Assads Armee erodiert BND sieht Regime am Ende
11.08.2012, 09:21 UhrDer deutsche Geheimdienst sieht deutliche Zeichen dafür, dass es mit dem Assad-Regime zu Ende geht. Die reguläre Armee werde immer kleiner, schätzt BND-Chef Schindler ein. Die kleinen, regional verankerten und äußerst wendigen Rebellengruppen zermürbten zudem zunehmend mit ihrer Guerillataktik das Militär.
In Syrien sind die Tage von Präsident Baschar al-Assad nach Ansicht des Bundesnachrichtendienstes gezählt. "Es gibt viele Anhaltspunkte dafür, dass die Endphase des Regimes begonnen hat", sagte BND-Chef Gerhard Schindler der "Welt". Assads Armee habe etwa 50.000 ihrer einst 320.000 Soldaten verloren. "Darunter sind viele Verwundete, Deserteure und 2000 bis 3000 Überläufer zur militanten Opposition." Und die "Erosion" des Militärs halte an, konstatierte der Chef des deutschen Auslandsgeheimdienstes.
Schindler zufolge gibt es in Syrien inzwischen rund 20.000 bewaffnete Aufständische. "Die Widerstandsgruppen sind klein, regional verankert und äußerst wendig. Sie können rasch zuschlagen und Hinterhalte bilden. Wegen ihrer geringen Größe sind sie für Assads Armee kein gutes Ziel." Den regulären Streitkräften stehe eine Vielzahl flexibel agierender Kämpfer gegenüber. "Ihr Erfolgsrezept ist eine Art Guerillataktik. Das zermürbt die Armee zunehmend", berichtete der BND-Chef über die Erkenntnisse seines Dienstes.
Der BND-Analyse zufolge wird der Widerstand gegen Assad keineswegs von Islamisten dominiert. "Sie sind in der Minderheit", sagte Schindler. Allerdings gebe es radikale Gruppierungen wie die Al-Nusrah-Front, die offenbar Verbindungen zum Terrornetzwerk Al-Kaida habe.
Clinton spricht mit Oppositionellen
US-Außenministerin Hillary Clinton sucht heute in Istanbul nach neuen Wegen im Kampf gegen Assad. Clinton werde darüber mit syrischen Oppositionellen sowie mit dem türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan und Präsident Abdullah Gül sprechen, teilte das US-Außenministerium mit. Die USA versorgen die Rebellen unter anderem mit Satellitenbildern und Kommunikationstechnik.
Clinton will von syrischen Aktivisten "Erfahrungen aus erster Hand" erhalten. Sie werde Frauen, Studenten, Blogger treffen, aber keine bewaffneten Kämpfer, verlautete aus dem US-Außenamt. Clinton wolle erfahren, wie die US-Hilfe wirke und ob Washington mehr tun könne. Daneben setzen die USA auf Sanktionen gegen Syrien. Am Freitag setzte das US-Finanzministerium die staatlichen Ölkonzerne auf die schwarze Liste, weil sie Treibstoff an den Iran geliefert haben sollen. Zudem wurde US-Bürgern verboten, mit der Hisbollah im Libanon Geschäfte zu treiben, weil diese Assad unterstütze.
Großbritannien stellt den Rebellen in Syrien Ausrüstung für fünf Millionen Pfund (6,3 Millionen Euro) zur Verfügung. Dabei handle es sich nicht um tödliche Waffen, betonte Außenminister William Hague in London. Es gehe vor allem um Funk- und Kommunikationstechnik sowie medizinische Hilfe. Auch Schutzanzüge seien dabei. Die Mittel würden zusätzlich zur humanitären Hilfe in Millionenhöhe gewährt, die Großbritannien bereits nach Syrien geschickt hat.
Schwere Gefechte
An der jordanisch-syrischen Grenze kam es am späten Freitag zu Gefechten. Nach Angaben aus jordanischen Sicherheitskreisen eröffneten syrische Soldaten auf eine Gruppe von etwa 500 Flüchtlingen das Feuer. Die jordanischen Grenzwachen schossen zurück, da die Flüchtlinge schon auf jordanischem Boden waren. Es habe einen etwa 30 Minuten dauernden heftigen Schusswechsel gegeben. Auf jordanischer Seite sei niemand verletzt worden.
Unter den Flüchtlingen waren laut syrischen Aktivisten erneut Dutzende hochrangige Offiziere der Assad-Armee. Die jordanischen Sicherheitskreise konnten nichts über die Identität der Flüchtlinge sagen. Einige der Ankommenden hätten jedoch eine Vorzugsbehandlung erhalten. Sie seien an einen geheimen Ort gebracht worden, an dem syrische Deserteure beherbergt würden.
Brahimi folgt Annan
Die Vereinten Nationen suchen derweil fieberhaft nach einem Nachfolger für ihren gescheiterten Syriengesandten Kofi Annan. Als . Der 78-jährige ehemalige algerische Außenminister habe "gute Chancen", zum neuen Syriengesandten der UN und der Arabischen Liga ernannt zu werden, sagte ein westlicher Diplomat in Beirut. Ähnliches war auch von Diplomaten in New York zu hören. Brahimi hat Erfahrungen als UN-Sondergesandter unter anderem in Afghanistan und im Irak.
In Aleppo forderte der Krieg am Freitag zahlreiche Opfer in der Zivilbevölkerung. Eine Granate tötete vor einer Bäckerei mindestens elf Menschen. Die Menschen hätten sich wenige Stunden vor dem Fastenbrechen im Ramadan um Brot angestellt, sagte der Aktivist Bassam al-Halebi der Deutschen Presse-Agentur am Telefon. Ein weiteres Geschoss traf die mittelalterliche Zitadelle im Zentrum der umkämpften nordsyrischen Großstadt. Das Eingangstor sei beschädigt worden, teilte der oppositionelle Syrische Nationalrat mit.
Von unabhängiger Seite konnten diese Berichte nicht bestätigt werden. Wer die Granaten abfeuerte, war unklar. Zwar verfügen hauptsächlich die Regierungstruppen über Artillerie, doch haben auch die Aufständischen solche Waffen erbeutet und eingesetzt.
Nach Angaben der örtlichen Koordinationskomitees wurden am Freitag in Syrien 180 Menschen getötet, davon 75 in Aleppo. Seit Beginn der Proteste gegen das Assad-Regime vor 17 Monaten kamen nach UN-Schätzungen etwa 17 000 Menschen ums Leben, die meisten von ihnen Zivilisten. Die Zahl der Vertriebenen liegt laut UN bei 1,5 Millionen Syrern.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP