"Klimaschutz pervers" Biosprit-Quote auf der Kippe
22.04.2008, 17:35 UhrAngesichts der weltweiten Verteuerung von Nahrungsmitteln stellen die ersten EU-Regierungen das EU-Ziel eines stärkeren Einsatzes von Biosprit infrage. Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten im März 2007 beschlossen, den Treibstoffverbrauch bis 2020 zu zehn Prozent durch Biosprit zu decken.
Die britische Regierung lässt von Experten seit Februar die Folgen steigender Biosprit-Nutzung für Umwelt und Wirtschaft prüfen. "Wenn unsere Untersuchung zeigt, dass wir unsere Haltung ändern müssen, werden wir auch auf eine Änderung des EU-Biotreibstoff-Zieles dringen", sagte der britische Premierminister Gordon Brown in London. Die EU müsse gezielt vorgehen und darauf achten, wie sich der Einsatz von Kraftstoff aus Energiepflanzen auf Umwelt und Nahrungsmittelpreise auswirke.
Browns Regierung beschloss zudem ein Hilfspaket von 455 Millionen Pfund, die dem Welternährungsprogramm im Kampf gegen den Hunger zur Verfügung gestellt werden sollen.
"Starke Bedenken" in Luxemburg
Die Regierung Luxemburgs ist von der offiziellen EU-Vorgabe bereits abgerückt. Umweltminister Lucien Lux bekräftigte, die gesamte Regierung Luxemburgs habe "starke Bedenken" gegen einen Konflikt zwischen Energiepflanzenanbau und Nahrungsmittelversorgung.
Die Klimaschutzstrategie der EU solle verhindern, dass Millionen von Menschen in Zukunft um ihre Existenzgrundlagen bangen müssten, betonte Lux. "Es kann demnach nicht so sein, dass diejenigen, die am härtesten von den Folgen des Klimawandels betroffen sein werden, zusätzlich unter den perversen Konsequenzen kurzsichtiger Klimaschutzmaßnahmen zu leiden haben."
Die geplante Steigerung des Biosprit-Anteils am gesamten Treibstoff auf zehn Prozent soll dazu beitragen, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 20 Prozent abzubauen, um die gefährliche Erderwärmung zu bremsen. Die zunehmende Nachfrage nach Biosprit aus Getreide wird jedoch für den drastischen Anstieg der weltweiten Grundnahrungsmittelpreise mit verantwortlich gemacht. In Afrika, Asien und in Haiti gab es bereits Aufstände der hungernden Bevölkerung.
Morales fordert Abschaffung des Kapitalismus
Die Präsidenten Perus und Boliviens, Alan Garca und Evo Morales, warnten derweil eindringlich vor Biotreibstoffen. Die Umstellung der Landwirtschaft von Lebensmitteln auf Biotreibstoffe komme einem "Selbstmord" der Menschheit gleich, sagte Garca in Lima. "Hunger wird die Welt beherrschen", zitierten nationale Medien den sozialdemokratisch ausgerichteten Staatschef.
Morales, der erste Indio-Präsident Boliviens, forderte ebenfalls ein Ende der Produktion von Biotreibstoffen. Es sei unerklärlich, warum Ackerland "für den Betrieb von Luxuslimousinen statt für Lebensmittel" genutzt werde, zitierte ihn die Zeitung "Hoy". Bei einem UN-Forum für Indio-Rechte in New York forderte Morales eine Abschaffung des Kapitalismus als Hauptursache von Umweltzerstörung und Kriegen.
Am Montag hatte auch Bundesentwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul einen sofortigen Produktionsstopp von Biosprit gefordert. Auch die Grünen im Europäischen Parlament sind dafür, das Zehn-Prozent-Ziel aufzugeben. Bundeskanzlerin Angela Merkel hält dagegen, andere Faktoren wie der wachsende Konsum in den Schwellenländern und die schlechte Agrarpolitik in den Entwicklungsländern seien für den Preisschub verantwortlich.
Die EU-Kommission bekräftigte erst am Montag, an dem von den Mitgliedsstaaten beschlossenen Biosprit-Ziel entgegen anderslautender Spekulationen in den Medien festzuhalten. Die Kommission schlug in ihrem Regelungsentwurf Kriterien für zulässige Biokraftstoffe vor, um zu verhindern, dass deren Produktion zu neuen ökologischen Problemen führt. Bereits beim EU-Gipfel Mitte März hatte der slowenische EU-Ratspräsident Janez Jansa allerdings nicht ausgeschlossen, die Vorgabe zu ändern. Doch ergänzte er damals, dafür gebe es keine Argumente.
Quelle: ntv.de