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Slowakei vor Richtungswahl Beenden die Slowaken ihre Ukraine-Hilfe?

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Zeiten ändern sich: 2021 wurde Robert Fico wegen Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung verhaftet. Heute hat er gute Aussichten, wieder Premier der Slowakei zu werden.

Zeiten ändern sich: 2021 wurde Robert Fico wegen Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung verhaftet. Heute hat er gute Aussichten, wieder Premier der Slowakei zu werden.

(Foto: picture alliance/dpa/TASR)

Die Slowaken entscheiden heute über die nächste Regierung und damit wohl auch über die Frage, ob sie der Ukraine weiter militärisch zur Seite stehen. Woher kommt die Skepsis beim Unterstützer der ersten Stunde?

Sie gehörte zu den ersten, die der angegriffenen Ukraine mit der Lieferung schwerer Waffen zur Seite standen, nun könnte die Slowakei das erste Land werden, das offiziell aus dem Ukraine-Unterstützerkreis aussteigt: Am heutigen Samstag wählen die Slowaken ein neues Parlament, und der Kandidat, der laut Umfragen als Favorit ins Rennen geht, hat sich klar positioniert: "Dieser Krieg ist nicht unser Krieg", sagt Robert Fico, Chef der nationalistischen SMER-Partei und ehemaliger Premier des Landes. Zuletzt führte er die Regierung in Bratislava von 2012 bis 2018.

Fico will, sollte die SMER die Wahl gewinnen, die militärische Unterstützung für den Nachbarn einstellen. Diese Hilfe war bisher nicht nur gemessen an der Wirtschaftsleistung des kleinen Landes beachtlich - da liegt die Slowakei mit ihren fünf Millionen Einwohnern aktuell auf Rang 6 im Ukraine Support Tracker des Kieler Instituts für Weltwirtschaft.

Die Slowakei gab alle Kampfjets an die Ukraine

Auch im direkten Vergleich kam Bratislava eine wichtige Vorreiterrolle zu: Mit der Entscheidung, der Ukraine das sowjetische Flugabwehrsystem S-300 zur Verfügung zu stellen, war die Slowakei früh dran. Ebenso überließ sie Kiew mit 13 MiG-29 ihre gesamte Kampfjet-Flotte zu einem Zeitpunkt, als sich weiter westlich noch kaum ein Ukrainepartner traute, über eine Sendung von Kampffliegern überhaupt öffentlich nachzudenken. Eine mutige Entscheidung der slowakischen Regierung, denn für den Schutz ihres eigenen Luftraums sind die Slowaken nun auf ihre Nachbarstaaten angewiesen.

Mit der Ankündigung, sich von diesem Unterstützungskurs zu verabschieden, weiß Wahlkämpfer Fico zu punkten bei einer Mehrheit der Bevölkerung, die den Ukrainekrieg inzwischen zunehmend aus Moskauer Perspektive betrachtet. Hier lautet das vorherrschende Narrativ: Russland hat mit diesem Krieg nur auf die Provokationen des Westens reagiert.

Für diese Haltung kommen gleich mehrere Ursachen zusammen: Zum einen wird Moskau von vielen Slowaken noch mit der Rolle des Befreiers vom Faschismus 1945 verbunden. Dazu kommt eine sehr erfolgreiche Verbreitung russischer Propaganda und Desinformation im Land, unterstützt dadurch, dass auch die Parteien im Wahlkampf kaum auf seriöse Medien setzen, sondern sich hauptsächlich über eigene Kanäle bei den sozialen Medien darstellen.

Zuzana Homer, Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bratislava sieht zudem wachsende Kritik in der Bevölkerung am Westen, speziell Enttäuschung über die EU, die "sich primär aus unerfüllten Erwartungen hinsichtlich rasant steigender Lebensstandards nach dem EU-Beitritt speist".

Der Westen und sein Partner die Ukraine eignen sich mithin im laufenden Wahlkampf als Sündenböcke für alle möglichen Probleme im Inneren des Landes: Der Wirtschaft geht es schlecht, die Preise steigen, Energie wird knapp - zunehmend fühlen slowakische Familien sich existenziell bedroht. "Der durchschnittliche Wähler hat keine Zeit, sich mit dem außenpolitischen Kurs der Slowakei zu befassen. Er ist mit existenziellen Fragen beschäftigt und versucht in vielen Fällen, mit einem Einkommen von 700 Euro zu überleben", fasst Homer zusammen. Das Vertrauen in politische Kräfte ist kaum noch vorhanden.

Vor lauter Rücktritten verlor man den Überblick

Nicht ohne Grund - die letzte Regierung schlitterte in Pandemie- und Kriegszeiten, aber auch aufgrund innerer Streitigkeiten derart ins Chaos, dass man vor lauter Rücktritten und Umbesetzungen den Überblick verlor. Ein halbes Jahr nach einem Misstrauensvotum im Parlament setzte die slowakische Präsidentin an ihrer statt eine nicht gewählte Experten-Regierung ein. So behalf man sich zumindest bis zu den jetzigen, vorgezogenen Neuwahlen. Verhältnisse, die man sonst eher aus Ländern wie dem Libanon kennt.

"Groß ist der Frust über die Inkompetenz der letzten Regierung, die es versäumt hat, das enorme Machtpotential zu nutzen", analysiert Expertin Homer angesichts eines "zusammenbrechenden Gesundheitswesens, einer völlig ineffizienten Verwendung von EU-Mitteln, einer der höchsten Inflationsraten in der EU und wiederkehrenden Regierungskrisen". Aus diesem Chaos kommend erscheint vielen Slowaken die "harte Hand" und die Erfahrung an der Macht, mit der Robert Fico zu regieren verspricht, eine Perspektive zu bieten.

Im Wunsch nach geordneten Verhältnissen verdrängen sie sogar, dass Ficos eigene Amtszeit als Premier ebenfalls sehr unrühmlich zuende ging, nachdem 2018 der Investigativreporter Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová ermordet worden waren und die polizeilichen Ermittlungen immer wieder in die unmittelbare Nähe Ficos führten. Bewiesen werden konnte ihm bisher nichts, doch für die Slowaken reichte damals aus, was offensichtlich war. Wochenlang gingen sie im Protest auf die Straße, bis der Regierungschef zurücktrat. Im vergangenen Jahr landete Fico vorübergehend im Gefängnis, der Vorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Nun sieht es so aus, als könnte Robert Fico an die Spitze der Regierung zurückkehren, allerdings nur mit rund 20 Prozent der Stimmen, was ihn zu einem schwachen Premier machen würde, angewiesen auf mehrere weitere Parteien zum Koalieren.

Doch in seiner kritischen Westsicht und Russlandfreundlichkeit weiß er den Großteil der Bevölkerung hinter sich. Setzt sich diese Haltung bei der Wahl heute durch, dann könnte die Slowakei als NATO- und auch als EU-Land zukünftig für die Partner zur Belastung werden. Eine "Orbánisierung" fürchten viele Beobachter - innenpolitisch eine schrittweise Einschränkung elementarer Bürgerrechte, gepaart mit dem Querschießertum, das Ungarns Regierungschef Viktor Orbán auf internationaler Bühne praktiziert. Entsprechend schauen heute europäische Partner mit Spannung und Sorge auf das Wahlergebnis aus Bratislava.

Quelle: ntv.de

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