Politik

Peinliche Enthüllung vor G8-Gipfel Briten spitzeln sogar Freunde aus

Die britische Luftwaffenbasis Menwith Hill. Von hier aus hört die NSA mit.

Die britische Luftwaffenbasis Menwith Hill. Von hier aus hört die NSA mit.

(Foto: REUTERS)

Dass Gipfel-Delegationen von den Gastgebern bespitzelt werden, darf als normal gelten. Ungewöhnlich ist, dass es herauskommt. Für Großbritannien ist die Enthüllung des amerikanischen Whistleblowers in höchstem Maße peinlich: Jetzt ist klar, dass selbst engste Verbündete aus britischer Sicht Abhörziele sind.

Die Datensammelwut des US-Geheimdienstes NSA ist nicht die einzige Enthüllung mit der der in Hongkong untergetauchte Informationstechniker Edward Snowden den britischen "Guardian" und die "Washington Post" versorgt hat. Die jüngste Geschichte: Britische Geheimdienste haben vor vier Jahren Teilnehmer des G20-Gipfels in London bespitzelt.

Auf Anweisung der britischen Regierung seien Computer, Telefone und Blackberrys von ausländischen Gipfelteilnehmern überwacht worden, schreibt der "Guardian". Selbst eigene Internetcafés hätten die Geheimdienste eingerichtet, um die Delegierten dort ausspähen zu können. Ein Team von 45 Analysten habe rund um die Uhr notiert, wer während des Gipfels mit wem telefonierte.

Wie gut, wenn man weiß, was Freunde denken: Der türkische Ministerpräsident Erdogan und der britische Premier Brown 2009 beim G20-Gipfel in London.

Wie gut, wenn man weiß, was Freunde denken: Der türkische Ministerpräsident Erdogan und der britische Premier Brown 2009 beim G20-Gipfel in London.

(Foto: AP)

Offenbar waren alle Überwachungsmaßnahmen auf höchster Ebene in der Regierung des damaligen Premierministers Gordon Brown genehmigt worden. Ein Dokument über ein Briefing im britischen Geheimdienst GCHQ, den "Government Communications Headquarters", vom 20. Januar hält fest, was das Ziel der Überwachung war: "Die Absicht des GCHQ ist es sicherzustellen, dass geheimdienstliche Informationen mit Bedeutung für die von der britischen Regierung beabsichtigten Ergebnisse des G20-Gipfels die Kunden zur rechten Zeit erreicht und in einer Form, die ihnen erlaubt, vollen Nutzen daraus zu ziehen." Unter anderem sollten Mails der Gipfelteilnehmer gelesen werden, "bevor / während sie es tun", wie es in einem anderen Dokument heißt.

Türkei und Südafrika im Visier der Briten

Überwacht wurden etwa der türkische Finanzminister und 15 Mitglieder seiner Delegation. Die Schnüffler wollten herausfinden, wie die Regierung in Ankara zu Fragen der Finanzmarktregulierung stand und ob sie bereit war, "mit dem Rest der G20-Staaten zu kooperieren", wie es in einem weiteren Geheimpapier heißt, aus dem der "Guardian" zitiert.

Die Kommunikation des südafrikanischen Außenministeriums war bereits seit Dezember 2005 im Fokus des GCHQ, die wie ihre amerikanische Schwesterorganisation NSA für die Überwachung der elektronischen Kommunikation zuständig ist. Auch hier war das Ziel, die südafrikanische Position im Vorfeld von G8- und G20-Gipfeln herauszufinden.

NSA zapfte Medwedews Telefon an

Bei dem G20-Gipfel in London 2009 wurde auch der damalige russische Präsident Dmitri Medwedew ausgespäht - allerdings nicht vom GCHQ, sondern von der NSA. Nach einem Dokument, das dem "Guardian" von Snowden zugänglich gemacht wurde, glaubte der US-Geheimdienst einen Wandel ausgemacht zu haben in der Art, wie die russische Führung technisch kommuniziere. Das als neu ausgemachte Signal sei aus der russischen Botschaft in London gekommen und offenbar an Medwedew gerichtet gewesen.

Abgehört wurde die russische Delegation in London laut "Guardian" von einem Überwachsungsstützpunkt in der Grafschaft North Yorkshire. Der britische Luftwaffenstützbasis Menwith Hill nahe Harrogate wird seit Jahrzehnten vom NSA zu Spionagezwecken genutzt.

Für Großbritannien und die USA kommt die neuerliche Enthüllung zu einem denkbar peinlichen Zeitpunkt: An diesem Montag beginnt in Nordirland ein G8-Gipfel - nicht nur die russische Delegation dürfte sich noch stärker als ohnehin bei solchen Treffen fragen, wie abhörsicher ihre Kommunikation ist.

Das Erstaunliche an der Geschichte ist, dass mit der Türkei und Südafrika zwei Staaten bespitzelt wurden, mit denen Großbritannien enge freundschaftliche Beziehungen unterhält. Die Türkei ist Nato-Mitglied, vor dem Hintergrund des türkischen Kampfes gegen die PKK auch im Nordirak hatten beide Länder 2007 einen Vertrag über eine "strategische Partnerschaft" mit der Türkei unterzeichnet. Darüber hinaus ist die britische Regierung eine der sichersten Fürsprecherinnen für einen EU-Beitritt der Türkei.

Warum spitzelt das GCHQ? Weil sie es können!

Warum also bespitzelt das GCHQ befreundete Staaten? Die Antwort scheine zu sein, so schreibt der "Guardian" in britischer Zurückhaltung, "weil sie es können, sowohl technisch als auch rechtlich". 1994 hatte die konservative Regierung einen Satz in das Geheimdienstgesetz geschrieben, nach dem elektronische Überwachung auch "im Interesse des wirtschaftlichen Wohlergehens des Vereinigten Königreichs mit Bezug auf Handlungen oder Absichten von Personen außerhalb der britischen Inseln" erlaubt ist.

Wirtschaftliche Sicherheit ist in Großbritannien seither ganz offiziell ein Teil der nationalen Sicherheit. De facto, so der "Guardian", wurde damit "eine neue unendliche Liste von ausländischen Zielen" geschaffen, die man abhören kann, egal wie unwichtig der Vorteil ist.

Die einzige Beschränkung, die sich das GCHQ auferlegt, betrifft ein Bündnis von englischsprachigen Ländern, die ihre Geheimdiensterkenntnisse untereinander teilen: AUSCANNZUKUS, auch bekannt unter dem Namen "Five Eyes". Deren Mitglieder - die USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland - informieren sich untereinander, wenn sie Angehörige eines der Partnerstaaten abhören. Über diesen Weg kam auch Edward Snowden, die Quelle des "Guardian", an die Informationen, die das Blatt nun veröffentlicht hat. Es wird nicht die letzte Geschichte dieser Art gewesen sein.

Quelle: ntv.de

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