenminister Ricardo Patiño mit seinem britischen Kollegen William Hague über den Fall Assange sprechen.
Britische Polizisten würden den 41-jährigen Assange sofort festnehmen, sollte er nur einen Fuß vor die Tür des Botschaftsgebäudes setzen. Eine Tatsache, die nicht nur dem Internet-Rebellen die Zornesröte ins Gesicht treibt. Auch sein Gastgeber Patiño sieht in der britischen Haltung eine Verletzung von Menschenrechten. Für eine diplomatische Lösung gibt es trotz der geplanten Gespräche Patiños in London jedoch kaum Anhaltspunkte.
Gegen die Auflagen verstoßen
Denn die Rechtslage ist eindeutig: Gegen den Australier liegt nach wie vor ein EU-weiter Haftbefehl vor. Dass dieser Gültigkeit hat, obwohl nicht von einem Richter, sondern nur von einem Staatsanwalt ausgestellt, haben sämtliche Gerichtsinstanzen in Großbritannien bestätigt. Außerdem hat Assange mit der Flucht in die Botschaft des südamerikanischen Landes gegen seine Auflagen zur Verschonung von der Auslieferungshaft verstoßen. Damit liegt auch nach britischem Gesetz ein Haftgrund vor.
Das Kalkül des Wikileaks-Gründers im vergangenen Juni 2012 - kurz vor Olympia in London - war eindeutig: Assange wollte wieder in die Öffentlichkeit, und vor allem raus aus den Gerichten. Der Rechtsweg für seinen Verbleib in Großbritannien war praktisch ausgeschöpft. Mit der Flucht in die Vertretung im feinen Südweste n der britischen Hauptstadt wollte er seinen Fall mit Hilfe des ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa von der juristischen auf eine diplomatische Ebene hieven.
Doch der Plan ging nicht auf. Der Stern des einstigen Enthüller-Königs ist in seiner Zeit in der Botschaft weiter gesunken. Die eigentliche Quelle für seine Enthüllungen, der US-Soldat Bradley Manning, ist in die Rolle des Helden getreten. Dass man für spektakuläre Enthüllungen längst nicht mehr Wikileaks braucht, hat auch der jüngste Fall von Edward Snowden bewiesen, der aufdeckte, wie stark der US-Geheimdienst NSA seine Bürger bespitzelt. Er arbeitete direkt mit den klassischen Medien wie etwa der britischen Zeitung "The Guardian" zusammen.
Fast alle Unterstützer sind weg
Auch die Zahl von Assanges Unterstützern bröckelt. Die Flucht in die Botschaft hat diejenigen Prominenten verprellt, die einst viel Geld für seine Kaution hinterlegt hatten - die ist nämlich vermutlich weg. Filmemacherin Jemima Khan etwa, die einen Film über Wikileaks mitproduziert hat, sagt: "Ich habe ihm Geld gegeben, damit er freikommen konnte, während er auf seinen Prozess wartet. Nicht dafür, dass er Antworten verweigert." Dennoch bereut sie ihre Unterstützung nicht: "Wikileaks hat aufgezeigt, dass wir über die Kriege im Irak und Afghanistan belogen wurden", schrieb sie in einem Beitrag für den "New Statesman".
Assange hat sich mit Journalisten genauso überworfen wie mit einstigen Mitstreitern und sogar seinem Ex-Anwalt Mark Stephens. Vor der Botschaft in London hielten am Anfang des Asyls rund ein Dutzend Unterstützer eisern Mahnwache. Übriggeblieben ist noch ein einziger. Viele frühere Unterstützer werfen Assange vor, sein Projekt Wikileaks verraten zu haben, um das eigene Fell zu retten. Mit vielen der Mitstreiter war er schon vor der Zeit in der Botschaft heillos zerstritten, darunter mit dem Deutschen Daniel Domscheit-Berg.
Quelle: ntv.de, Michael Donhauser und Thomas Cronenberg, dpa